Am Herdfeuer wurde der Hof übergeben
Wollte einst ein niedersächsischer Bauer seinen Hof dem Sohne übergeben und sich auf das Altenteil zurückziehen, so war dies bis etwa gegen Anfang des vorigen Jahrhunderts noch zuweilen mit gewissen althergebrachtem und getreu bewahrtem heimischen Brauchtum verbunden. Die Knechte mussten sich an die vordere linke Ecke des Herdes im Flett neben den Besitzer, die Mägde an die rechte hintere Ecke stellen. Die junge Frau trat allein an die hintere linke Ecke.
Die Hofbesitzersfrau entzündete das Herdfeuer und sagte: „So, Vater, das Feuer brennt, nun kannst Du Deinen Hof abgeben.“ Letzterer ließ seinen Sohn an den Herd herantreten und sprach: „ Leg den rechten Daumen in den Kesselhaken und übernimm Deinen Hof.“ Der Vater legte seinen linken Daumen in den Kesselhaken, und sich zu den Knechten wendend, sprach er: „Heute geb’ich meinen Hof an meinen Sohn ab, von nun an müsst Ihr ihm gehorchen, wollt Ihr das?“ Meistens gaben die Knechte das Versprechen gern, besonders, wenn sie mit dem jungen Bauern, was öfters der Fall war, besser fertig werden konnten als mit dem alten.
Übergabe mit Handschlag
Nach ernsten Ermahnungen des Vaters einerseits und Versprechungen des Sohnes andererseits, besonders im Hinblick auf das Altenteil, wurde die Hofübergabe mit Handschlag bei brennendem Feuer ausgeführt, und die Mutter musste durchschlagen. Darauf folgte die Herdübergabe an die junge Frau. Die Bäuerin nahm einen brennenden Holzspan vom Feuer und gab ihn der Nachfolgerin mit den Worten: „So übernimm jetzt Deinen Herd mit brennendem Feuer.“ Die junge Frau legte nun den Brand unter den Grapen. Dann folgte eine ähnliche Entsagung und Ermahnung der Bäuerin und Versprechungen der Mägde wie bei den Knechten und auch eine feierliche Zusicherung der Altenteilversorgung und der Forderung, gemeinsam am Tisch die Mahlzeiten einzunehmen. Darauf wurde der Herd mit Handschlag der beiden Frauen übergeben, und der Vater besorgte das Durchschlagen mit kräftigem Schlag. Die beiden alten Leute zogen sich auf ihr Altenteil zurück.
Absprachen für das Altenteil
Dieses „Olen-del“ der Bräutigamsleute wurde übrigens meist gleich bei der „Löfde“, der Verlobung oder dem „Verspruch“, festgesetzt. Große Forderungen stellte man nicht, denn „de Hoff mut bestahn“, jedoch oblag dem Nachfolger die ernste und wohl stets getreu eingehaltene Verpflichtung: „He mut de beien Olen bet in de Kuhl hegen“, das hieß, sie bis zum Grabe pflegen.
Wenn auch Treu und Glauben, Lauterkeit und Redlichkeit, wie feste Einhaltung eines einmal gegebenen Wortes zu den Grundtugenden unserer niedersächsischen Vorfahren gehörten, so legte man doch umsichtig vorausschauend genau fest, was das junge Paar den Eltern als „Olen-del“ unentgeltlich zu geben verpflichtet sei: Fleisch, Milch, Butter, Kartoffeln, auf dem Hof gebackenes Brot, zuweilen ein Schwein und Schaf, dazu Licht und Feuerung. Auch wurde – wahrscheinlich durch Erfahrungen gewitzt – klargestellt, welche Unterkunft die Altenteiler zu beziehen hätten, falls diese sich mit dem jungen Leuten auf die Dauer an einem Tisch nicht vertragen sollten.
