Spurensuche
in der Vergangenheit
In den
siebziger und achtziger Jahren war eine Hinrichtung, die
während des Zweiten Weltkrieges im Ort Glesse stattgefunden
hatte, in den umliegenden Orten
noch in lebhafter Erinnerung. Es wurde berichtet, dass ein
Fremdarbeiter mehrere Personen auf einem abgelegenen,
landwirtschaftlichen Hof, auf der Steinbreite im Glessetal erschlagen
hatte. Ein Familienmitglied sei dem
Blutbad nur dadurch entkommen, dass es sich
während der Tatzeit in Brevörde aufhielt. Die von den
Behörden angesetzte systematische Fahndung führte
bereits nach geraumer Zeit zur Ergreifung des Täters, der sich nicht weit vom Tatort
versteckt aufgehalten haben soll. Vor der Hinrichtung soll der
Betreffende noch nach Hildesheim gebracht worden sein 1.)
Im Sommer
1991 tauchte überraschend eine Fotografie von der
Vollstreckung auf, die bisher nicht bekannt war. Zu erkennen sind auf der Fotografie etwa 11 Personen,
darunter Zivilisten und
uniformierte Personen, die die Hinrichtung gerade vollziehen oder
bereits abgeschlossen haben. Der Delinquent hängt mit einem
Seil am Baum, der Kopf ist geneigt und die Hände sind auf den
Rücken gebunden. Der Tod
könnte bereits eingetreten sein 2.). Die Fotografie ist offensichtlich
mit einem versteckten Fotoapparat aufgenommen worden, da der
Vordergrund durch ein nahes Objekte verschwommen abgebildet ist.
Wahrscheinlich handelt es sich um einen so genannten
„Schnappschuss“, der Hobby- und Fachfotografen
bestens bekannt ist.
Zur Klärung der
Ereignisse sowie der Authentizität der
zeitgenössischen Fotografie wurden verschiedene Recherchen
vorgenommen, die Fakten gesammelt und schließlich alle
Ergebnisse zusammengefasst.
Das Foto
als Informationsquelle bot dazu die Gelegenheit die historische
Geographie zu klären. Bei dem
erkennbaren landwirtschaftlichen Gebäude
handelt es sich um den Hof Nr. 6 im heutigen Ortsteil Glesse. Da sich
die örtliche Situation in den letzten
Jahrzehnten deutlich verändert hat,
entspricht diese nicht mehr der Aufnahme 3.).
Die
heimatkundlichen Veröffentlichungen und Chroniken, die in
einer größeren Zahl vorliegen
und nach
diesem speziellen Ereignis durchsucht
wurden, berichteten nichts über diesen Vorfall
(Wittkopp 1957; Feige, Lübbers, Oppermann
1961; Prigge 1978; Freist 1978 und 1986 ).
Das
Kirchenbuch der Gemeinde Ottenstein enthält den Eintrag: Friedrich, Caroline und Auguste
Schomburg sind am 12. Juni 1943
vormittags von einem Polen in ihrem Hause ermordet worden. Das
Begräbnis fand am 16. Juni 1943 statt. Im Register des
Standesamtes Holzminden ist vermerkt:
„Der russische Staatsangehörige Soland Hassine, 28
Jahre alt, Geburtsort unbekannt, gestorben am 19.6.1943, von Glesse
(Kreis Holzminden) auf den Friedhof Holzminden J.F.6 tot eingeliefert.".
Die
mündliche Überlieferung und Befragung (Oral History)
verschiedener Personen erbrachte dagegen lebhafte Ergebnisse (Brednich
1988): Unter den Fremdarbeitern
herrschte große Aufregung, da ein Gerücht umherging,
dass aufgrund des Mordes an der deutschen Familie weitere Polen
gehängt werden sollten, was sich aber nicht
bestätigen sollte. Die Vollstreckung der Hinrichtung fand
durch den Strang an einem Baum vor einem Gehöft im Ort Glesse
statt Am Tag der Hinrichtung regnete es
und während der Vollstreckung riss der Strick, so dass
er ein weiteres mal aufgeknüpft
werden musste. Aus den umliegenden
Orten waren
Fremdarbeiter verpflichtet worden, der Hinrichtung beizuwohnen und zur
Abschreckung an dem Toten vorbeizugehen. Wer nicht
hinschauen wollte soll geschlagen worden sein. Auch
zahlreiche Schaulustige sowie Kinder aus dem Ort sollen dabei gewesen
sein. Inwieweit eine übergeordnete Dienststelle beteiligt war
oder dieses geleitet hat, ließ sich nicht klären 4.) .
