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Deister- u.
Weserzeitung / Viertes Blatt
Nr. 226
Hameln, Sonnabend, 26.
September 1931; 84. Jahrg.
von G. Poton
Das
ehemalige Amt Polle
Kaum ein Gerichtsbezirk im
ehemaligen Königreich Hannover hatte so verschiedene
Grenznachbarn, als der Amtsbezirk Polle. Er grenzte südlich an
Preußen (Westfalen), westlich an Lippe-Detmold, nordwestlich
an die waldecksche Grafschaft Pyrmont, nördlich und
östlich an das Herzogtum Braunschweig. Ein kleiner
abgetrennter Teil, die Dorfschaft Pegestorf mit ihrer Feldmark, hing
mit dem ebenfalls eine Enklave bildenden Stadtgebiete von Bodenwerder
zusammen.
Keine Gegend des
hannoverschen Landes übertrifft das Amt Polle an
Naturschönheiten. Wer sich an einer großartigen
Aussicht erfreuen will, die manchen Rheingegenden nichts nachsteht, der
fahre von Heinsen bis Bodenwerder die Weser abwärts. Das
bisher weite, prachtvolle Flusstal verengt sich hier zum
mäßig schmalen Passe. Lieblich
grüßende Wiesen und mit Vieh bestandene Weiden
durchwogt der Strom, indem er voller hier und mächtiger
erscheint in der beschränkten Umgebung. Der lebhafte
Wasserverkehr und Schiffbau des Dorfes Heinsen macht dieser
werktätigen Talgegend, den Charakter des Idyllischen streitig.
Weiter wird jetzt das Tal. Mächtige Berge lagern sich
hintereinander, die nächsten tauchen gleichsam ihren
Fuß in die kühlen Wellen, und ihre waldreichen
Formen treten in klarer Bestimmtheit hervor, während die
ferneren Höhenzüge lichtblau umschlossen sind.
Düster ragt mit krausen Linien der waldige Vogler empor und
schließt im Norden das herrliche Landschaftsbild kraftvoll
ab. Im Südwesten erblickt man den mit einer kühn
gewölbten Kuppe hochragenden Köterberg, den Brocken
des Weserberglandes. Neben dem ehemaligen stattlichen Amtshause
türmt sich terrassenartig der Flecken Polle empor, nur
überragt von dem nahen burggekrönten Berggipfel. Die
Weser hat sich zwischen den Dörfern Reileifzen und Grave
durchgewunden, der Glanzpunkt des ganzen Wesertales erscheint: die
Steinmühleklippen. Aus den Klüften des seltsamen
Bergmassivs brechen klare Quellen und schäumende
Gießbäche hervor; hier hängt die
klappernde, urkundlich bereits 1266 erwähnte
Steinmühle wie ein ein leck an die Felswand gebautes
Schwalbennest; die das bemooste Naß antreibende Quelle ist
seit jener Zeit noch niemals versiegt. Breitbeschwingte
Raubvögel umstreifen krächzend die Felskegel
– kurz, ein unbeschreiblich anziehendes Landschaftsbild.
Der Anblick der Burgruine
Polle erinnert uns an vergangene Herrlichkeit. Die Ruine ist im ganzen
gut erhalten. Wieviel auch die Tillyschen und schwedischen Kanonen
davon zerstörten und wie viel auch der Zahn der zeit daran
nagte, so ist doch manches noch geblieben,
was den die Heimatkunde liebenden Geschichtsforscher
und Schriftsteller auf die frühere Einrichtung des festen
Schosses schließen lässt. Der Umfang der
eigentlichen Burg ist nicht so ausgedehnt, wie der mancher anderer
Burgen; er beträgt durchschnittlich 30 mal 20 Meter. Die
freundliche, reizvolle Umgebung und die herrliche Aussicht, welche man
von den Trümmern aus nach allen Seiten genießt,
geben indessen der Burg zu Polle vor vielen anderen
Schloßruinen einen großen Vorzug.
