Woher stammt der Name

„Zur Brille“?

Texte und Berichte zu Polle

Im Sommer des Jahres 1777 errichtete der Brevörder Einwohner Dietrich Speitling zusammen mit seinem Schwiegersohn Johann Heinrich Winter auf der zu Brevörde gehörende „Brille“ am jenseitigen Weserufer nahe Reileifzen eine Brinksitzerstelle: Nach den jahrhundertealten Meier- und Kötnerstellen bildeten die Brinksitzer die einzige Möglichkeit der Nach- und Neusiedlung. Das Bauland war knapp, und der Landhunger war groß. Jede Bebauung von Acker- und Gartenland bedeutete zu der Zeit eine Schmälerung der Zehnteinkünfte des Guts- oder Landesherrn. Wenig  ertragreiche Plätze am Dorfrand, an den „Brinken“, wurden in beschränktem Maße zur Bebauung freigegeben.

 


Wie selten jedoch von der Möglichkeit der Errichtung einer Brinksitzerei Gebrauch gemacht wurde oder gemacht werden konnte, bezeugen die entsprechenden Register des Haupt-stadtarchivs Hannover, die für das alte Amt Polle die Zeit von 1724 bis 1869, also rund 150 Jahre, umfassen. In diesem Zeitraum wurden in Polle 11, in Heinsen 16, in Brevörde 15, in Meiborssen 10, in Vahlbruch 16 und in Pegestorf 12 Brinksitzerstellen errichtet. Dabei handelt es sich durchaus nicht immer nur um Neubauern. Oft waren es auch nur Umbauten landwirtschaftlicher Nebengebäude zu Wohnzwecken.

 


Man war in seinen Ansprüchen recht bescheiden, - Stube, Kammer und Küche mussten genügen. Oft fehlte es an dem notwendigen Wirtschaftsraum in Hausnähe: Platz für das Brennholz, Stallung für Kleinvieh und eine Dungstätte. Die Enge und Dichte unserer südhannoverschen Dörfer sind ein beredtes Zeugnis für die damalige Wohnungsnot. Es blieb der noch größeren Not der Nachkriegsjahre vorbehalten, hier einen gründlichen  Wandel zu schaffen, Bauland freizugeben und moderne Wohnungen im Stile unsere Eigenheime zu errichten.

 


Die Bedeutung des Namens


 

Ob es sich bei dem Namen Brille um eine überlieferte Flurbezeichnung oder um die Neuschöpfung eines Spaßvogels handelt, ist schwer zu sagen. H. Meyer, Bodenwerder, der 1843 im „Hannoverschen Magazin“ einen historischen Beitrag über das Amt Polle veröffentlichte, schreibt dazu wörtlich: „Die Brille, ursprünglich zu einer Försterwohnung erbaut, um das Bruchholz vor den ruinierenden Beschädigungen von Seiten der Einwohner des braunschwei-gischen Dorfes Reileifzen zu schützen. ‚Wi willt ju nu’n Brill upsetten!’ haben die Poller dabei den Reileifzern gesagt und dies gibt man als den Ursprung des Namens an“.


 

Rudolf Riege ist in seinem „Kleinen Weserlexikon“ (S. 82) anderer Ansicht: „Das Gasthaus zur Brille, drei Kilometer unterhalb Brevördes, hat seinen Namen wahrscheinlich davon bekommen, dass es am Mittelpunkt der brillenartigen Schleifen der Weser zwischen Forst und Rühle gelegen ist“.


 

Beide Deutungen haben etwas für sich. In der Tat übte der Siedler Dietrich Speitling den Beruf eines Forstaufsehers aus, wie aus einigen Dokumenten des heutigen Besitzers hervorgeht. Seine Wohnung war dennoch keine Dienstwohnung, sondern Privateigentum. Er genoss das Vertrauen seines früheren Vorgesetzten, des „Königlich-Churfürstlichen Oberförsters Martin Friedrich Ahlers“, der dem Bauwilligen 400 Taler „in Pistolen“ zu drei Prozent, also zu 12 Talern jährlich Zinsen, lieh. Die Schuld- und Pfandverschreibung wurde am 17. November 1777 unter Beachtung aller Sicherheitsmaßnahmen von Seiten des Geldgebers vor dem Amtsgericht zu Polle ausgefertigt. Ahlers war inzwischen nach Brevörde versetzt worden, wohin auch die fälligen Zins- und Tilgungsbeträge in  Gold zu entrichten waren.


 

Die Wohnung, die wenige Jahre später durch einen Scheunenbrand ergänzt wurde, lag in unmittelbarer Nähe der braunschweigisch-hannoverschen grenze, die von Ottenstein nach Grave herkommend, hier die Weser überschritt und von Reileifzen nach Forst weiterführte. Gewisse Aufsichtspflichten waren Speitling also zweifellos übertragen.


  

Eine alte Flurbezeichnung


 

Rieges Ansicht, wonach man die beiden Weserschleifen ober- und unterhalb dieser auf dem hohen Prallhang gelegenen Stelle mit einer Brille, wenn auch von einer unterschiedlichen Größe der beiden Gläser, vergleichen könne, klingt glaubhaft.

