Eine Mastordnung aus dem Jahre 1612
Eine Mastordnung aus dem Jahre 1612
Wie der Herzog damals die entstandenen Streitigkeiten im Amt Polle beseitigte
Das Jahr 1854 brachte für unsere Gemeinde die Forstteilung, in deren Verlauf zwischen Gemeinde- und Staatsforsten verschiedene Waldteile ausgetauscht wurden. Zu dieser Zeit standen im „Kuhkamp“, am „Knick“ unterhalb des Eselberges und am Gieseberge umfangreiche Eichenbestände, die in den folgenden Jahren der Axt zum Opfer fielen. Das abgeholzte Gelände wurde an die Reiheberechtigten verteilt und von ihnen in harter Arbeit urbar gemacht. Jahrhunderte lang, bis zu der oben erwähnten Forstteilung, trieben alljährlich die Schweinehirten ihre Herden in diese Eichenwälder, wo sie den ganzen Sommer verblieben, um erst im Herbst wieder heimgetrieben zu werden. Soweit sich ältere Einwohner erinnern können, durfte jedermann eine beliebige Anzahl Schweine austreiben lassen und hatte dafür lediglich den Schweinehirten zu entlohnen. Anhand einiger alter Urkunden können wir jedoch feststellen, dass dies nicht immer so war. So sind in einer Mastordnung aus dem Jahre 1612 genaue Bestimmungen über die Zahl der einzutreibenden Schweine, dafür zu liefernden Masthafer und ähnl. getroffen. Der Wortlaut des alten Dokumentes folgt nachstehend:
„Von Der mast ordtnung. Zuwissen, als eine zeithero, so woll vom Ambtmann zu Polle, Johannsen D r ö b b e r n als auch den Eingesessenen daselbst, wegen der Dienst-Mast Höltzungen, auch anderer geklagter Beschwerungen allhier auf Fürstl. Rathstuben viele unterschidliche Klage worden.
Das demnach solche gebrechen in beysein und gegenwart des Durchlauchtigen und Hochgebornen Fürsten und Herrn, Herrn Friedrich Ulrich Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg unsers gnädigsten Fürsten und Herrn von Fürstlichen Braunschweigischen Kantzler und Rähten in Verhör gezogen, und nach mühseeliger gepflogener Tractation in Sachen nachfolgendergestalt Verabschiedet worden. Dieweil wegen Beytreibung der Mast am 6. Februar des jüngst abgelaufenen 1611. Jahres ein gewisse Ordnung daß nemlich zu voller Mast, der Meyer 12, der Halbspänner 9, der groß Köther 8, der Klein Köther 6 Stück Schweine, gegen den gewöhnlichen Mast-Habern eintreiben soll, gemacht worden. So läßt mans auch bey solcher nützlichen und den Leuhten selbst mit zum besten angeschaffter Verordnung verbleiben, jedoch wofern der eine oder ander so viel Speck-Schweine nicht in seiner Dehl-Zucht hat, daß er seine gesagte Anzahl nicht treiben könnte, soll dem oder denjenigen hiermit zu gelassen seyn, an deren statt ihre Fasel doch gegendie Gebüer einzutreiben, oder andere unsern Unterthanen vor sich, damit gleich woll hierunter die Armut in acht genommen werden möge, einzutreiben und die Anzahl wie viel jechlich einige treiben beym Ambte einschreiben zu lassen, wann aber keine Volle sondern Halb oder Sprang-Mast sich ergeben würde, soll dieselbe allezeit zu vor durch die Beambte und Förstern, wie auch die Amts Unterthanen selbst besichtigen und also auf fürgehende Befindung nach Land sittlichen Gebrauch erlaubt, und derselben gemäß eingetrieben und der Mast Haber dafür entrichtet werden. Dessen in Uhrkund seye dieser Abschnide zwey gleichlautes unter fürstliche Braunschweigische Kantzlen Secret verfertiget und den Parteyen mitgetheilet. Geben Wolfenbüttel am 22. Sbr. 1612 Friedrich Ulrich.“
So regelte der Herzog damals die entstandenen Streitigkeiten und brachte Klarheit in das Mastrecht. Wenige Jahre später bringt der 30jährige Krieg unsagbare Not über die deutschen Lande, auch unser Amt und Flecken Polle bleibt nicht verschont. Als 1648 der Westfälische Frieden dem Morden Einhalt gebietet, haben Krankheit und Hunger so furchtbar gewütet, dass Städte und Dörfer fast ausgestorben sind. Die ganze innere Kraft der deutschen Länder ist erforderlich, soll der völlige Zusammenbruch vermieden werden. Wechselvolles Schicksal erfahren die Länder in der Folgezeit. In Brandenburg-Preußen wächst ein Staat heran, der später führend in Deutschland werden soll. Unter dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm setzt eine starke Besiedelung des verödeten Gebietes ein. Preußen wird Königreich, Friedrich der Große einigt sich nach dem 7jährigen Kriege mit Österreich. Immer jedoch herrscht zwischen den einzelnen deutschen Ländern Zwietracht. Dieses macht sich Napoleon Bonaparte zu nutze und zerschlägt Deutschland in drei Teile: Österreich, Preußen und den unter französischer Oberhoheit stehenden Rheinland. Am 6. Oktober 1806 legt Kaiser Franz die deutsche Krone nieder, und ein tausendjähriges Reich hat zu bestehen aufgehört. 