Das ehemalige Amt Polle,
welches fast überall bergig ist, bedeutende Waldungen im
Süden enthielt, und dem bewohnten Theile nach auf einen
verhältnismäßig kleinen Raum
beschränkt war, umfaßte im Jahre 1850 vierzehn
Ortschaften mit 4467 Einwohnern. Aus dem urkundlichen Dunkel tritt
diese Gegend zuerst durch die Beschreibung des vorjährigen
Eroberungskrieges den der fränkische Kaiser Karl der
Große (768 – 814) gegen die heidnischen Sachsen
geführt hat. Der Schauplatz seines zweiten
sächsischen Feldzuges fällt ziemlich in die
Nähe von Polle. Bei dem heutigen Lobach, einem hart unter der
Burg Everstein gelegenen braunschweigischen Dorfe, ließ der
Frankenkaiser einen Teil seines Heeres stehen, um mit dem anderen nach
der Oker zu marschieren. Nach der Skidroburg (casrum Saxonum), dem
jetzigen Schieder, wurde im Winter 784 die Hofhaltung des kaiserlichen
Sohnes, Ludwig des Frommen, gelegt, und in dem nahen Lügde
(villa Lindiki) feierte letzterer 785 das Weihnachtsfest. Als Kaiser
Karl die Sachsen sich unterwarf, wurde das Land nach
fränkischer Weise in Gaue (Gerichtsbezirke) geteilt, denen
Grafen als Richter vorgesetzt wurden. Zum Gau Auga und zur
Paderbornschen Diözese gehörte der südliche
Teil des ehemaligen Amtsbezirkes; der übrige,
größere Teil zum Gau Tilithi und zur
Diözese Minden. Die Grenzlinie ging unterhalb Heinsen durch,
dann über den Köterberg fort bis an die Emmer. An der
östlichen Seite gehörten noch mehrere, jetzt
braunschweigische Ortschaften am rechten Weserufer, wie Rühle,
Dölme, Reileifzen, aus denen der Bischof von Minden den
Zehnten bezog, mit in den Gau Tilithi. Der Vogler (Fugleri) bildete
hier die Grenze gegen den Gau Wikangfelde und Diözese
Hildesheim.
Die karolingischen
Einrichtungen verloren bald immer mehr an Festigkeit und Geltung, als
die starke Hand fehlte, die das Ganze zusammenhielt. So war es
besonders hinsichtlich der Gauverfassung. Unter den Dynasten erscheinen
die von Everstein seit dem Jahre 110, dann als Grafen von Everstein
zuerst in einer Urkunde von 1142 als reich begüterte Herren,
namentlich im ehemaligen Amtsbezirk Polle. Wann die Grafen von
Everstein in den Besitz von Polle gelangten, steht nicht fest. 1285
nahmen sie ihren Wohnsitz im Schlosse Polle. Eine in diesem Jahre
ausgestellte Urkunde, worin ein Graf Otto seine von dem Grafen von
Schwalenberg erworbenen Güter in Gestorf dem Kloster Loccum
überließ, tragen wie auch andere, später
ausgestellte Urkunden das „datum in castro nostro
Poll“. Das zwischen Polle und Stadtoldendorf gelegene
Schloß Everstein, ihre bisherige Wohnstätte, hatte
sie in demselben Jahre veräußert, und auch das
Schloß Holzminden nebst der Stadt traten sie damals
für 2000 Mark Silber an den Erzbischof Siegfried
von Köln ab. Festgestellt ist, daß sie schon
früher einen dem Schlosse zugerechneten Bezirk
besaßen.