Am Herdfeuer wurde der Hof übergeben
Kesselhaken und Grapen spielten dabei eine wichtige Rolle -
Die „eiserne Kuh“ der Altenteiler
Kesselhaken verschiedener Ausführung. Bei einem Feuer wurden sie zuerst gerettet
Zum Bestreiten kleinerer Ausgaben ließen sich „de Olen“ in der Regel kein bares Geld zusichern, sondern eine bestimmte Aussaat in Hafer oder Buchweizen. „Wurde aber einmal“, so schrieb Dr. Eduard Kück, „eine besondere Forderung aufgestellt, wie etwa die Ausbedingung einer ‚isernen Kauh’, eisernen Kuh, das heißt einer melkbaren und nötigenfalls eine andere zu ersetzenden Kuh, so wurde sie unter Umständen mit der bekannten niedersächsischen Zähigkeit aufrechterhalten und führte zuweilen zu ernsten Zerwürfnissen.“
Bescheidener Lebensabend
„Der Lebensabend der Altenteiler“, so heißt es weiter bei Dr. Kück, „war oft wenig glücklich.„We estemeert (geachtet)“ oder „Dat Beste is, wenn die Olen afgewen hebbt, se ward in Swartauer kakt (gekocht)“, das waren die gelegentlichen Klagen. Und doch machten sich die alten noch nach Kräften nützlich. Freilich, an der „Morgenzeit“ nahmen sie nicht mehr teil; sie standen erst später auf, aber den übrigen ganzen Tag arbeiteten sie mit. Die Großmutter wartete die Enkelkinder, wiegte und sang sie Tagaus, Tagein in den Schlaf, bis sich ihr selbst die Augen zum letzten Schlafe schlossen, und Großvater werkte draußen in Kniehose und Zipfelmütze, bis ihm der Tod das Beil oder die Sichel aus der Hand nahm.
Bilder, die den Ol-vader im „Sorgenstuhl“ die Hauspostille, meist Bibel und Familienkronik, lesend, und Olmudder spinnend oder strickend, oder beide still-friedvoll draußen auf der Hausbank den Abendsonnenschein genießend darstellen, sind noch heute vielfach bekannt.
In einigen Teilen Niedersachsens war es üblich, dass die junge Frau nach der Herdübergabe den Grapen vom Kesselhaken nahm, ihn wieder anhakte und mit dem Besen um den Herd fegte, als Zeichen, dass sie ihre Arbeit an der wichtigsten Stelle ihres Hauses angetreten hatte.
Alte Grapen, wie sie auf niederdeutschen Bauernhöfen lange in Gebrauch waren. Mit dem Bügel wurden sie an den verstellbaren Kesselhaken über dem Herdfeuer aufgehängt. Archiv G. Seiffert
Kesselhaken als Urkunde
Die große Bedeutung, die dem Herd und Kesselhaken in früherer Zeit beigelegt wurde, zeigte sich auch darin, dass bei Feuersbrünsten der Besitzer des brennenden Hofes bedacht war, neben seinem Vieh vor allem den Kesselhaken seines Herdes zu retten, den er als Urkunde seines Besitzes ansah.
Erhielt ein anderer Bauer den Hof, so nahm er Besitz, indem er den Kesselhaken berührte; wurde im Lüneburgischen dem Pächter eines Schillingshofes gekündigt, so wurde der Schilling an den Haken gehängt. In zahlreichen Urkunden, noch bis zum Jahre 1803, ist auch zu lesen, dass der häusliche Kesselhaken als Marke in Grenzbeschreibungen aufgestellt wurde.
Altenteilerin am Spinnrad nach einem Scherenschnitt. Soweit es ging, machten sich die „Olendeler“ auf dem Hof noch nützlich.; Archiv G. Seiffert
Die Annahme eines Knechtes geschah zuweilen ebenfalls am Herd beim brennenden Feuer. Der Bauer legte einen Mietpfennig in den Kesselhaken und verpflichtete den Knecht durch Handschlag über der Herdecke. Letzterer nahm darauf das Geldstück zu sich und war nunmehr „eidlich“, wie es nach altem Brauch hieß, gemietet. Die Bäuerin mietete eine Magd in ganz ähnlicher Weise, nur, indem sie den Mietpfennig auf die hintere linke Ecke des Herdes legte, dorthin, wo sie einst ihren Herd übernommen hatte.
Die neue Zeit mit ihrem umwälzenden Geschehen hat von alten Sitten und Gebräuchen vieles verschwinden lassen; heute findet eine Hofübergabe nicht mehr an Kesselhaken und Grapen, sondern in der Praxis eines Notars statt. Doch sei jenes altniedersächsische Brauchtum nicht vergessen, so wie es in einem alten Gedicht heißt:
„Deine Höfe traulich liegen
In der Eichen sicher’m Schutz,
Die die starken Wipfel wiegen
Und dem Sturme bieten Trutz;
Wie die Eichen aus der Erde
Unserer Heimat holen Saft,
Will am heimatlichen Herde
Ich stets schöpfen neue Kraft!“
Veröffentlicht: DEWEZET 17.07.1977, Feierabend an der Weser Nr. 163/130 Jahrg.
Autor: Gerhardt Seiffert