Hinrichtrung 1943 - Glesse
Spurensuche in der Vergangenheit
In den siebziger und achtziger Jahren war eine Hinrichtung, die während des Zweiten Weltkrieges im Ort Glesse stattgefunden hatte, in den umliegenden Orten noch in lebhafter Erinnerung. Es wurde berichtet, dass ein Fremdarbeiter mehrere Personen auf einem abgelegenen, landwirtschaftlichen Hof, auf der Steinbreite im Glessetal erschlagen hatte. Ein Familienmitglied sei dem Blutbad nur dadurch entkommen, dass es sich während der Tatzeit in Brevörde aufhielt. Die von den Behörden angesetzte systematische Fahndung führte bereits nach geraumer Zeit zur Ergreifung des Täters, der sich nicht weit vom Tatort versteckt aufgehalten haben soll. Vor der Hinrichtung soll der Betreffende noch nach Hildesheim gebracht worden sein 1.)
Im Sommer 1991 tauchte überraschend eine Fotografie von der Vollstreckung auf, die bisher nicht bekannt war. Zu erkennen sind auf der Fotografie etwa 11 Personen, darunter Zivilisten und uniformierte Personen, die die Hinrichtung gerade vollziehen oder bereits abgeschlossen haben. Der Delinquent hängt mit einem Seil am Baum, der Kopf ist geneigt und die Hände sind auf den Rücken gebunden. Der Tod könnte bereits eingetreten sein 2.). Die Fotografie ist offensichtlich mit einem versteckten Fotoapparat aufgenommen worden, da der Vordergrund durch ein nahes Objekte verschwommen abgebildet ist. Wahrscheinlich handelt es sich um einen so genannten „Schnappschuss“, der Hobby- und Fachfotografen bestens bekannt ist.
Zur Klärung der Ereignisse sowie der Authentizität der zeitgenössischen Fotografie wurden verschiedene Recherchen vorgenommen, die Fakten gesammelt und schließlich alle Ergebnisse zusammengefasst.
Das Foto als Informationsquelle bot dazu die Gelegenheit die historische Geographie zu klären. Bei dem erkennbaren landwirtschaftlichen Gebäude handelt es sich um den Hof Nr. 6 im heutigen Ortsteil Glesse. Da sich die örtliche Situation in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert hat, entspricht diese nicht mehr der Aufnahme 3.).
Die heimatkundlichen Veröffentlichungen und Chroniken, die in einer größeren Zahl vorliegen und nach diesem speziellen Ereignis durchsucht wurden, berichteten nichts über diesen Vorfall (Wittkopp 1957; Feige, Lübbers, Oppermann 1961; Prigge 1978; Freist 1978 und 1986 ).
Das Kirchenbuch der Gemeinde Ottenstein enthält den Eintrag: Friedrich, Caroline und Auguste Schomburg sind am 12. Juni 1943 vormittags von einem Polen in ihrem Hause ermordet worden. Das Begräbnis fand am 16. Juni 1943 statt. Im Register des Standesamtes Holzminden ist vermerkt: „Der russische Staatsangehörige Soland Hassine, 28 Jahre alt, Geburtsort unbekannt, gestorben am 19.6.1943, von Glesse (Kreis Holzminden) auf den Friedhof Holzminden J.F.6 tot eingeliefert.".
Die mündliche Überlieferung und Befragung (Oral History) verschiedener Personen erbrachte dagegen lebhafte Ergebnisse (Brednich 1988): Unter den Fremdarbeitern herrschte große Aufregung, da ein Gerücht umherging, dass aufgrund des Mordes an der deutschen Familie weitere Polen gehängt werden sollten, was sich aber nicht bestätigen sollte. Die Vollstreckung der Hinrichtung fand durch den Strang an einem Baum vor einem Gehöft im Ort Glesse statt Am Tag der Hinrichtung regnete es und während der Vollstreckung riss der Strick, so dass er ein weiteres mal aufgeknüpft werden musste. Aus den umliegenden Orten waren Fremdarbeiter verpflichtet worden, der Hinrichtung beizuwohnen und zur Abschreckung an dem Toten vorbeizugehen. Wer nicht hinschauen wollte soll geschlagen worden sein. Auch zahlreiche Schaulustige sowie Kinder aus dem Ort sollen dabei gewesen sein. Inwieweit eine übergeordnete Dienststelle beteiligt war oder dieses geleitet hat, ließ sich nicht klären 4.).