Nachdem der willensstarke
mächtige Herzog Heinrich der Löwe in die Reichsacht
getan und seines Herzogtums verlustig erklärt war wurden die
meisten abhängigen Edlen des Herzogs tatsächlich
unabhängig. Zu diesen
unabhängigen gewordenen Adeligen gehörten auch die
Grafen von Everstein. Sie hatten völlige Landeshoheit, seitdem
sie urkundlich Polle besaßen. Auch später standen
sie gegen die Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg in
keinerlei Abhängigkeitsverhältnis. In dieser
fehdereichen Zeit scheint das Verhalten der Eversteinschen Grafen gegen
die Welfen sehr schwankend gewesen zu sein. Nicht nur
verwandtschaftliche Verhältnisse, sondern in erster Linie die
ihren Besitzungen drohende Gefahr, die sich besonders 1178 bei einem
Kriegszuge des Erzbischofs Philipp von Köln an die Weser
ergab, mag die betreffenden Grafen bestimmt haben, damals auf die Seite
des Hohenstaufen zu treten.
Im Laufe der Zeit waren die
Eversteinschen Besitzungen u. a. auch durch fromme Abgaben an
Klöster stark zusammengeschmolzen. Bei weitem mehr aber noch
war von den außerhalb der Herrschaft Polle gelegenen
Gütern verloren gegangen nicht allein durch
unglückliche Fehde, sondern auch durch
Veräußerungen und Verpfändungen. Immerhin
waren die Güter noch sehr ansehnlich, als
außer einem unverheiratet gebliebenen
Bruder, Graf Hermann VIII., als einziger Sproß der Familie zu Ende des 14. Jahrhunderts
ohne legitime Erben lebte. Graf Hermann schloß nun eine
Erbverbrüderung mit Simon und Berend, Herren zu Lippe am 6.
Juni 1403 wodurch eine ewige Vereinigung der beiderseitigen
Länder beabsichtigt war. Graf Hermann nannte sich nun: Graf
von Everstein und Herr zur Lippe, und die lippischen Herren
führten fortan den Titel: Herren oder Junker zur Lippe und von
Everstein. Dem Grafen wurde übrigens bald darauf eine Tochter
geboren. So bündig auch der Vertrag gemacht war, gelang es den
Lippern doch nicht die Eversteinsche Herrschaft zu erhalten. Sie kam
vielmehr an die Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg.
Die Uebertragung der
Grafschaft an dieses Herrscherhaus, obgleich im Grunde ein
„verhasstes Müssen“, war der Form nach
eine freiwillige Zession, veranlasst durch die Fehde der Herren von der
Lippe mit den braunschschweigisch-lüneburgischen
Herzögen zu Anfang des 15. Jahrhunderts, die mit dem Siege der
endete.
Am 8. Februar 1407 wurde das
Schloß Polle erobert. Herzog Heinrich erstieg als erster die
Mauern zur Nachtzeit, als die Besatzung keinen Angriff erwartete. Auch
das Städtchen Horn wurde eingenommen und das Schloß
Falkenberg verwüstet. Ueberall wurden große
Verheerungen angerichtet. Tapfer kämpften die Belagerten,
unter denen sich der alte Junker Simon besonders bewährte. Er
nötigte sogar die Feinde zum Abzuge aus seinem
Ländchen. Da Graf Hermann fürchten mußte,
bei dem Ringen mit
der Uebermacht alles zu verlieren, schloß er Frieden mit den
Herzögen in Hameln am 20. Januar 1408. In dieser Uebereinkunft
verlobte er seine einzige Tochter Elisabeth (Elsabe) mit dem
Welfenherzoge Otto von der Heide, Herzogs Bernhard Sohn, und verschrieb
ihr seine Besitzungen Aerzen, seinen Teil an Ohsen,
Hämelschenburg, Ottenstein und seinen Teil an Holzminden zum
Brautschatz. Das Schloß Polle aber wird nicht mit
aufgeführt, die Herzöge hatten es bereits im Besitz
und sahen es als eine Eroberung an.
Kurz darauf und geraume Zeit
vor der im Jahre 1425 vollzogenen Verheiratung seiner Tochter gab Graf
Hermann schon seine Herrschaft zu Everstein ab. Schon im Jahre 1409
handelten die Herzöge als alleinige Herren des Eversteinschen
Schlosses zu Ohsen, indem sie es in diesem Jahre an den Grafen von
Spiegelberg verpfändeten.
