Planmässige Anlage des Ortes Polle
Polle wurde planmäßig angelegt
Ein geschichtlicher Rückblick zur kommenden Siebenhundert-Jahr-Feier
Eine Loccumer Urkunde vom 19.2.1285 bezeugt einwandfrei eine damals bereits bewohnte Burganlage und berechtigt die Gemeinde Polle für das kommende Jahr 1985 zu einer 700-Jahr-Feier. Im Zusammenhange damit stellt sich die Frage nach dem Alter des Ortes, auf den sich der Name des Bergkegels, „de Poll“ = Schopf, Wipfel, lat. „in collibus“, übertrug.
Da eine Gründungsurkunde fehlt, sind wir auch in diesem Falle auf eine Ersterwähnung angewiesen. Sie befindet sich in einer Schenkungsurkunde des Grafen Ludwig von Everstein aus dem Jahre 1313, in der es um eine Schenkung an das Kloster Gehrden bei Brakel/Westf. geht. Unter den Zeugen tritt ein „Arnoldo plebano in Polle“ auf. Da unter dem Begriff plebano ein Priester zu verstehen ist, müsste es sich hier allerdings um den Prediger in der Burgkapelle handeln, weil eine Oberkirche erst viel später entstand.
Ein stattliches Gebäude, wenn auch ohne Dach, war die Oberburg
Polle noch auf dem Merian-Stich von 1654 (Ausschnitt)
Der gleiche Arnoldus wird in Urkunden der Jahre 1298, 1312, 1318 und 1319 als Pleban in Brevörde genannt. Danach muss er zugleich Pfarrer dieser Kirche und der Schlosskapelle gewesen sein. Unter weiteren Zeugen sind: Otto Domicellus (Knappe) comes de Everstein, Borchardus de Stenhem, miles Henricus dictus Rebock, Johannes de Bredenvorde famuli (Diener) et alii (und andere).
Ein höheres Alter zu vermuten
Weil das Datum einer Ersterwähnung und der Gründung eines Ortes selten gleichzusetzen sind, ist für Polle ein weitaus höheres Alter anzunehmen. Es ist von der Tatsache auszugehen, dass Burg und Ort zugleich entstanden. Zudem muss darauf hingewiesen werden, dass die Steilhanglage des Birkenberges nicht von sich aus einen Anreiz für eine Besiedelung bot, vielmehr Burg und Ort eine gemeinsame wehrtechnische Einheit bildeten. Noch im späteren 16. Jahrhundert betonte man in einigen Schreiben, dass Polle einst mit einer Ringmauer umgeben gewesen sei. Über Art und Umfang der Befestigung können nur Vermutungen angestellt werden. Der Name der heutigen „Mohrengasse“ deutet vielleicht auf eine „Mauergasse“ hin.
Was die Planung des Ortes angeht, sind die Siedlungskundler der Ansicht, dass Polle „eine wohl planmäßig geschaffene Zweistraßenanlage“ nach lippischem Vorbild ist (Lippstadt, Lemgo, Lügde u.a.). Käthe Mittelhäuser äußert sich diesbezüglich: „Der Ort wurde, seinem Grundriss nach zu urteilen, planmäßig zu Füßen der Burg angelegt. Der Grundriss ist einer der in damaligen Stadtanlagen sehr häufigen Leitertypen, also eine spitzwinklig zusammenlaufende Zweistraßenanlage mit untergeordneten Quergassen.“ Die beiden Hauptstraßen, die Burgstraße und die Mittelstraße, steigen den Birkenberg hinauf, während die Quergassen den Höhenlinien folgen. Die Dritte Straße, die Hintere Straße, wurde wohl später angelegt.
