Nach einem Dienstregister aus dem Jahre 1610

Texte und Berichte zu Polle

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Nach einem Dienstregister aus dem Jahre 1610

- Herrendienst im alten Amt Polle -



In alten Bauernstuben und Dorfkrügen findet man noch häufig  ein Bild, das die verschiedenen Stände des Volkes darstellt, und der Spruch darunter, der ihre Eigenart kennzeichnen soll, lautet:


 Der König spricht: Ich fordere den Tribut.


 Der Edelmann: Ich habe ein freies Gut.


 Der Pfarrer:  Mir gehören die Stolgebühren.


 Der Jud sagt: Ich muß von dem Profite leben.


 Der Soldat sagt:  Ich bezahle nichts.


 Der Bettelmann spricht: Ich habe nichts.


 Der Bauer sagt: Ich laß den lieben Herrgott walten,


                           So muß ich sie alle sechs erhalten.



Damit hatte er nicht unrecht. An der Verpflichtung zu mancherlei Abgaben und Diensten hat es dem Bauernstande in früheren Jahrhunderten nie gefehlt. Sein Los war hart und entbehrungsreich. Erst war der deutsche Bauer ein freier Herr auf eigener Scholle. Sein Gut war unveräußerlich und unbelastbar. Als Gotteslehen empfing er den Besitz von seinen Ahnen, verwaltete ihn in hohem Verantwortungsgefühl gegenüber seinem Volk und gab ihn bei seinem Tode ungeschmälert und unversehrt an seine Kinder weiter. Erst mit der Einführung des Kirchenzehnten durch Karl den Großen geriet der Bauer in ein Abhängigkeitsverhältnis, das sich aus vielerlei anderen Gründen, die hier nicht erwogen werden können, immermehr verstärkte und schließlich zur Hörigkeit und Rechtlosigkeit führte. Hof und Scholle wurden Eigentum eines Grundherrn, der gegen die Leistung von Abgaben und Frondiensten den Schutz seiner Untergebenen übernahm und sie auch der Verpflichtung zu Heeresfolge enthob. Den früheren Eigenbesitz empfing der Bauer von seiner Grundherrschaft als erbliches Lehen.


Die bäuerliche Abgabeliste des Mittelalters glich in ihrer Vielgestaltigkeit dem verworrenen und unübersichtlichen Steuersystem vor 1933. Im Mittelpunkt stand der „Tegent“ oder Zehnte (in Heinsen sogar der Fünfte!), der nicht nur von Korn und anderen Früchten, wie Roggen, Weizen, Hafer, Gerste, Erbsen, Wicken, Rübsamen, Hopfen usw. zu entrichten war, sondern auch den sogen. Fleisch- oder Blutzehnten umfaßte. Er mußte von Rindern, Kälbern, Fohlen, Ferkeln, Lämmern, Gänsen, Hühnern usw. bezahlt werden. Daneben bestand die Verpflichtung, Wiesen- und Gartenzins und für neues Rodeland den Rode- oder Rottzins an den Grundherren zu entrichten. Fastnachts-, Mai- und Herbstbeede wurden als feststehendes Dienstgeld zu diesen Zeiten erhoben. Ursprünglich war die Beede vom Landesherren „erbeten“, dann aber zu einer selbstverständlichen Pflichtsteuer geworden. So ging es auch in manchen anderen Fällen. Eine anfängliche Sonderabgabe wurde nach und nach zur ständigen Einrichtung und vermehrte die Last und erhöhte die Fron. Die Anerkennung des grundherrlichen Obereigentums an der Scholle fand ihren Ausdruck in der Lieferung eines Rauchhuhnes, das aber nicht etwa geräuchert wurde, sondern für jeden Rauch, d. h. für jede Feuer- oder Herdstelle zu bezahlen war.


Am drückendsten aber empfand der Bauer neben diesen Abgaben die Leistung von Hand- und Spanndiensten. Im allgemeinen dienten die Kötner mit der Hand, die Meier dagegen mit dem Gespann,  und zwar wöchentlich 1 – 2 Tage. „Des Amtsmann Johann Drebbers zum Poll  Bericht von sämtlichen zum Amt gehörigen Diensten. Anno 1610“ oder, wie es an anderer Stelle heißt, des „Ambst Polla Unterdienstlicher Jedoch wahrhaffter Nokiger bericht wegen Gott- und Meiger Diensten Mit Angehengter Dienstfleißiger Bitte“ gibt darüber nähere Auskunft. Danach hatten die Meier ihre Hauptarbeit zur Säe- und Erntezeit zu verrichten, während sich für die Kötner das ganze Jahr hindurch Arbeit in genügender Menge vorfand. Für sie begann bald nach der Ernte das Dreschen, das von Anfang September bis Weihnachten dauerte. Zunächst mußte das Getreide für die neue Einsaat ausgedroschen und gereinigt werden, dann folgte das übrige Korn, das in den Zehntscheuern des Amtes lagerte. Gar oft mußte der Flegel geschwungen und mancher Schweißtropfen vergossen werden, ehe der Segen des Ackers auf den Kornböden ruhte oder die gelben Körner Händlern und Verbrauchern in die geöffneten Säcke rieselte, galt es doch, insgesamt an „Weitzenn – 8 fuder, Rogken – 44 fuder, Gerstenn  - 41 fuder und an Haberenn – 20 fuder“ auszudreschen. Dazu kamen an „Erbßen und Wickenn ohngefehr 5 fuder. – Jedoch wollen die Meuse alß ein straff Gottes noch Viel dabey thun, ehe es auß gedroschen.“