Schon bei der im
nächsten Jahre nach der Erwerbung eingetretenen
Landesverteilung zwischen den herzoglichen Brüdern Bernhard
und Heinrich wurde über die neuerworbenen Güter
verfügt. Dem braunschweigischen Teile, welcher dem Herzog
Bernhard zufiel, war die Herrschaft Everstein beigelegt worden. Als im
Jahre 1425 aufs neue geteilt wurde, wählte Herzog Wilhelm der
Aeltere, Herzogs Heinrich Sohn, den braunschweigischen Teil, mit
welchem Polle, Aerzen nebst Hämelschenburg, Ottenstein und
Holzminden vereinigt blieben. Herzogs Wilhelm Sohn, Wilhelm der
Jüngere, teilte
1491 und 1495 sein Land,
welches auch das seit 1423 wieder angefallene Fürstentum
Göttingen umfaßte, unter seine Söhne:
Heinrich dem Aelteren und Erich dem Aelteren. Von dieser Zeit an
besteht ein Fürstentum Calenberg, denn diesen Namen bekam
Herzogs Erich Anteil. Als ihm die Wahl der gemachten Erbteile anheim
gegeben wurde, soll er erklärt haben:
„Dat
Land twischen Diester und Leine,
Dat is et
rechte, dat eck meine!“
Polle wird unter den
erworbenen Bezirken, die dazu gehörten, ausdrücklich
aufgeführt – und ist nicht wieder davon getrennt
worden. Im Jahre 1620 verschrieb der herzog Friedrich Ulrich zu
Braunschweig-Wolfenbüttel
„Unser Haus und Ampt Polla“ zur
Schadloshaltung den Städten Hameln und Bodenwerder, weil sie
sich für ein durch den Herzog aufgenommenes Darlehen von 5000
Talern verbürgt hatten.
Wie für alle
Gegenden unseres schwergeprüften Vaterlandes, ist auch
für das Amt Polle die Zeit des
Dreißigjährigen Krieges eine der bedeutsamsten
Perioden seiner Geschichte. Das Schloß wurde von Tilly, als
er auf seinem Zuge gegen den Bischof Christian von Halberstadt,
„den tollen Christian“, wie ihn der Volksmund
genannt, zum ersten Male im Jahre 1625 die Wesergegend heimsuchte, nach
heftiger Beschießung erobert. Ein Teil der
Amtsgebäude und des Fleckens Polle wurde dabei
eingeäschert. Nach der Vertreibung Christians im August 1626
verließ Tilly zwar Niedersachsen, doch nur für kurze
Zeit. Der Kampf gegen den König Christian IV. von
Dänemark führte den kaiserlichen Feldherrn 1626 aufs
neue in die mittlere Wesergegend. Jetzt aber gab er Polle sowie die
anderen eroberten Plätze nicht wieder aus den Händen;
er wußte zu gut, wie sehr ihm der Kaiser und die katholische
Partei verpflichtet waren, als daß er nicht im Ernst hoffte,
der Kaiser werde ihn mit dem Fürstentum Calenberg bedenken.
Sein Unterbefehlshaber in Hameln nannte 1631 in den ausgestellten
Empfangsbescheinigungen den Amtmann Ludewig zu Polle nur „den
Hochgräflich Tillyschen Amtmann“. Nach Tilly
führte Picclomini den Oberbefehl über die
kaiserlichen Truppen in dieser Wesergegend. Selbst nach den
großen Siegen der Schweden unter König Gustav Adolf
1631 bei Leipzig und bei Lützen am 6. November 1632 haben sie Polle nicht in ihre Hand
bekommen, obgleich sie im Jahre 1634 zu Bevern und in dem so nahe
gelegenen Amte Forstlängere Zeit sich aufgehalten haben. Auch
im Jahre 1641 noch hatten die kaiserlichen Truppen ihre Winterquartiere
im Amte; zu dieser Zeit wurde von Polle aus eine Ueberrumpelung des von
den Schweden besetzten Schlosses Pyrmont unternommen. Jedoch der
Ueberfall misslang völlig, die vordersten Stürmenden,
die den Wall bereits erstiegen, wurden hinabgestürzt, rissen
die Nachfolgenden mit hinunter. Diese wichen zurück und
konnten sich nur mit genauer Not aus dem durchbrochenen Eise des
Schlossgrabens vor dem Ertrinken retten. Nun rückten die
Schweden 1641 zur Belagerung des Schlosses
P o l e vor.
