Aus der Geschichte derKirche St. Georg in Polle
Aus der Geschichte derKirche St. Georg in Polle
Der Flecken Polle besitzt neben der bekannten Burgruine ein weiteres bedeutendes Steinbauwerk - die Kirche. Eigentlich findet dieses bedeutende Bauwerk nur wenig Beachtung, da der Burgbereich in den Sommermonaten von den Tagestouristen stark frequentiert wird und nur wenige Besucher den Weg zum Gotteshaus im alten Ortskern suchen. Während die Geschichte der Burg im wesentlichen aufgearbeitet wurde, ist bisher über die Kirche nur relativ wenig zusammenhängendes bzw. grundlegendes in den letzten Jahren neu veröffentlicht worden. In diesem Bericht sollen die neuen Forschungsergebnisse berücksichtigt werden.
Aus den schriftlichen Quellen, die erhalten geblieben sind, wird gemeldet (Meyer 1843), „ dass in der Mitte des 16.Jahrhunderts von den Gebrüder Otto, Franz und Lips de Wrede, den Pfandinhabern der Burg, unter Mithilfe und Zuschuss der Gemeinde ein Gotteshaus erbaut wurde. Und dass die Gemeinde bis dahin in die Brevörder Kirche als matrem gegangen sei." Aus der einzigen bekannten Überlieferung geht nicht hervor ob zu diesem Zeitpunkt bereits eine Vorgängerkirche vorhanden war oder eventuell nur aus- bzw. umgebaut wurde. Aus einer andere Mitteilung ist ersichtlich, dass "am 7. Januar 1524 der Kirchherr zu Polle, Bertold Holtensen, für 60 Goldgulden den Meierhof Gronighof zu Lüchtringen vom Abt in Corvey Franz von Ketteler erwirbt" (Fromme 1980). Aus der knappen Mitteilung kann geschlossen werden, dass bereits eine Kirche vorhanden gewesen sein muss - Größe, Umfang und Ausstattung aber nicht weiter bekannt sind. Es stellt sich als weiteres die Frage, ob in dem jetzigen Bauwerk noch Stielelemente der ersten Kirche erkennbar sind. Bekannt ist, dass in Norddeutschland und auch im Weserraum die Gotik lange bestimmend geblieben ist und erst langsam von den Elementen der Renaissance ersetzt wurde und die sich im Weserraum ausbreitende Reformation sich nachhaltig auf die bildende Kunst auswirkte.
Auffällig ist dabei in der Nordseite, neben dem Altar, ein gotisches Sakramentshäuschen, das sehr wahrscheinlich noch aus vorreformatorischer Zeit stammt, d.h. in katholischer Zeit erbaut wurde. Hinzu kommen ein Vierpass (Kleeblatt) am Ostgiebel und der alte Chorbogen hinter Orgel, der noch den Umfang der ursprünglichen Empore erkennen lässt. Zu den älteren Bauteilen wird noch das Fundament des Kirchturmes angesehen (Bühring, Boymann, Klemcke 1975).
Auffällig sind an dem Langhaus die verschieden große Fensteröffnungen. Die kleineren Fenster, die sowohl an der Nordseite und an der Südseite am Turm noch vorhanden sind, dürften die älteren sein. Diese wurden wahrscheinlich im Zuge von Umbaumaßnahmen wohl noch vor 1600 in das Langhaus gebrochen, um einen höheren Lichteinfall für die verzierten Deckenbalken zu erhalten. Die mit Pressstuck verzierten 19 Deckenbalken sind eine Besonderheit für diese kleine Dorfkirche. Der Motivbestand, der verschiedene Bandmotive aufweist, entspricht im Wesentlichen dem des Westwerkes in der Abteikirche Corvey und scheint auch in der Machart gleich zu sein (Fischer 1989). Eine dendrologische Untersuchung, die das Weserrenaissance-Museum Schloss Brake durchführen ließ, ergab eine Datierung in das Jahr 1592/93. In diesem Zusammenhang ist noch eine Inschrift von Bedeutung, die bereits 1959 bei einer Reparatur an der Turmspitze auf einem Kupferblech an der Ostseite gefunden wurde.
