Wieder
zurück zum Holz
Seit 100
Jahren drechselt Familie Bertelsmeier in Polle
Gedrechseltes
Kunsthandwerk – „ein blühendes
Geschäft“.
Es riecht nach Politur und
nach Holz- und Holz findet sich denn auch überall in
Ralf-Christian Bertelmeiers (24) 40 Quadratmeter kleiner Werkstatt an
der Pyrmonter Straße: ob noch völlig unbearbeitet
hinter der Drehbank direkt unterm Fenster, oder schon zugeschnitten an
der großen Säge auf der gegenüberliegenden
Seite. Ob als Sägespäne auf dem – wie
könnte es anders sein – ebenfalls hölzernen
Fußboden oder als schmuckvoller Kerzenständer im
Wandregal neben einer ganzen Palette so eigenartiger Werkzeuge wie
Schlichtstahl, Schrabbröhre oder Formstahl.
Arbeitsgerät, das schon einige Jahre auf Klingen und Schneiden
hat - das sieht man. Arbeitsgerät, das vor Ralf-Christian
schon Urgroßvater Christian Bertelsmeier in der Hand hatte,
als er vor genau 100 Jahren eine Drechslerwerkstatt eröffnete.
Nicht nur am
Arbeitsgerät, auch am Arbeitsalltag hat sich seitdem nur wenig
geändert in der Bertelmeierschen Drechslerei: Sie ist eine der
wenigen in der ganzen Republik, in der noch heute sämtliche
Gegenstände vollkommen in Handarbeit gefertigt werden.
„Bis auf Bohrer, Motorsäge und einen
Motorgetriebenen Hobel ist bei uns kein Platz für
Maschinen“, stellt Ralf
Christian Bertelsmeier klar.
Ohne Nostalgie
Und das hat nichts mit
Nostalgiedenken oder purem Idealismus zu tun: Gerade weil der junge
Drechslermeister sich durch die individuelle Gestaltung seiner Arbeiten
deutlich von der „Automatenware der Holzindustrie“
(Bertelsmeier) abhebt, sind seine hölzernen Lampen, Leuchter,
Schalen und vor allem die kunstvoll gedrechselten Treppendoggen so
gefragt. Keine Frage: Er ist in Fachkreisen ein Geheimtipp. Ob in
Holzminden oder in Hameln, in Pyrmont, Bodenwerder oder in Steinheim .
bei Tischlern im gesamten Umkreis liegen seine Musterbogen aus, sind
die hölzernen Treppenstäbe mit den scharfen,
deutlichen Konturen gefragt.
Erst
Banklehre, dann doch in Vaters Fußstapfen: Ralf-Christian
Bertelsmeier (24).
Und so mancher Kunde kommt
ein zweitesmal: mit eigenen Skizzen, Entwürfen oder auch einer
Idee, die er von Bertelsmeier in Holz umsetzen lässt.
Über Arbeitsmangel kann der junge Meister jedenfalls nicht
klagen: „Zehn und auch mal zwölf Stunden in der
Werkstatt, das ist durchaus normal.“ Man muss nur in die
Regale sehen, man glaubt es ihm sofort: Lampen, Leuchter, Schalen,
Eierbecher sogar Spielzeug – was auch immer sich an
Haushalts- und Gebrauchsgegenständen in Holz herstellen
lässt, findet sich hier bestimmt. „Kunstgewerbe ist
heute ein blühendes Geschäft“,
weiß Ralf-Christian Bertelsmeier.
Familientradition
Das war nicht immer so: Das
Aufgabenfeld hat sich geändert, seit Urgroßvater
Christian Bertelsmeier sich nach etlichen Jahren auf der Walz in Polle
sesshaft wurde, heiratete und im „Bracken“ eine
Drechslerwerkstatt eröffnete: Spinnräder und
Regenschirme, Arbeitsgerät für die Landwirtschaft,
aber auch schon die ersten Treppengeländer und
Haushaltsgegenstände entstanden auf seiner Drehbank. Und daran
hat sich auch nichts geändert, als Sohn Friedrich 1920 den
väterlichen Betrieb übernahm und auch nicht mit dem
Umzug in das Neugebaute Wohnhaus samt Drechslerei in die Pyrmonter
Straße, wo der Betrieb noch heute zu Hause ist.
Ganz anders wurde es erst in
der dritten Generation: mit Helmut Bertelsmeier, der
überwiegend für die Möbelindustrie Holz in
die Drehbank eingespannt hat, Schrankfüße, Stuhl-
und Tischbeine gedrechselt, aber auch Teile für die
Restaurierung von Antiquitäten gefertigt hat – etwa
für das Treppengeländer und die Balustrade im
Hamelner „Bürgerhaus“.
„Im
Bracken“ richtet Firmengründer Christian
Bertelsmeier die erste Drechsler-Werkstatt
ein
Erst Banklehre
Die Bertelsmeiersche
Drechslertradition schien zu Ende zu gehen, als Helmut Bertelsmeier vor
vier Jahren starb: Sohn Ralf-Christian war zwar im väterlichen
Betrieb groß geworden, hatte selber schon seine ersten
Stücke gedrechselt, aber trotzdem eine Lehre als Bankkaufmann
begonnen. Auf ausdrücklichen Wunsch des Vaters, der schwarze
Zeiten für sein Handwerk vorausgesehen und dem
Sprössling dringend davon abgeraten hatte. Doch die
Drechslerei liegt den Bertelsmeiers offenbar im Blut: „Die
Arbeit in der Bank sagte mit überhaupt nicht zu, ich wollte
unbedingt zurück zum Holz“. Es blieb nicht beim
guten Willen: 1986 trat Ralf-Christian Bertelsmeier seine
Drechslerlehre in Hannover an und trat im letzten Jahr nach bestandener
Meisterprüfung in Vaters Fußstapfen.
Bereut hat er es bis heute
nicht: „Ich mag das Holz und seine Vielfalt und vor allem das
schöne Gefühl, wenn man sieht, was man aus einem
vorher vierkantigen Stück Holz geschaffen hat“. Man
glaubt es ihm sofort, wenn er beteuert: „Solange ich mich
damit über Wasser halten kann, bleibe ich dem Handwerk
treu.“
Veröffentlicht:
DEWEZET, 20.07.1989 - Autor:
Martina Köllner
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