Sie verschanzten sich auf dem Heimberge, wo noch heute ein Platz die
Schwedenschanze heißt, und von hieraus wurde das befestigte
Schloß von ihnen so heftig bombardiert, daß fast
die gänzliche Zerstörung die Folge des
Geschützfeuers war. Sämtliche Amtsgebäude
lagen in Schutt und Asche.
Wer kann die Verluste
aufzählen, die der Amtshaushalt und die Amtseingesessenen
durch die zweimalige Verwüstung des Schlosses und das
langjährige Hausen der
wilden rohen Soldateska erlitten!
1623 waren nach der Einnahme von dem Tillyschen
Heere dem Amtshaushalte u. a. 23 Schweine und 29 Schafe, wie eine von
dem Amtmann hinterlassenen Notiz sehr treffend sagt, „von dem
spanischen Rittmeister und dessen Offiziere gefressen und 50
Faß Bier ausgesoffen“. Alles in allem wurde der
damals angerichtete Schaden auf 13 767 Taler spezialisiert. Auch
sämtliche Urkunden und Register waren verbrannt. Aus den
Notizen des Amtsregisters vom Jahre 1644 geht die große Not
deutlich hervor. Da heißt es von einem Vollmeier in
Brevörde: „hat in 6 Jahren kein lebendig biest
gehabt, jetzt 1 Pferd, so ganz räudig, ist abgebrannt, der Hof
wüste nur daß er einen kleinen Spieker hat, darin er
zur Not wohnt.“ Von einem anderen Vollmeier: „hat 6
bis 7 Jahre wüst gelegen, zieht fürm Schiff,
daß er soviel erwirbt, daß er sich des Hungers
wehrt.“
Der ganze Zeitraum vom
Westfälischen Frieden 1648 bis zum Siebenjährigen
Kriege 1756, der merkwürdige politische Schicksale
für das Amt P
o l l e nicht
aufzuweisen hat, ist daher mit dem Streben ausgefüllt, die
Spuren zu verwischen, welche ein
so beispielloser Gräuel der Verwüstungen
überall hinterlassen hatte. Manches geschah schon unter der
Regierung des Herzogs Georg Wilhelm von Hannover. Um die Einwohner zum
Bebauen der wüsten Höfe zu ermuntern, bewilligte die
Kammer freies Bauholz und eine zweijährige Steuerfreiheit.
Auch der
Siebjährige Krieg führte, wenn auch das Amt Polle ein
Schauplatz seiner Schlachten nicht war, sehr große
Bedrückungen und Nachteile für die Landbewohner
herbei. Das schlimmste Jahr war das Jahr 1757, als die Franzosen nach
der unentschiedenen Schlacht von Hastenbeck
am 26. Juli 1757 in der Umgegend von Hameln bis Polle
einrückten und die Winterquartiere bezogen. Eine im Archiv
vorhandene Bekanntmachung des Herzogs von Broglie vom 30. Juli
befiehlt, daß alle im Amte Polle befindlichen Wagen und aller
Vorspann bei Strafe militärischer
„Erekution“ sich noch an demselben Abend bei der zu
Klein - Berkel stehenden französischen Armee einfinden solle.