Über
die Ursache, die zu dieser
Tragödie geführt hat, liegen
verschiedene mündliche Berichte und auch
Deutungen vor, auf die im Einzelnen nicht eingegangen
werden kann. Psychologisch lässt sich die
schicksalhafte Tat vielleicht am besten als Affekt deuten
(Bühler 1962). Es kann aber auf jeden Fall angenommen werden,
dass ein bedeutender Vorfall als auslösende Ursache der Tat
vorausgegangen ist. Und schließlich muss die Frage gestellt
werden, welchem physischen und psychischen Druck der Mensch ausgesetzt
war um so eine schreckliche Tat zu vollbringen.
Inwieweit
über diese menschliche Tragödie, bei dem
schließlich vier Personen ihr
Leben ließen, in der gelenkten heimatlichen
Presse berichtet wurde, ist nichts weiter
bekannt.
Literatur:
Friedrich
Wittkopp (1957) : Heinsen
- Die Geschichte eines Oberweserdorfes ,
Hannover 1957
Feige,
Oppermann, Lübbers (1961): Heimatchronik der Stadt
Hameln und des Landkreises Hameln-Pyrmont,
Köln 1961
Prigge Hans (1978) : Chronik des Fleckens Polle
Freist
Werner (1978) : Lichtenhagener Chronik
Freist
Werner (1986) : Ottensteiner Chronik
Rolf W.
Brednich (1988) : Grundriss der
Volkskunde / Einführung in die Forschungsfelder der
Europäischen Ethnologie , Dietrich Reimer Verlag , Berlin
Charlotte
Bühler (1962)
:
Psychologie im Leben unserer Zeit ,
München / Zürich 1962
Mündliche
Mitteilungen:
1.) Herr Heinrich Beuser ,
Heimatchronist aus Brevörde , erzählte mir bereits
Ende der siebziger Jahren von diesem Ereignis. Frau Gertrud Mutzke,
Freiherr vom Stein-Str. 24, aus Northeim las mir
in den achtziger Jahren
ihre Tagebuchnotizen vor, in
dem sie
über die Hinrichtung ausführlich berichtete.
2.) Herr
Zurmühlen aus Emmerthal
5 ( Lüntorf ), Lüntorferstraße
Nr. 35 hat
mir dankeswerter weise eine Reproduktion
für die
Bearbeitung überlassen. Über
die genaue Herkunft der dokumentarischen Aufnahme
lagen keine
Angaben vor.
3.) Herr
Jürgen Wittbrauk hat mir die Authentizität der
Aufnahme bestätigt und weitere interessante
Einzelheiten zu dem Vorgang erzählt, da sein
Elternhaus - Gasthaus
Grüner Jäger- gegenüber
dem Gehöft Niemeier lag. Der
Baum an dem Hinrichtung vollzogen wurde soll nach einem Jahre
abgestorben sein und das Gehöft ist nicht mehr
vorhanden
.
4.) Herr Bölke, Helling Weg Nr. 4, aus
Holzminden, hat
als neunjähriges
Kind die
Hinrichtung miterlebt und konnte
mir
eine detalierte Schilderung
geben.
Herr Helmut Ohm, Glesse, Nr.8 hat als Kind die
Hinrichtungmiterlebt und konnte
mir einige Angabe
bestätigen und
weitere Details
mitteilen.
Nicht
gedruckte Quellen:
Begräbnisregister vom
Ort Glesse, Jahrgang
1943. Auszug ausgestellt am 1.10.1991 durch das
Pfarramt in Ottenstein. Auszug aus dem Register des Standesamtes Holzminden. Herr
Detlef Creydt machte
mich auf die Eintragung
aufmerksam und stellte
mir eine Kopie des Auszuges für eine Bearbeitung zur
Verfügung.
Anmerkung
:
Die
Nachforschungen konnten 1992 im Wesentlichen
abgeschlossen werden. Der
Text sowie ein Foto sind Herrn
Detlef
Creyd , Köhlerweg
in Holzminden für
eine Veröffentlichung über " Zwangsarbeit für
Rüstung , Landwirtschaft und
Forsten im
Oberwesergebiet 1939
- 1945 " im
Landkreis Holzminden zur
Verfügung gestellt worden.
Band 3
wurde 1996 herausgegeben.
Der
Bericht wurde noch einmal gründlich
durchgesehen im
Oktober 1998 umgearbeitet.
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