Über die Ursache, die zu dieser Tragödie geführt hat, liegen verschiedene mündliche Berichte und auch Deutungen vor, auf die im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Psychologisch lässt sich die schicksalhafte Tat vielleicht am besten als Affekt deuten (Bühler 1962). Es kann aber auf jeden Fall angenommen werden, dass ein bedeutender Vorfall als auslösende Ursache der Tat vorausgegangen ist. Und schließlich muss die Frage gestellt werden, welchem physischen und psychischen Druck der Mensch ausgesetzt war um so eine schreckliche Tat zu vollbringen.
Inwieweit über diese menschliche Tragödie, bei dem schließlich vier Personen ihr Leben ließen, in der gelenkten heimatlichen Presse berichtet wurde, ist nichts weiter bekannt.
Literatur:
Friedrich Wittkopp (1957) : Heinsen - Die Geschichte eines Oberweserdorfes , Hannover 1957
Feige, Oppermann, Lübbers (1961): Heimatchronik der Stadt Hameln und des Landkreises Hameln-Pyrmont, Köln 1961
Prigge Hans (1978) : Chronik des Fleckens Polle
Freist Werner (1978) : Lichtenhagener Chronik
Freist Werner (1986) : Ottensteiner Chronik
Rolf W. Brednich (1988) : Grundriss der Volkskunde / Einführung in die Forschungsfelder der Europäischen Ethnologie , Dietrich Reimer Verlag , Berlin
Charlotte Bühler (1962) : Psychologie im Leben unserer Zeit , München / Zürich 1962
Mündliche Mitteilungen:
1.) Herr Heinrich Beuser , Heimatchronist aus Brevörde , erzählte mir bereits Ende der siebziger Jahren von diesem Ereignis. Frau Gertrud Mutzke, Freiherr vom Stein-Str. 24, aus Northeim las mir in den achtziger Jahren ihre Tagebuchnotizen vor, in dem sie über die Hinrichtung ausführlich berichtete.
2.) Herr Zurmühlen aus Emmerthal 5 ( Lüntorf ), Lüntorferstraße Nr. 35 hat mir dankeswerter weise eine Reproduktion für die Bearbeitung überlassen. Über die genaue Herkunft der dokumentarischen Aufnahme lagen keine Angaben vor.
3.) Herr Jürgen Wittbrauk hat mir die Authentizität der Aufnahme bestätigt und weitere interessante Einzelheiten zu dem Vorgang erzählt, da sein Elternhaus - Gasthaus Grüner Jäger- gegenüber dem Gehöft Niemeier lag. Der Baum an dem Hinrichtung vollzogen wurde soll nach einem Jahre abgestorben sein und das Gehöft ist nicht mehr vorhanden .
4.) Herr Bölke, Helling Weg Nr. 4, aus Holzminden, hat als neunjähriges Kind die Hinrichtung miterlebt und konnte mir eine detalierte Schilderung geben. Herr Helmut Ohm, Glesse, Nr.8 hat als Kind die Hinrichtungmiterlebt und konnte mir einige Angabe bestätigen und weitere Details mitteilen.
Nicht gedruckte Quellen:
Begräbnisregister vom Ort Glesse, Jahrgang 1943. Auszug ausgestellt am 1.10.1991 durch das Pfarramt in Ottenstein. Auszug aus dem Register des Standesamtes Holzminden. Herr Detlef Creydt machte mich auf die Eintragung aufmerksam und stellte mir eine Kopie des Auszuges für eine Bearbeitung zur Verfügung.
Anmerkung:
Die Nachforschungen konnten 1992 im Wesentlichen abgeschlossen werden. Der Text sowie ein Foto sind Herrn Detlef Creyd , Köhlerweg in Holzminden für eine Veröffentlichung über " Zwangsarbeit für Rüstung , Landwirtschaft und Forsten im Oberwesergebiet 1939 - 1945 " im Landkreis Holzminden zur Verfügung gestellt worden.
Band 3 wurde 1996 herausgegeben.
Der Bericht wurde noch einmal gründlich durchgesehen im Oktober 1998 umgearbeitet.
Quellenangaben siehe bitte unterhalb des Textes