Bäuerliches Leben in Flett und Grotdäl
Das häusliche Leben unserer niedersächsischen Bauern spielte sich zu ältester Zeit ausschließlich auf der Diele, dem „Flett“, ab, denn dieses war der einzige Wohnraum des Hauses. Die Stuben und Kammern wurden dem Bauernhause erst später angefügt, als die Bedürfnisse der Landbewohner mannigfacher geworden waren. Das Flett war von der großen Lehmdiele, der „Grotdäl“, vielfach durch ein Holzgitter getrennt, das dem oft frei im Hause umherlaufenden Kleinvieh das Eindringen verwehren sollte. In der Mitte des Flett, dessen Fußboden mit kleinen Steinen, oft in hübschen Mustern, gepflastert war, befand sich das „Heiligtum“ des Hauses, der aus Feldsteinen gefügte Herd. Seine Form war in einigen Gegenden rund und niedrig, in anderen jedoch viereckig und etwa zwei Fuß hoch. Das Feuer auf diesem Herde verlöschte nie, selbst nachts wurde es glimmend erhalten und mit dem eisernen oder tönernen „Füerstülper“ bedeckt, damit die Katzen, die sich gerne am Feuer wärmten, in ihrem Fell nicht etwa glimmende Funken in das Stroh trugen. Frühmorgens fachte die sorgsame Hausfrau die Glut mit einem Blasebalg, dem Püster, oder auch wohl mit eigener Lungenkraft an, und bald brodelte die Morgensuppe über dem flackernden und knisternden Feuer.
Kienspan am Kesselhaken
Über dem Herde hing an dem oft mit geschnitzten Pferdeköpfen geschmückten, durch den Rauch glänzend schwarz gefärbten Rahmen der Kesselhaken, eine lange, flache, gezähnte, unten zu einem Haken umgebogene Stange, an deren Seiten zuweilen Tüllen für den Lichtspendenden Kienspan angebracht waren. Dieser Kesselhaken spielte in dem Bauernhaus mit dem Herd zusammen eine bedeutende Rolle. Vor dem Kesselhaken empfing der Bauer einst von seinem Gutsherrn gegen einen Schilling den Hof, und wollte der Herr den Bauern „abmeiern“, so hing er zu Lichtmess einen Schilling an den Kesselhaken. Der Bauer musste dann zu Michaelis ausziehen. Solche Höfe nannte man Schillingshöfe.
Ein dämmriges Licht erhellte das Flett von kleinen, auf beiden Seiten angebrachten Fenstern, die häufig mit Buntgemalten Glasscherben verziert waren. Es waren dies Geschenke von Nachbarn und Freunden zur Erinnerung an die „Husbörn“, das Richtfest, und bei dem so genannten Fensterbier gestiftet. Auf jeder Seite hatte der Raum zudem eine waagerecht geteilte Tür, die so genannte Blangen- oder Lüttdör im Gegensatz zu der großen Tür, die von außen auf die Lehmdiele führte und „Grotdör“ sowie auch „Missendör“ genannt wurde.
„Butzen“ als Schlafstätten
An den Seitenwänden des Flett befanden sich die Schlafstätten, mit Schiebetüren versehene Butzen. Hier standen auch die mächtigen Truhen und Schränke, glänzten auf den „Börden“ als Stolz der Hausfrau die zinnernen und tönernen Teller und Schalen. Am Speckwiemen vor dem Rehmen hingen Schinken, Würste und Speckseiten zum Räuchern. Um den Herd herum standen einfache Stühle mit aus Binsen oder Weidengeflecht hergestellten Sitzen; der lange eichene Esstisch hatte seinen Platz am Fenster, an ihm wurden die gemeinsamen Mahlzeiten eingenommen. Jeder Hausbewohner hatte seinen bestimmten Platz. Messer, Gabeln und Selbstgefertigte Holzlöffel steckten in einem Lederriemen an der wand. Suppe und Milch wurden aus einer gemeinsamen Schüssel gegessen.
Während des Tages waren die Männer auf dem Felde beschäftigt, und das Flett dann die Arbeitsstätte der Hausfrau und der Mägde. Müßiggang war auf dem Bauernhofe ein Unding; selbst die altersschwachen Altenteiler halfen noch in Haus und Hof, soweit es ihre Kräfte zuließen. Der Hausfrau oblag auch die Sorge für das Vieh; in dem großen Grapen über dem Herdfeuer brodelten die Kartoffeln für die „Swien“, und die Milchwirtschaft ließ die Hände nicht ruhen, denn das Melken, Buttern und Käsemachen nahm viel zeit in Anspruch.