Aber der französische General de Luce bereits alles
weggenommen hatte, konnte der Amtmann Wyneken nicht mehr als vier Wagen
auftreiben. Sehr oft behielten auch die Franzosen die Wagen und Pferde
für sich und schickten die Bauern ohne Gespann nach Hause.
Starke Einquartierungen erlitt besonders der Flecken Polle, in welchem
einmal 2500 Mann und 700 Pferde vierzehn Tage lang untergebracht waren.
Die Landsleute verbargen ihr Vieh häufig in dem nahen
Walddickicht, und man erzählt sich noch in der Poller Gegend,
daß sogar die Kühe den Ruf:
„die Franzosen kommen!“ am Ende
gekannt hätten und selbst auf dieses Angstgeschrei dem nahen
Walde zugeeilt wären. Bedeutende Brandschatzungen und
Gelderpressungen von Seiten der französischen Generale
verschlangen große Summen. Beim Abmarsch der
französischen Truppen im April 1758 wurde der ganze Schaden
der Amtseingesessenen zu 24 300 Taler, der des Amtshaushalts zu 2 800
Taler berechnet.
Ueber die Zeit der
französischen Landbesetzung 1803 – 1813
Näheres mitzuteilen, erübrigt sich. Das Verfahren der
napoleonischen Gewalthaber war überall so ziemlich dasselbe.
Der Krieg Niedersachsens gegen den fränkischen Napoleon
berührte das Amt Polle. Er hat seinen Namen von der hohen
Lage; denn Poll bezeichnet im Niederdeutschen: Kopf, den
höchsten Punkt eines Dinges. In Reinerbeck bei Aerzen sagten
früher die Einwohner von einem Bauern, dessen Haus auf einem
Hügel im Dorfe lag: „hei
wohnt upp dem Polle“. Das Schloß oder die Burg,
wodurch der Flecken benannt worden ist, lag auf der Spitze des Berges.
In alten Urkunden wechselt häufig die Schreibart zwischen
Poll, Polle, Polla, einmal, 1394, sogar Pohl. Die Zeit der Erbauung der
Burg ist bekannt. Das Schloß wird erst urkundlich genannt
seit 1285, wo die Eversteiner hier seßhaft waren. Erst im
Jahre 1313 findet sich in einer Urkunde des Grafen Ludwig von Everstein über
eine Schenkung an das Kloster Gerden eine Spur, daß hier eine
Gemeinde vorhanden war, denn diese Urkunde ist in Polle unterzeichnet.
Eine Kirche hier im Dorfe war aber noch nicht genannt. Die Kirche St.
Paul stammt aus der Zeit gegen Mitte des 16. Jahrhunderts. Die Gemeinde
ging bis dann in die Brevörder Kirche. Im Jahre 1874 war Polle
bereits zu einem ziemlichen Umfange gelangt, war ein sog. Flecken mit
einem Rat und Magistrat. Das Fleckenrecht zeigt sich auch in dem
Vorhandensein der Brauergilde, der Schuhmacherzunft und anderen Gilden
im Orte. das Amtshaus ist nach Zerstörung des Schlosses im
Dreißigjährigen Kriege neben dem Schlossberge
aufgeführt und, wie eine Jahreszahl am Torwege zeigt, im Jahre
1656 vollendet. Das über dem Tore befindliche,
rätselhafte Wappen ist ein Geschlechts-Doppelwappen, das
für Heraldiker von großem Interesse ist.
Hauptsächlich herrscht in den verschiedenen Wappenbildern der
Braunschweig-Lüneburgsche Löwe vor.
Der heutige Ort Polle mit z.
Zt. 1170 Seelen hat sich infolge seiner reizvollen Lage und seines
neuzeitlichen Strandbades zu einer der besuchtesten Sommerfrischen der
Oberweser entwickelt, und ist immer mehr bemüht, den
Sommergästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich
zu gestalten. Gute Gasthöfe und eine Reihe
vorzüglicher Privathäuser, die zum teil auch den
verwöhntesten Ansprüchen genügen. sind
vorhanden.
G. Poton.
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