1807 wurde die ganze südliche Hälfte Hannovers und damit auch das Amt Polle dem neu errichteten Königreich Westfalen zugeteilt. Vor diesem Zeitpunkt lag die Verwaltung des Amtes Polle in den Händen eines Mannes von echt deutscher Gesinnung, des Drosten C. von Alten. Dieser fühlte sich für die neuen Verhältnisse nicht geeignet und legte daher sein Amt nieder. An seine Stelle trat als Maire der bisherige Amtsvogt Johann Heinrich O t t o. Aus der Amtszeit dieses Mannes, der die Bevölkerung häufig durch Bedrückung und Erpressung bis auf den letzten Groschen aussaugte, sind einige interessante Prozessakten vorhanden, die ebenfalls von dem Mastrecht Kunde geben. Die Akten tragen den Stempel des Königreichs Westfalen. Wir wollen einige hier wiedergeben:
„Wir Hieronymus Napoleon von Gottes Gnaden und durch die Constitutionen König von Westphalen Französischer Prinz p. p. thun hiermit kund: Das Districts Tribunal zu Rinteln hat in Sachen der Domäne P o l l e, H e i n s e n, M e i b o r ß e n und V a h l b r u c h und Namens derselben des Domänen Maire O t t o zu Polle, mit Autorisation des Präfectur-Raths des Leine-Departements, Kläger wider den Herrn Domänenpächter von A l t e n zu Polle, Beklagten, pto. debiti ein Erkenntnis erteilt:
D a r s t e l l u n g der Sache. Erschien der Procurator S c h w a r z e n b e r g Klägerischerseits in der öffentlichen Audienz am siebten April Achtzehnhundert und Zwölf, und trug Namens seiner Parthey darauf an, daß es Königlichem Tribunale gefällig sein möge, den Beklagten in contumaciam zu verurtheilen: Der Domäne P o l l e und H e i n s e n Fünfunddreißig Rthlr., der Domäne V a h l b r u c h Dreiundzwanzig Rthlr., Zwölf Mariengroschen, u. der Domäne M e y b o r s e n Eilf Reichsthaler Zwölf Mariengroschen für die benutzte Mast in die Domänen Kasse an den Domänen Maire auszuzahlen und die Kosten zu ersetzen.
T a t b e s t a n d. Der Klägerische Anwalt trug ferner vor, der Beklagte hätte in den Holzungen der im rubro genannten vier Domänen ganze Heerden Schweine von einigen hundert Stück zur Mast treiben lassen wozu derselbe durchaus nicht berechtigt seyn, indem ihm als vormaligen Drosten höchstens dreißig Stück in die Mast treiben zu lassen, bewilligt worden wäre. Gegen diese widerrechtlich angemaßte Mastgerechtigkeit hätte man klägerischerseits protestiert, dem Beklagten diese Protestation unterm fünften Oktober vorigen Jahres insinuiren und ihn auffordern lassen, seine Heerden Schweine binnen Vier und Zwanzig Stunden bey Vermeidung des Schadens und Kostenersatzes wieder aus den Masthölzern zurück zu nehmen. Der Beklagte aber habe dessen ungeachtet seine Schweine nicht zurückgenommen und die klagenden Domänen hätten darauf dieses widerrechtliche Verfahren dem Königlichen Präfectur-Rathe des Leine Departements angezeigt, und um Autorisation zur Anstellung der Klage gebeten welche unterm Acht und Zwanzigsten December vorigen Jahres erfolgt sey. Auf den Grund dieser Erlaubnis nun hätten die klagenden Domänen durch ihren Maire O t t o zu Polle die Klage gegen den Verklagten anstellen und demselben am dreyzehnten März dieses Jahres auffordern lassen vor Königlichem Tribunale des Districts Rinteln zu erscheinen und binnen gesetzlicher Frist einen Anwalt zu bestellen. Dieser Aufforderung habe aber der Beklagte nicht genügt, man bitte daher klägerischerseits um ein contumacial Erkenntnis.
R e c h t s f r a g e n: 1. Ist der Beklagte genügend vorgeladen und sein Ungehorsam dadurch erwiesen? 2. Kann die Klagende Parthey zum Beweis der Schadensforderung zugelassen werden?
