Ganz Polle spielt Theater
Ganz Polle spielt Theater
Von Hans Hecht
I.
Leise radeln die Räder in den Abend. Kornwagen mahlen vor uns durch den Sand. Breit ausladend lasten die Garben und schwanken. Warmer Dampf arbeitender Pferde, Getreideluft und herber Heugeruch hängt in der Abendluft. Land und Wiese ruhen vom glühenden Sonnentag. Gänse schnattern über die Stoppeln: Erntezeit. ― Die hohen Wagen holpern und stoίen όber die Brόcke, geben uns Weg frei und Sicht: dunkel flieίt die Weser und mit scharfem Knick wendet sie von Nord nach Ost. Beidseitig treten die Berge heran und werfen lange Abendschatten auf Strand und Wasser. Still und selbstverstδndlich rollt die rotglόhende Sonnenkugel hinter den Tannen zur Ruh. Abendkόhle steigt aus dem Wasser. Hoch όber dem Weserbogen blickt die Burg. Hier mφgen einst nur wenig Ritter und Schilde und Getόmmel gehaust haben, es ist eher ein Burgchen und die ganze trotzige Gebδrde όber dem Weserflόίchen verwandelt sich in eine einlabende Gebδrde. Freundlich, geruhsam. An ihrem Fluί auf der Wiese am Weserschilf schlagen Faltbootfahrer die Zelte auf. Geschδftiges Leben dringt herauf. Und von nah her tφnt das Abendtreiben des Dorfes: Kuhgebrumm, Pumpenquitschen und Milchkannengeklapper. Da liegt es denn auch: sauber und aufgerδumt zwischen Weserburg und Weserberg im Talsattel und an die Hφhe herauf. Da liegt es in Samstagabendstimmung heiter und wie frischgewaschen: Polle an der Oberweser. Polle, der Badeort von morgen; Polle, die Stadt der Burgfestspiele; Polle, das einmal „Flammen όber seiner Heimat“ gehabt hat, als Tilliy in seiner Burg rumorte, Flammen, die ihm jetzt zum Segen werden. Weil sie der Zahnarzt aus der glimmenden Vergangenheit wieder zum Theaterfeuer angepustet hat. Denn ganz Polle spielt Theater. Nicht nur, wie das Programm es will, am Sonntag nachmittag, nein, dauernd, jetzt, jeden Augenblick, da kommt es uns leibhaftig entgegen: Federbarett und Schieίprόgel, schwere Landsknechtsstulpen und Reiterhosen. Zwar verhόllt ein grόner Lodenmantel den tapferen Krieger, aber zόndend springt es zu uns beiden όber: das Mδrchen beginnt, wie er da feierabendpfeifenrauchend mit leuchtenden Augen als Landsknecht durch unser bφses Zeitalter wandelt, lodenmantebedeckt. aber in Polle gibt es kein bφses Zeitalter: Nur Sonntag nachmittag hφrt man auf der Burg, daί es dies vor vielen hundert Jahren einmal gegeben. Sorgen wird es natόrlich immer geben und gibt es auch, aber kann man auch daraus nicht Gutes ziehen? Warum soll man zum Beispiel ein brennendes Haus gleich lφschen, wenn es doch lange vierzehn Tage zur Freude aller Fremden und Gδste weiterschwelen kann? Fremdenverkehr, Fremdenattraktion. Haben Sie schon mal ein brennendes Haus gesehen? Also bitte! In nδchster Nδhe sind zwei gute Gasthδuser und die Burg, wo Sonntag nachmittag.... Wir lehnen an unseren hochbepackten Fahrrδdern und schauen in das glimmende Holz. Stundenlang. Und nicht allein. Poller, Kurgδste, Landsknechte und Kinder. Stundenlang. Ab und zu stochert ein Stab in der Asche. Abendgesprδch plδtschert leise und friedlich. Irgendwo bellt ein Hund. Und der Weg ist mit alten Grabsteinen gepflastert. Die Zeit steht still.....
II.
Herr Prigge, Lehrer, Vorsitzender des Verkehrsvereins, Organist und Geologe, derzeitiger Darsteller des Tilly“, erzählt und Photographien und Bilder und Manuskripte und Zeitungen und Bücher türmen und häufen sich auf dem Schreibtisch und wir hören und hören, und das Herz geht uns beiden auf über der einfachen und starken Art, wie Polle das Leben zwingt, schön und voll fruchtbarer Arbeit zu sein. Alles fließt und alles wächst, da werden Pläne geschmiedet, Stücke gedichtet und Kurhäuser gebaut, da strömt von allen Seiten Gäste und Publikum, da gibt es Geld ― welch Wunder ― Geld und gemeinsame Freude, da gibt es einen Regisseur, der Lehrer ist und Hauptdarsteller, einen Organist, der Bόcher Schreibt und Bauplδne zeichnet, der Lehrer ist und Hauptdarsteller, da gibt es einen Dichter, der Stόcke schreibt όber Polle als Germanensiedlung, Polle und Karl der Groίe, Polle und Tilly, Polle und der alte Fritz, Polle und Napoleon, ein Dichter, der Zahnarzt ist und Hauptdarsteller, da gibt es Bodenwerder und Pyrmont, die keine Burg und keine Festspiele haben, die sich δrgern und „nun grade“ keine Autobusse am Sonntag schicken wollen. Und nδchstes Jahr wird aus der Burgruine eine stattliche Feste, denn eine kaputte Burg ist doch nicht halb so schφn wie eine heile, nicht wahr, und wir haben so schφne Einnahmen: immer Sonntags. Und wenn Herr Beerbom nicht wieder ein neues Stόck schreibt, mόssen wir halt Goethe oder Kleist spielen. Aber wenn Herr Beerbom......, das wδre doch eigentlich netter. Diesmal heiίt es „Flammen όber der Heimat“ und spielt im 30jδhrigen Krieg, hat daher 30 Sprecher ― der Apotheker ist auch dabei ― und 30 Statisten und 30 Leute mόssen hinter der Bόhne schieίen und der Gesangverein ist auch dabei . So erzδhlt er und erzδhlt, gemeinschaftlich starkes Erleben schwingt in den Worten, und Tor um Tor φffnet sich und die Wunder von Polle tun sich uns auf.