Residenz der Eversteiner
Nach den gründlichen Untersuchungen von Otto Gaul in „Die mittelalterlichen Dynastenburgen des oberen Weserraumes“ (Ostwestfälisch-weserländische Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde / S. 244 ff.) war die Blütezeit des Burgenbaues um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert, und zwar sowohl die Höhenburgen als auch die Wasserburgen. Ihre Gründer waren in der Regel Territorialherren. Über die Burg Polle schreibt Gaul:
„Höhenburg an der Weser. Von den Grafen von Everstein vielleicht schon um 1200 gegründet, jedoch erst 1285 erstmals erwähnt, als Polle nach dem Verlust des Eversteins die bevorzugte Residenz der Eversteiner wurde. An weiteren Eversteiner Burgen führt er auf: Holzminden, Ottenstein, Ohsen, Grohnde, Aerzen und Hämelschenburg. Die Genealogie der Grafen von Everstein von Prof. D.J. Meyer, Göttingen, gibt als den Gründer der Poller Burg nicht Otto V., sondern dessen Vater Hermann I. an und fügt hinzu: „auf Polle 1215.“ Leider fehlt jede nähere Angabe.
Was zu einer Burg gehörte
Zu den wichtigsten Gebäuden einer mittelalterlichen Burg gehörten nach O. Gaul (a. a. O.) außer der eigentlichen Befestigung der Bergfried, der Wohnturm, der Palas, die Kapelle, das Burgtor, der Brunnen, die inneren Wirtschaftsräume, wie Küche, Back- und Brauhaus, die äußeren Wirtschaftsräume, wie Stallungen für die Pferde und Unterkünfte für die Reisigen. Die Größe und Anzahl der Gebäude richtete sich in erster Linie nach den natürlichen Gegebenheiten, obwohl O. Gaul die Ansicht vertritt, dass nicht die Bergform, sondern der Gestaltungswille des Bauherren für die gesamte Anlage ausschlaggebend gewesen sei.
An erfahrenen Burgplanern wird es um 1200 nicht gefehlt haben. Auch Handwerker (Maurer, Steinmetzen, Zimmerleute), die die Technik des Burgenbauens beherrschten, standen wohl in genügendem Maße zur Verfügung. Fuhrleute oder ungelernte Arbeiter (Steinbrecher, Holzfäller) konnten jederzeit im Rahmen der „Burgfestdienst“ zur Hilfe herangezogen werden. Auch die Schifffahrt bot sich bei der unmittelbaren Flussnähe für den Transport von Lasten an. An Kalk und Lehm fehlte es ebenfalls nicht. – Das muss ein emsiges Schaffen und Wirken gewesen sein! –
Burg und Ort wuchsen zusehends. Die Neubürger rekrutierten sich – wie bei ähnlichen Gründungen – in der Hauptsache aus den umliegenden Siedlungen und beschleunigten deren Wüstwerden, Wilmerode, Robrechtsen, Villenhusen, Smidersen, Niederhummersen, Honroth u. a., die ohnehin auf kargem Boden um ihre Existens kämpft.
Burg Polle vor den Zerstörungen von 1623 und 1641, Rekonstruktion des Heimatforschers Lehrer Prigge †.
A: Mühlentor, B: Schandpfahl, C: Burghaus, D: Gefängnis, E: Burgscheune, F: 1-5 Burghöfe,
G: Amtshaus, H: Burgkapelle, I: Kavalierhaus, K: Oberburg.
Im unmittelbaren Umkreis der Burg lagen die Höfe der Burgmannen, von denen mehrere dem Namen nach bekannt geworden sind. Schon 1374 hatte Polle einen eigenen Rat mit einem eigenen Siegel, wie aus einer Urkunde hervorgeht.
Von den Welfen eingenommen
Durch den unheilvollen Eversteiner Erbfolgekrieg (1404 – 1407). In dessen Verlauf die Burg Polle am Ostermorgen des Jahres 1407 in die Hände der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg fiel, und durch den abschließenden Frieden zu Hameln (1408) verloren die Eversteiner ihre Machtstellung im Gebiet der Oberweser an ihre Gegner. Graf Hermann VII. musste die Poller Burg verlassen und nach Neustadt a. Rbg. in die Verbannung gehen. Durch die erzwungene Heirat seiner Erbtochter Elisabeth mit dem Herzog Otto von Lüneburg (1425) gingen alle Eversteiner Besitzungen an die Welfen über.