Das Tribunal ertheilte hierauf nachstehendes Erkenntnis: In Erwägung, daß der Verklagte, binnen der gesetzlichen Frist, einen Anwalt nicht bestellt hat, und daher mit seinen etwaigen Einreden in contumaciam ausgeschlossen werden muß, daß aber die Richtigkeit der eingeklagten Forderungen bisher nicht gehörig bewiesen ist; schließt das Tribunal, nach Anhörung des Antrages Königlicher Procurator, den Beklagten in contumaciam mit seinen Einreden aus, und weist zugleich die Klägerin an, binnen einer Frist von vier Wochen, die Richtigkeit ihrer Forderung auf eine rechtsbeständige Art zu beweisen. Mit Vorbehalt der Kosten. Der Triunals huissier Uthof zu A e r z e n ist übrigens mit der Insinuation dieses contumacial Erkenntnisses beauftragt.
Erkannt zu R i n t e l n von dem Herrn Präsidenten Dagon de Lacontrie den Herrn Richtern W i e d e r h o l d, G r a e b e, J i m m i g und publiziert in öffentlicher Audienz am Achten Aprill Eintausend Achthundert und Zwölf. Unterzeichnet: D a g o n d e L a c o n t r i e, Präsident Unterzeichnet: V i e t o r, Secretär.
Wir befehlen allen Huissiers, welche dazu aufgefordert werden, dieses Urtheil in Vollzug zu setzen; unseren Generalprocuratoren und unsern Procuratoren bei den Gerichten erster Instanz hierüber zu machen; allen Befehlshabern und Beamten der öffentlichen Gewalt nach der an sie gehörig ergangenen Aufforderung dazu thätigen Beistand zu leisten. Zur Beglaubigung dieses ist das gegenwärtige Urtheil von dem Präsidenten und dem Secretär des Tribunals unterzeichnet. Für die Ausfertigung: der Tribunalssecretär V i e t o r.
Am 4. Mai 1812 überbrachte der Tribunals-Huissier Johann Friedrich U h t h o f dem Domänenpächter von A l t e n eine Abschrift des Contumacial-Urteils. Dieser mußte sowohl die Abschrift, als auch daß Original unterschreiben, die erfolgte Unterschrift wurde ihm von Uthof auf der Abschrift bestätigt. An Gebühren für die Zustellung zahlte Herr von Alten 8 Fr. 40 Ct., welcher Betrag ebenfalls auf dem Urteil quittiert wurde. Im weiteren Verlauf der Angelegenheit reicht der klägerische Anwalt Procurator S c h w a r z e n b e r g an daß königliche Tribunal in Rinteln ein Gesuch um Kostenbestimmung ein, dem der Präsident Dagon de Lacontrie mit Datum vom 6. Okt. 1812 stattgab. In dem Gesuch teilt Schwarzenberg dem Tribunal mit, daß die Parteien sich verglichen hätten und der Beklagte sich bereit erklärt hat, außer dem durch das Verfahren entstandenen Kosten eine Entschädigung, über deren Höhe er allerdings keine Nachricht gibt, zu zahlen. Hingegen weigere sich Herr von Alten, die von dem Kläger bereits bezahlten Kosten zu erstatten. Das beigefügte Kostenverzeichnis umfaßt 36 Einzelposten, die Gesamtsumme beträgt 88 Fr., 46 Zt. Der Friedensdroste des Friedensgerichts des Cantons B o d e n w e r d e r beglaubigte mit Stempel und Unterschrift die Richtigkeit, oder wie er schrieb, „die Treue“ der Kostenaufstellung.
Unterm 8. Nov. 1812 schließlich schreibt Herr von Alten in einem Brief an das Tribunal folgendermaßen:
„Auf die mir übersandte Kostenrechnung wegen des, der Domaine Polle abgeleugneten Mast-Rechts, übersende ich anliegend den, von Königl. Tribunal zu Rinteln bestimmten Betrag der Acht und Achtzig Franken Sechs und Vierzig Centimen, erbitte mir mit der Post eine Quittung und empfehle mich ergebenst C. E. G. von Alten.“
Dieser Brief setzte den Schlussstrich unter einen streit, in dem ein französischer Richter über einen deutschen Mann das Urteil sprach. Im folgenden Jahre nahte auch für das Amt Polle die Befreiungsstunde. Nachdem Napoleon geschlagen war, flüchtete König J e r o m e und ebenso sein Maire O t t o. Herr v. Alten übernahm dann für Hannover als Drost die Verwaltung des Amtes Polle und die lange Jahre hindurch gequälte Bevölkerung konnte endlich wieder aufatmen.
Autor und Veröffentlichung nicht bekannt.