Nacht. Wir gehen herunter, neben dem brennenden Haus ist „Stadt Hannover“. Wir steigen die Treppe herauf, der Wirt kommt herunter: Zimmer 5, wenn Sie Frühstück wollen, müssen Sie’s sagen, und morgen geht er auf die Jagd; er kann nicht anders: Leise spricht er von seinem Wild und malt mit seiner tiefen langsamen Stimme das Erlebnis des erwachenden Waldmorgens, das taufrische und unberührte immer wiederkehrende Wunder des ersten lockenden Vogelrufs und das Atmen der Walderde: Der Wirt in Polle. Die Stiege knarrt..... Polle, das Märchendorf. ― ―
III.
Die Sonne lacht. Die Festspiele steigen. Autos, Autobusse, Radler, Faltbootfahrer und Motorräder knattern, klingeln und stapfen durcheinander. Es drängt, hastet, lacht und treibt vor dem Burgtor auf dem Dorfplatz. Dem kleinen Landsknecht an der Kasse läuft vor Aufregung und Sonnenhitze der schwarzgemalte Schnurrbart in den Kragen. Der Rest von Polle, der diesmal nicht „mitmacht“, steht im weißen Sonntagshelm Spalier. Freudiges Gemurmel: Da haust Herr Friedel mit seinem Jungbrunnen .... Schmiktopf, er schwingt den Pinsel, malt und klebt und schmiert, bis der fertige Indianerlandsknecht hinter der Bühne verschwindet. Und dann öffnen sich die Schleusen und es flutet in den Burghof. Uralte Linden schatten über die Holzbänke -. Sonnenkringel huschen durch die Zweige und liegen auf tausend Waschkleidchen und Sommerjacken. Das summt und lacht und brodelt durcheinander voll freudig aufgeregter Erwartung. Da stürmen sie aus Heinsen, aus Brevörde und aus Rühle, aus Bevern und aus Stahle und immer weiter, immer neu strömt es lachend zum Burgtor herein. Und dann geht es los und zweieinhalb Stunden tobt sich Polle aus in „Flammen über der Heimat“: da wird verraten, geschworen, geliebt, geschossen und gestorben, daß Spieler und Hörer in heller Freude leuchten. Da ist Lehrer Sürig, der lange Regisseur mit blauen Augen und blonden Haaren als edler, aber alter Burgamtmann, da ist Herr Prigge-Tilly, edel, mit großem Schnauzbart und Sturzhelm, da ist die schöne Dietburg, die Edle (Miß Polle!), trotz größten Seelenschmerzes graziös einstürzende Balken erkletternd, da ist Burckhardt, der edle Eidam, der Dichter selber mit rollendem Rr, die Tugend in Person. Da sind alle, die Amtmänner und Schultheiße und Krieger und Bauern, wie sie in Polle durch die Straßen laufen und schmettern mit tönend rasselnder Stimme in den Burghof hinein; da sind vor allem die vielen unsichtbaren Hände, die knallen und knattern, die pfeifen und brennen und trommeln und schießen, ein Hexensabbath ― bis das Unglόck passiert ist: ein Seufzen geht durch die Hφrer: die Tugend selber ist erschlagen, der Zahnarzt-Eidam wird auf einer Bahre von finsteren Mφnchen hereingetragen, Miί Polle sinkt verzweifelt nieder, der edle Tilly entblφίt sein Haupt. In Trδnen schwimmen alle Waschkleidchen aus Heinsen, aus Stahle, aus Rόhle und aus Brevφrde. Das alles gibt es da zu sehen, manchmal ist es „Wallensteins Lager“, manchmal sind es nur Worte des Herrn Beerbom, manchmal aber bricht es durch, episodenhaft, schlagartig und Innerstes berόhrend: wahre Gestaltung, manchmal vermφgen diese herrlichen Menschen Schminke und Perόcke abzutun, stehen da, Bauern aus Niedersachsenerde, grobstark, frei und ungebunden, und klar taucht unermesslich schφne Wahrheit auf: Starkes, wollendes Deutschtum liebt seine Heimaterde. ―
Autos und Wagen rollen ab, wir radeln in den Abend zurück. Und über die Straße läuft der Sohn vom Vater, das Wehrgehänge um die Kinderschultern, den lockigen Bubenkopf im Tillyhelm versteckt, sein Riesensäbel scheppert hinter ihm über die Straße: Polle und die Kunst. ― ―
Veröffentlicht: Göttinger Tagesblatt, Freitag den 2. September 1932