1). Es handelt sich dabei um ein Dreieck, das umschrieben wird mit " Necit- Labi-Virtus" und der Inschrift " Johannes Schol Lauterbachensis Schulmeister alhir 1591". Die Übersetzung lautet: Johannes Schol aus Lauterbach, hiesiger Schulmeister im Jahr 1591. Und die lateinische Inschrift könnte lauten: " Das Heil Gottes währet ewiglich " lauten. Dem beigefügten Dreieck kommt mit großer Wahrscheinlichkeit eine rein symbolische Bedeutung zu.
Mit dieser bisher einzig bekannten Inschrift liegt ein weiterer Hinweis auf einen Dach- bzw. Turmausbau vor, der sich auch noch auf dem Dachboden an der Ostseite als Gibelaufmauerung an der Bruchsteinmauerwand erkennen lässt. Wahrscheinlich hat man eine veränderte Statik für die Dachkonstruktion vorgenommen. Der Grund dafür ist nicht überliefert, da aus dieser Zeit nur wenig archivarische Nachrichten erhalten geblieben sind. Es kann daher nur vermutet werden, dass eine bedeutende Ursache vorgelegen haben muss. Nicht auszuschließen ist zum Beispiel ein Blitzschlag, der zu einem Brand geführt hat und so schließlich die Errichtung eines aufragenden Turmhelmes und die Neugestaltung als Satteldach als nötig erachtet wurde. Aber auch ein anderer Grund ist theoretisch möglich. Der ursprüngliche Kirchturm könnte dagegen kleiner und bescheidener in Formund Ausführung gewesen sein, etwa so wie er sich heute zum Beispiel an der Pfarrkirche St. Michaelis in Rühle präsentiert 2.) .
Das rundbogige gestaltete Portal aus rotem Sandstein an der Südseite ist typisch im Formgut der Weser – Renaissance - Kerbschnittbossensteine bilden hier die Verzierungselemente. Das Portal wird etwa um 1620 eingesetzt worden sein, also relativ spät für die Renaissance. Eine von Putten flankierte Inschrift verkündet hier " Godt Allein die Ehr ".
Als weitere bedeutsame Quellen sind noch zwei Epitaphien im Altarraum zu nennen, die eine ausführliche Betrachung verdienen und typische Verzierungselemente der Reneaissance aufweisen. Nach der Inschrift enthält ist das älteste Epitaph von Cordt Ketler mit dem Jahr 1553. Es fällt damit in die Zeit der urkundlichen Überlieferung. Im Dezember 1990 wurde das durch die Witterung bereits stark angegriffene Grabmahl nach einer gründlichen Sanierung im Altarraum aufgestellt. Aufgrund eines Kesselhakens im Wappen kann vermutet werden, dass eine Zugehörigkeit zu der Familie von Ketler als wahrscheinlich gelten . Franz von Kettler , Abt in Corvey, der 1547 verstarb, führte ebenfalls einen Kesselhaken im Wappen 3.).
Als zweites Epitaph ist das der Anna von Meschede zu nennen. Hier tritt die Jahreszahl 1569 als Todesjahr hervor. Dieses zweite Gedächtsnismal ist der Ehefrau des Franz von Wrede gewidmet, der als der Stifter überliefert wurde. Bedauerlich ist, dass dieses schöne Bildwerk im oberen Bereich nur noch beschädigt vorliegt. Der Kopf des Ritters (Franz von Wrede ?) und seiner Frau (Anna von Meschede) fehlen und die flankierenden Kapitelle sind zerstört. Erhalten blieb neben dem unteren Teil des Epitaph, der obere Bereich mit dem Gottvater, der die Weltkugel in den Händen hält.