Die Burg hatte sich durch den erwähnten Überraschungsangriff als nicht so unangreifbar erwiesen, als man angenommen hatte. Die bei der Eroberung entstandenen Schäden konnten bald beseitig werden. Die neuen Besitzer bewohnten die Burg nicht selbst, sondern verpfändeten sie an Adelige. Die Pfandinhaber wechselten sehr häufig. An ihre Stelle traten später herzogliche Amtmänner, die über Einnahmen und Ausgaben Rechnung zu führen hatten.
Für den Übergang von der Pfandschaft zum „Haus Amt Polle“ wird im allgemeinen das Jahr 1504 angegeben, doch werden vorübergehend auch noch wieder Pfandinhaber genannt, so z. B. die Herren von Wrede, die durch mehrere Generationen mit Polle verbunden waren. Andere adelige Familien, die Eversteiner und nach ihnen herzogliche Lehen um Polle innehatten, waren die von Münchhausen, von Kannen zu Lügde, von Halle, von Bevern, von Oeynhausen zu Grevenburg u. a.
Braurechte und Märkte
Indessen entwickelte sich Polle trotz des argen Rückschlages infolge der Erbfolgefehde und des Abgangs der Eversteiner recht günstig. Als Flecken und neuer Amtssitz nahm der Ort unter den Gemeinden des Amtes eine bevorzugte Stellung ein. 1604 wurde Polle durch Herzog Heinrich Julius von Wolfenbüttel das Braurecht verliehen, nachdem der Rat sich mehr als hundert Jahre vergeblich darum bemüht hatte. Nun konnte die Bildung einer Brauergilde mit einer Brauerordnung erfolgen.
Ein Jahr später bekam Polle das Recht, in jedem Jahr zwei Märkte abhalten zu dürfen, nämlich einen „auf medardi“ (8. Juni) acht Tage einen Krammarkt und einen „auf Exaltatoinis (Kreuzes Erhöhung/14. September) drei Tage einen Viehmarkt auf dem Anger an der Weser. Durch Herzog Georg Wilhelm wurde 1657 dieses Marktrecht auf drei Markttage erweitert: montags nach Gregory (12.3.), montags nach Mariä Geburt (8.9. – Viehmarkt) und montags nach Andreä (30.11.). Fast gleichzeitig wurde den Schuhmachern die Gildegerechtigkeit erteilt. Während der Regierungszeit des verschwenderischen und stark verschuldeten Herzogs Friedrich Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel erhielt unter zahlreichen Orten der näheren Umgebung auch Polle das Recht zur Prägung von Kleingeldmünzen. Es war die berüchtigte Zeit der „Kipper und Wipper“ (1618/22) zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges.
Durch Tilly 1623 zerstört
Mit der Eroberung der Poller Burg durch die kaiserlichen Truppen unter Tilly im Jahre 1623 wurde die gesamte Unterburg in Schutt und Asche gelegt. Auch im Ort und in der ganzen Umgebung waren die Schäden und Verluste an Menschen, Vieh und Vorräten groß. Die Schweden vollendeten 1641 durch die Beschießung der Oberburg das Zerstörungswerk. Es dauerte sehr lange, bis die Bevölkerung sich von den Schrecken und Entbehrungen dieses Krieges erholt hatte. Wie die Burg vor ihrer Zerstörung im Jahre 1623 nach der Meinung des früheren verdienstvollen Heimatforschers und Poller Lehrers Hans Prigge ausgesehen haben soll, möge die beigefügte Zeichnung von 1949 verdeutlichen.