Quelle und Literatur:
Autor: Gerhardt Seiffert
Foto 1: Hans Pusen
Foto 2: Gerhard Seiffert
Veröffentlicht: DEWEZET,
14. Mai 1977 Nr. 112 / 130. Jahrg.
Bäuerliches Leben in Flett und Grotdäl
Erinnerung an das Dasein auf einem alten niedersächsischen Bauernhof
Niedersächsisches Bauernhaus mit der „Grotdör“ oder „Missendör“. Rechts und links davon befanden sich Stallungen. Die Wohnhäuser – hier zum teil schon nach vorn verlegt – lagen ursprünglich an der Gegenseite hinter dem Flett. (Aufnahme: Hans Pusen)
Herdstelle im Flett eines niedersächsischen Bauernhauses. Der Topf hing an einem eisernen Kesselhaken, an dem früher auch der Kienspan befestigt wurde. -
(Aufnahme: Gerhard Seiffert)
Einfache, aber derbe Kost
Auf die Zubereitung der Mahlzeiten verwandte man nicht allzu viel Mühe. das Essen einfach, derbe, nahrhaft und reichlich, denn die Männer brachten einen tüchtigen Hunger mit, wenn sie vom Felde kamen. Eine Milchsuppe mit eingebrocktem Schwarzbrot, ein großer Grapen mit „Klüten“, Mehlklößen, oder Kartoffeln und einige große Stücke gekochten Specks oder Pökelfleisch bildeten den täglichen Küchenzettel, wenn nicht mit Fleisch und Kartoffeln Zusammengekochte Bohnen, Steckrüben oder Erbsen damit abwechselten. Abends gab es wieder Klüten, gebratene Kartoffeln oder Pellkartoffeln und wohl auch einmal als leckeres, von den Kindern besonders bevorzugtes Gericht, „Pannkoken“, einige Satten Dickmilch wurden dazu gelöffelt.
War das Flett mehr die Arbeitsstätte der Frauen, so schafften die Männer, soweit sie nicht auf dem Felde waren, auf der Grotdäl. An den Seiten standen links die Kühe und rechts die Pferde. Besonders zur Erntezeit war die Grotdäl oft die Stätte reger Arbeit. Die großen, mit Heu oder Korngarben hochbeladenen Wagen fuhren dann durch die Grotdör in das Haus und ihre Last musste durch die Luke auf den Boden „gestakt“ werden. Später wurden die Garben zum Ausdreschen dann wieder heruntergeworfen.
Wenn die Arbeit getan war
Erst nach Anbruch des Abends, wenn die Arbeit getan war, wurde es im Flett und auf der Grotdäl ruhiger. Dann setzten sich die Hausbewohner, ob Bauer oder Bäuerin, ob Altenteiler, oder Knecht oder Magd, noch auf ein Stündchen zur gemütlichen Unterhaltung um das Herdfeuer, wo der Trankrüsel, oder zu älterer Zeit der Kienspan, ein mattes Licht verbreiten. Nachbarn pflegten sich wohl noch einzufinden, „um di tun dat tau besnacken“. Auch lebten einst in fast jedem Dorfe einige alte Leute, die als Geschichtenerzähler beliebt waren und abends gern ihren gespannt horchenden Zuhörern von allerlei Fahrten, alten Sagen und geheimnisvollen Spukgeschichten berichteten. Solche meistens mit einer lebhaften Phantasie begabte Originale bildeten oft die lebendige Dorfchronik, und ihr Gedächtnis, in dem auch die kleinste Begebenheit haften geblieben war, fand immer neuen Stoff zur Unterhaltung.
Müßiggang verpönt
Die gutmütige Hausfrau spendete den Ihren und den Gästen dann auch wohl einen Trunk Eigengebrauten Braunbiers, das aus großen Weißglasierten bunt bemalten Fayence-Krügen oder aus Zinnkrügen getrunken wurde. Aber auch jetzt wurden die Hände nicht müßig in den Schoß gelegt, sondern mit Ausnahme des Hausherrn und der Gäste hatte jeder seine Arbeit. Die Hausfrau besserte Strümpfe und Kleidungsstücke aus, die Mägde spannen, haspelten oder nähten, während die Knechte Harkenzinken, Löffel und anderes Gerät schnitzten, reparierten oder Körbe flochten.
Aber schon nach wenigen Stunden begaben sich alt und jung zur Ruhe, um für den kommenden arbeitsreichen Tag, der schon beim ersten Morgengrauen begann, neue Kräfte zu sammeln. In Flett und Grotdäl des Bauernhauses wurde es still.
So war’s einmal, als es noch keine Trecker und Mähdrescher, keine Melkmaschinen, Elektroherde, Staubsauger und Waschmaschinen und als auch noch keine Fernseher gab. Jedoch: „Man muss seine Ahnen ehren, aber über sie hinaus fortschreiten. Nicht unserer Vorväter Werke, sondern unserer Vorväter Gesinnung gilt es nachzuahmen und aus ihr heraus Selbständiges zu schaffen“.
Autor: Gerhardt Seiffert
Veröffentlicht: DEWEZET, 14. Mai 1977 Nr. 112 / 130. Jahrg.