Ein weiteres bedeutendes Kunstwerk, das sich heute nicht mehr im Besitz der Kirchengemeinde befindet, ist ein Kreuzigungsgemälde. Von der Art der Aufteilung kann es in das späte 16. Jahrhundert datiert werden. Sehr wahrscheinlich steht es mit dem Umbau, oder einer Stiftung oder Einweihung nach 1590 im Zusammenhang. Dieses nach den neusten Erkenntnissen bedeutende Gemälde wurde der Kirchengemeinde in Pegestorf als Leihgabe überlassen und dort in den Kanzelaltar eingearbeitet 4.) .
Interessant ist auch der Hinweis auf zwei Patrozinien, welche die Kirche einst besaß. Auf der Karte " BRAVNS –VICESIS ET LVNEBURGENSIS DVCATVVM VERA DELINEAT " des 16. Jahrhunderts wird nur St. Paulfür die Kirche in Polle genannt. Bis in das 19.Jahrhundert war dieses offensichtlich geläufig. Heute ist nur noch St. Georg im Sprachgebrauch. Nach Erkenntnissen ist das letztere das ältere und dürfte in der Zeit des
Hochmittelalters (13. Jahrhundert ) seine Bedeutung gehabt haben. In der Diözese Paderborn z.B. lässt sich St. Georg mehrfach feststellen (Leesch 1970). Damit taucht die Frage auf, ob bereits zur Zeit des Hochmittelalters - der Zeit der Stadt- und Burgründungen- , sich eine Kirche nachweisen lässt. Dieses scheint denkbar, da in den Eversteinschen Urkunden (Spilker 1833) um 1300 ein Pleban (Geistlicher) sowohl in Brevörde als auch in Polle genannt wird. Im letzteren Fall fehlt bisher noch der konkrete Hinweis auf ein Gotteshaus. Die Vermutung, daß auf der Hauptburg oder in einem anderem Nebengebäude der Burganlage eine Kapelle bestanden (Prigge 1979), kann nach den vorliegenden Informationen nicht bestätigt werden. Die Quellenlage für die St. Urban Kirche in Brevörde ist da besser und der romanische Turm mit seinen typischen Schallöffnungen lässt eine Erbauung um 1200 wahrscheinlich erscheinen.
Der heutige Raumeindruck wird bestimmt durch die Renovierung von 1962 bis 1964. Ein neuromanische Kanzelaltar mit Gemälden von Luther und Melanchton war bis zu dem Zeitpunkt der Umgestaltung ein Blickpunkt, der nur noch den älteren Bürgern aus dem Ort in Erinnerung war. Ebenfalls wurde das gesamte Kirchengestühl erneuert, ein Teil der nördlichen Empore entfernt, an dessen Stelle eine Ölheizung aufgestellt wurde. Die als Fußbodenbelag verwendeten Grabplatten fanden als Treppenstufen Verwendung oder wurden auf dem Kirchhof abgelegt.
Zusammenfassend lässt sich nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse feststellen, daß sich in der bestehenden Bausubstanz der St. Georgkirche noch verschiedene spätgotischen Elemente erkennen lassen, die über die bisher bekannten urkundlichen Überlieferung hinausgehen. Damit besteht die Möglichkeit, daß ein Teil der Bausubstanz in das ausgehende Mittelalter (15. Jahrhundert) zurückreicht. Die Sanierung der Jahre 1962 /64 erbrachte eine Umgestaltung und Rückführung des alten (ursprünglichen) Raumeindruckes mit sich; es präsentiert sich ein schlichter Saalraum mit flacher Balkendecke, der durch den Altarraum und den beiden Epitaphien geprägt wird. Durch ein buntes Glasfenster in der Ostseite flutet das Licht auf den Altar. Gestiftet wurde das Fenster von Friedrich Stamm aus Chikago 1964 5.)