Burgruine und Flecken Polle nach einer Lithographie von Georg Osterwald aus dem Jahre 1835
Langsamer Wiederaufbau
Der Wiederaufbau setzte anfangs zögernd, im Laufe des 18. Jahrhunderts aber sehr zügig ein, worüber eine Aufstellung von 1798 Auskunft gibt. Das große Amtshaus wurde bereits 1656 errichtet, auch das große Kornhaus, in dem sich unten das Brauhaus befand. Ein Gebäude, das als Vorwerk bezeichnet ist, wurde noch während des Krieges (1643) erbaut. Sehr wahrscheinlich ist damit das älteste Gebäude auf dem Heidbrink gemeint. Ein Kälberstall (1701), ein Reisestall für fremde Pferde (1703), ein Ackerpferdestall (1709), eine zweite Beamtenwohnung (1709) ein Backhaus (1709), eine Schmiede (1720) und ein „Schweinehaus“ (1723) lassen erkennen, dass das Hauptgewicht auf die Belebung der Landwirtschaft gelegt wurde. Es folgten: die neue Scheune 1727, der Reitpferdestall 1731, die Vergrößerung des Schweinehauses 1737, ein großes Wagenschauer 1740, das Waschhaus 1741. Ein Amtsschreibergebäude wurde 1743 erbaut. Es enthielt neben einer Amtsstube und einer Schreiberei das Criminalgefängnis und eine Pförtnerwohnung.
Neues Amtshaus um 1747
Ein neues Amtshaus, das mit dem alten Flügel von 1656 kombiniert wurde, entstand 1747. Mit ihm wurde gleichzeitig ein Kutschschauer erbaut. Ein Strafgefängnis folgte 1750. Besonders betont wird die Errichtung von Mauern für die fünf Terrassen und nach dem Mühlenbache zu. 51 Stufen, die zur alten Burg hinaufführten, wurden 1784 neugemacht. Alles in allem eine stattliche Leistung!
Die Anhäufung mehrerer landwirtschaftlicher Gebäude auf dem Gelände der alten Unterburg wurde durch die Verlegung des Amtshaushaltes nach dem Heidbrink (1820 – 24) wesentlich durch Abbruch verringert. Jenseits der Weser wurde der landwirtschaftliche Betrieb aufgebaut, der fortan als Domäne an Oeconomen verpachtet wurde. Als 1885 die alten Ämter aufgelöst wurden und die neue Kreisordnung in Kraft trat, zog eine Oberförsterei in das bisherige Amtsgebäude. Die Burgruine wurde 1867 bis 1877 einer gründlichen Renovierung unterzogen, um sie Besuchern zugänglich und attraktiv zu machen.
Das Poller Amtshaus vor dem zweiten Weltkrieg. Nur der Torbogen ist erhalten geblieben.
Richtstätte am Birkenberge
Polle war im Mittelalter auch Sitz einer Land- und Wasserzollstätte. Die Zolleinnahme erfolgte durch Pächter. Von 1728 bis 1738 war Johann Hinrich Dormann aus Heinsen Pächter der beiden Zölle in Polle, Grohnde und Ohsen. 1819 ist ein Zollverwalter Deichmann erwähnt. – Hingewiesen sei auch auf die Gerichtsbarkeit des Amtes. Noch 1741 und 1742 fanden Hinrichtungen auf der Richtstätte am Birkenberge statt. Die Kriminalgerichtsbarkeit des Amtes wurde um 1820 dem Kriminalamt Hameln übertragen.
Die abermalige Zerstörung der Poller Unterburg in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges ist den meisten Poller Einwohnern noch in böser Erinnerung. Das Schicksal der Burg erwies sich auch diesmal als Schicksal des Ortes. Der Torbogen von 1656 mit den herrlichen Wappen seines Erbauers Herzog Heinrich Julius von Braunschweig und seiner Gemahlin Elisabeth von Dänemark überstand aber die feindlichen Beschießung und wirkt wie ein stiller Gruß aus vergangenen Tagen.
Burgen waren unentbehrlich
Abschließend sei hier ein beachtenswertes Urteil über die Funktion der mittelalterlichen Burgen aus der Feder des besten Kenners unserer niedersächsischen Geschichte, Prof. Dr. Georg Schnath, auszugsweise wiedergegeben: „Ohne Burgen ist weder das Werden noch die Verwaltung eines mittelalterlichen Territoriums denkbar. Sie waren Türme auf dem Schachbrett der dynastischen Gebietspolitik, Stützpunkte im Kampf aller gegen alle, Stätten der Zuflucht vor den täglichen Fehden und Räubereien. Aber sie wurden darüber hinaus Mittelpunkte der Rechtspflege und Verwaltung als Sitze der Ämter und Vogteien.“
Autor: Friedrich Wittkopp