Für trächtige Kühe. Kälber und Rinder, Fohlen und Pferde hatten die Kötner das Futter zu schneiden. – Besondere Pflege und Sorgfalt verlangte der Hopfengarten des Amtes. Die Stangen waren zu hauen und anzuspitzen, der Boden zu düngen und zu harken, und schließlich mußten auch die Pflanzen angebunden werden. Auch die Instandhaltung der Zäune und Gräben, der Knicks und Hagen um Aecker und Weiden, um dem Wildschaden wirksam begegnen zu können, gehörte zum Pflichtenkreis des Kötners. Zahlreiche Arbeiter wurden wöchentlich beschäftigt, Mergel und Mist zu streuen, Steine vom Lande zu suchen, Quecken, Disteln und Hederich auszuziehen, auch bei der Mergelgewinnung behilflich zu sein. (Wie auch aus einer anderen Stelle hervorgeht, war das Amt in dieser Art der „Erfrischung“ der Ländereien für die Bauern beispielgebend.) „Flachs bräcken, ritzen, ribbenn und schwingenn“ erforderte ebenfalls viele Tagewerke. Selbst die mancherlei Kleinigkeiten: „an gurten zu flicken. Seilen in der Erndte zu machen, Wehden hawen (hauen) und andere nötige heusliche Arbeitt ausgesetzet, die teglich einem privato, geschwiegen uf Ambteren furfallen“, wollen erledigt sein und beanspruchen ihre Zeit. 16 Kötner finden tagaus, tagein Verwendung im Steinbruch und bei den Kalköfen, deren das Amt, je nach der Möglichkeit des Absatzes, 5 – 6 in Tätigkeit hält. Das Register berichtet hierüber: „Die Steinkuhlenn Afrumen, zum Kallichoffen denn Kallich helffen brechen, Intragenn; das grobe Knorrichte, Knodichte holtz uffhawen, zur fuhr aptiren (zurechtmachen), denn Kallichoffen tagk und nacht helffen auswarten, denn Kallich ausziehen und nötige Arbeitt dabey zu beschaffende......“  - Auch bei der Gewinnung von Neuland durch Rodung des Waldes ist der Dienst des Kötners nicht zu entbehren: „In Gottes nahmen ist angefangen 45 Morgen landes zu roden und dieses Jahr mit habernen zu besamende. Drauff stehen bey drey hunder dörre Eichenn, heinbuchen Viele, sonsten ists von Unnutzen buscholz ein solchener dicker busch, das Keiner Kann durchkriechen. Was dazu an Arbeit gehören will, stelle zu der hochvernünftigen Frx. (Fürstlichen) Hern Räthe großgönstigen Nachsinnen undt erkendtnutz Ich gantz unterdienstlichen.


Die Meierdienste erstreckten sich auf alle Gespannarbeiten, die zur Bestellung des Ackers und zur Einbringung der Ernte erforderlich waren. Das Zehntkorn von „bergen und Thalen“ mußte von den Meiern eingesammelt werden. Ferner war „das Korn aus den abgelegenen Zehendscheuren, wie auch Spreu und Achter Korn herab und ufs Ambt zu schaffende.“ Steine und Brennholz mußten sie zum Kalkofen liefern und auch für den Transport des fertigen Kalkes bis an die Weser Sorge tragen.