1989 erhielt das Langhaus eine neue Sandsteineindeckung. Während der Dachsanierung im Juli kam es durch ein Unwetter zu einem größeren Wasserschaden, der die Lehmdecke durchfeuchtete und schließlich zu einer starken Beschädigung der wertvollen Balkendecken im Altarbereich führte. Der Schaden wurde auf 25.000 DM geschätzt und konnte stielvoll behoben werden. Im Juli 1991 erhielt der Kirchturm eine neue Bekrönung, die alte Turmspitze war bei einem Blitzschlag am Weihnachtstag 1990 beschädigt worden und musste ausgewechselt werden; die Blitzschutzanlage wurde verstärkt. Die Kosten beliefen sich auf 14.187 DM. Durch eine Spende in Höhe von 5.500 Mark konnte das Dachkreuz am Ostgiebel durch eine Neuanfertigung ersetzt werden. 6.)
Die Bilder von Luther und Melanchton haben bereits ihren Weg in die Kirche zurückgefunden.
Titel: Wurde die Poller Kirche vor 400 Jahre umgestaltet?
Autor: Wolfgang Wagner
Anmerkungen:
1.) Mitteilung von Herrn Friedrich Bruns, Heiducken Weg aus Lüchtringen. Frau Liselotte Oppermann aus Polle hat mir die von Ihrem Mann 1959 angefertigte Abschrift 1981 zur Verfügung gestellt.
2.) Rühles St. Michaelis-Kirche ein erhaltungswürdiges Baudenkmal , TAH vom 16.10.1991
3.) Mitteilung vom 13.2.90 von Dr. Altmeier, Museum Corvy, über eine mögliche Verwandtschaft der Familie Ketteler aufgrund eines Kesselhakens im Wappen einer Münze aus dieser Zeit.
4.) Mitteilung von Dr. Großmann , Museum Schloß Brake, vom 1.8.1991 über die Bedeutung des Kreuzigungsbildes in der Kirche Pegestorf .
5.) Alte Kirche im neuen Gewand mit moderner Höranlage , Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 30. September 1964 (Weserrundschau). Die Stiftung von Friedrich Stamm erfolgte zum Gedenken an seine Eltern , die ebenfalls aus Polle von der Bergstraße stammen. Es wurde ein Betrag von 500 Dollar für die Ausgestaltung des Kirchenfensters bereitgestellt. Das Motiv der Taube ist in Licht gehüllt, dem sich erwartungsvoll die Hände entgegenstrecken.
6.) Neue Bekrönung für den Kirchturm, Zeitungsaufsatz im TAH am 20.7.1991
Literaturhinweise:
Bühring, Boymann, Klemcke (1975): Die Kunstdenkmäler des Landes Niedersachen - Landkreis Hameln-Pyrmont, Band 35 , Seite 435 - 438
Fromme, Fr. (1980): Lüchtringen - Grenzdorf zwischen Weser und Solling.
Fischer, G. (1989): Adelshöfe in Westfalen, Band 3, Schriften d. Weserrenaissancemuseums Schloß Brake
Großmann , U. (1989): Renaissance entlang der Weser
Leesch (1970): Die Pfarrorganisation der Diözese Paderborn am Ausgang des Mittelalters; in: Ostwestfälische Forschungen zur Geschichtlichen Landeskunde, Band 3, Seite 304-376 Meyer (1843): Das Amt Polle, im: Hannoverschen Magazin von 1843
Museum der Weserrenaissance - Memorandum, Lemgo 1986, Seite 35
Prigge Hans (1980): Chronik des Fleckens Polle, Seite 25
Spilcker (1833): Geschichte der Grafen von Everstein und ihre Besitzungen , Arolsen 1833
Wagner Wolfgang (1990): Flecken Polle - Eine Bilderchronik, Horb am Neckar 1990 , Seite 60
Schürmann , Günther ( 1955 ?): Aus der Geschichte der Kirche von Polle, Zeitungsaufsatz im TAH