 


Und doch ist diese eigenartige Bezeichnung vermutlich viel älter; denn schon 1777 heißt es „auf der so genannten Brille“, und so schnell hätte sich der Name nicht eingebürgert, dass er in einer Amtsakte Eingang gefunden hätte. Mit größter Wahrscheinlichkeit ist die Bezeichnung auf einen alten Flurnamen mit einem ähnlichen Klang wie „Brille“ zurückzuführen, der dann vom Volksmunde umgeformt und umgedeutet wurde. „Brühl, Briel, Priel, mittelhochdeutsch bruel, brüel, althochdeutsch Bruil“ ist eine in fast ganz Deutschland gebräuchliche Benennung für eine „sumpfige, mit Buschwerk bewachsene Wiese“ (Flurnamen-Sammlung von Vollmann/München 1926 S. 32).

 


Diese Meinung wurde von dem jetzigen Besitzer Karl Winter bestätigt. Er konnte sich erinnern, dass oberhalb seines Hauses Wasserlöcher waren, in denen der Vater und Großvater Fische hielten. Die ehemaligen Sümpfe sind inzwischen verlandet.

 


Scherbenfunde auf dem Acker

 


Die Flussaue oberhalb der Brille ist alter Kulturboden, wie zahlreiche Scherbenfunde bezeugen, die der Besitzer im Laufe der Jahre auf seinem Acker machte. Vermutlich gehören sie dem Spätmittelalter an; ein höheres Alter ist aber nicht auszuschließen. Größere Ländereien, Brevörde gegenüber, waren denen von Münchhausen zu Schwöbber zehnt-pflichtig. Eine andere Fläche trug noch 1821 auf einer Handzeichnung, die gelegentlich eines Tauschkontrakts angefertigt wurde, die Bezeichnung „von Rheden-Breite“. Auch der auf alten Karten eingetragene Flurname „Hinter den Höfen“ deutet auf eine untergegangene Siedlung hin. Dazu schreibt Meyer „Amt Polle“/ Hannov. Magazin 1843:

 


„Die Sage erzählt von einem Landgute, welches hier gelegen und zuletzt im Besitz einer Erb-tochter der Familie gewesen sei. In den Zeiten des Faustrechts hätten wilde Ritter sie davon vertreiben wollen; da habe sie gebeten, man möge sie noch einmal säen und ernten lassen. Dies sei ihr bewilligt und sie habe nun das  Feld mit Eicheln besamt, woraus das Bruchholz entstanden sei“.  (Diese Sagenart wiederholt sich an vielen anderen Orten).

 


Eine „Hängemühle“ auf dem Fluss


 

Übrigens weist der Name „Bruchholz“ auch auf ein ursprünglich sumpfiges Gelände hin, das vor undenklichen Zeiten von den Wassern der Weser überspült wurde. Nach Meyers Angaben teilte sich die Weser bei der Furt, die dem Ort Brevörde (Breden Vörde=Breite Furt) dem Namen gab, in zwei Arme, von denen der seichtere 1729 eingedeicht wurde.

 


Dort wo dieser zweite Arm sich wieder mit dem ersteren vereinigte, stand vor Zeiten eine so genannte „Hängemühle“ auf dem Fluss. Sie trug ihren Namen von dem Umstand, dass die Achse mit den Mühlenrädern an Ketten hing und je nach Bedarf gehoben oder gesenkt werden konnte. diese Mühlenart, die heute völlig ausgestorben ist, trägt auch die Bezeichnung „Panstermühle“. Der Flurname „In der Hängemühle“, der übrigens auch in alten Grenz-beschreibungen auftaucht, ist noch heute gebräuchlich, wie Herr Winter bestätigte.

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Woher stammt der Name „Zur Brille“?


Das Gast- und Pensionshaus bei Brevörde.

Vor 200 Jahren als Brinksitzerstelle gegründet.

Gaststätte und Sommerfrische seit 1886

Am Weserufer bei Reileifzen gegenüber von Brevörde grüßt das Gast- und Pensionshaus „Zur Brille“,. Es wird in der siebenten Generation von der Familie Winter bewirtschaftet.

Der ehemalige Stelleninhaber Friedrich Winter erhielt am 27. Januar 1886 „die polizeiliche Erlaubnis zum Betriebe einer Gast- und Schankwirtschaft“, die jeweils an die Person  und das Lokal gebunden war und im Erbfalle erneuert werden musste. Von 1777 bis heute haben sieben Generationen der Familie Winter die Ländereien und später auch den Gast-stättenbetrieb bewirtschaftet. Getreu der Balkeninschrift über dem Scheunentor: „Den Frommen gibt Gott Güter, und wenn ihre Zeit kommt, gedeyen sie woll“ hat sich das Anwesen entwickelt.

 


War die „Brille“ schon zwischen den beiden Weltkriegen für jung und alt von nah und fern ein beliebtes Wanderziel, ist sie heute zu einem modernen Erholungsort geworden. Das Gast- und Pensionshaus „Zur Brille“ (Inh. Karl Winter) bietet seinen zahlreichen Gästen neben der Stille und Einsamkeit des nahen Waldes die Behaglichkeit seiner Räume und die Gepflegtheit seiner Küche.

 


Veröffentlicht: DEWEZET, 22. Oktober 1977   (Feierabend an der Weser)

Autor:  Friedrich Wittkopp

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