Die Zahl der nach dem Amtshaushalt zur Verfügung stehenden Gespanndienstleute belief sich auf insgesamt 59, wovon 41 Vollmeier und 28  Halbspänner waren. Infolge der außerordentlich schlechten Wirtschaftslage einiger Bauernhöfe waren jedoch nur 49 von ihnen imstande, ihre Dienstpflichten zu erfüllen. Die vom Amt landwirtschaftlich genutzte Fläche betrug gegen 900 Morgen, die aber zum größten Teile jenseits der Weser lagen, so daß die Bauern von Heinsen, Polle, Brevörde und Pegestorf erst übergesetzt werden mußten, ehe sie ihr Tagewerk beginnen konnten. Von dem Rest der Ländereien heißt es.: „Solchs selzamb zerstrewet an Vielen Unterschiedelichen örtern Und nicht in breden wie anderer örter ligt,....Teilß uf dem hohen Berge, darauf zu steigen die Pferde den morgen halb müde werden.“.....“Bey 580 Morgenn hinfuhro Uberm wasser, darüber man sie Morgens und Abents nacheinander setzen muß, nimbt bey Zwo stunden Wegk.“


Ueber die Kenntnis von den herrschaftlichen Diensten und Abgaben hinaus gestatten uns die gewissenhaften Eintragungen des Amtmanns Drebber einen tiefen Einblick in die sozialen und allgemeinen wirtschaftlichen Zustände zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Aus zahlreichen Zeilen spricht die bittere Not und Armut der Amtsuntertanen: „Kleine Kötner davon Uber ein Hundert so mehr nicht altz ein Hutlein (Hüttlein) und ein Kohlhoflein haben, offt drey auch Zwo in einem hauße wohnen.“ „Hermann Meyse, Hans Christoffer zu Heinhausen, Heinrich Hartmann zu Meyborßen, Heinrich Stapell zu Polla, welche wege dessen bey der Pfandt Zeit gar Verdarben, das sie Ihren Stiffkindern, bruderen schwestern zu Viell aus den guteren geben, dadurch so seer in Schulden Vertieffet, daß Keiner der Jezo ein handt Voll Korn im hauße hatt, wie sie fressen und Ihr Veihe halten, weis gott, und erfahret es der mit schmertzen, so mitt ihnen umbgehett.“  „Curdt Barteramb (Heinsen) ein Pracher undt bluttarm.“  „Dauerndt Porsig (Heinsen) hat bruder und schwester so viell zugesaget und gebenn, das er darüber arm wordenn, sein Landt Versetzet, fast Keine Pferde halten Kann.“ „Hans Schaper, Lüdiche gereken....Blutarme Leute.“ „Peter Johannknecht zu Meyborßen ist Lauter arm, ein Halbspenner.“ – „Kein Dorff darunter, so einen Anger oder Weide hatte, Inmaßen anderer Oerter, sondern Ihr armes Pferde Viehe inß holz schlagenn oder usen Stall sommers eben woll alß winters futtern mußen, Weiches Ihnen Unmuglich.“ „So hat dies Ambt durchaus keine Rinderhuete oder Weyde, habe sie an Solling getrieben, dar sechss und zantzig heubter ein Jharlang plieben.“ - Der Holzhandel, der sonst dem Amt eine gute Einnahme brachte, ist nicht lohnend, weil das Holz zu billig ist (ein Fuder 12 – 14 Groschen), die Fracht jedoch zu teuer kommt. Die einzige Möglichkeit der Verwertung besteht darin, es zum Kalkbrennen zu benutzen, doch ist selbst der Kalk nur schwer abzusetzen, weil dort, wo er bisher verkauft wurde, „die Pest verschienenen Jahr grassierte.“


So lasteten Not und Sorge, Armut und Elend auf den Amtsuntertanen, die selbst ihr gutmütiger und mitfühlender Vogt nicht zu lindern vermochte. Wie nahe er auf Betreiben seiner Vorgesetzten in seinen Forderungen an die Grenze des Möglichen herangekommen war, bezeugen seine Worte: „Ich getraue, was von mir in dem geschehen, furm hochsten Zinshern zuvorandtwurtende. Sollte Ich sie aber höher beschweren, würde meine Seehle deswegen in gefahr steckenn....Hetten dieße Arme Leute wi anderer örter. Jeder Viell Huefen Landt, wiesenwachs, stadtliche anger un Weyde, So thäten sie billich mehr.“ – Und doch schrieb ma erst das Jahr 1610. – Jenes entsetzliche Ringen, das 30 Jahre hindurch unsägliches leid, Verheerungen un Verwüstungen über deutsches Land brachte, stand auch den Menschen der Weserdörfer noch bevor.


Volle 200 Jahre noch mußte der Bauer die Fesseln der Grundherrschaft tragen, die sich langsam lockerten, jedoch erst um die Mitte des vorigen Jahrhunderts unter großen Opfern abgestreift werden konnten. Dem Führer des Dritten Reiches, Adolf Hitler, aber blieb es vorbehalten, dem Bauern und seinem Hof jenen Schutz wieder zu verleihen, den sie bereits vor über einem Jahrtausend besaßen. Blut und Boden sind von nun an wieder unlöslich miteinander verbunden und bilden die Grundpfeiler des neuen Staates.


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