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Die letzte
Handwebmeisterin im Landkreis
Holzminden
arbeitet im Flecken Polle
Aus einem
weit verbreiteten Handwerk ist eine Besonderheit geworden
Von
Wolfgang Wagner
Mit 3
Abbildungen
Alte
überlieferte Handwerksberufe sind in unserer heutigen
schnelllebigen Zeit schon zu einer Seltenheit geworden. Eingeholt von
der technischen Revolution des 19. Jahrhunderts, die tief greifende
soziale Probleme auslöste, überstanden zahlreiche
Berufe diese Zeit des Umbruches nicht und mussten der industriellen
Fertigung und dem Fortschritt weichen. Zu einem typischen
Handwerksberuf, der zu einer Besonderheit geworden ist, gehört
auch der des Leinewebers (BOCK 1926). Bis in die Jahrzehnte unseres
Jahrhunderts war dieser Beruf noch in den ländlichen Gemeinden
zu finden.1) In den offiziellen Statistiken
über das Handwerk spielt dieser Beruf dagegen keine Rolle
mehr. Im Landkreis Holzminden existiert heute noch eine Handweberei,
die sich auf die Verarbeitung von Leinen spezialisiert hat.
Ein Blick
in einige Chroniken des Kreises macht deutlich, dass der Anbau des
Flachses, seine Verarbeitung und der Vertrieb der Leinen-Fertigprodukte
einst eine große wirtschaftliche Bedeutung besaßen
und zahlreiche Familien als Broterwerb diente (TACKE 1951). Schon 1799
wird in einer zeitgenössischen Schrift über den
Braunschweigischen Weser-Distrikt berichtet „das Holzminden
ein Stapelplatz des Leinwandes im Fürstenthum sei, wozu sein
glückliches Local an der Weser in der Mitte einer
flachsreichen Gegend sich befindet“. Es bestand schon nach
1781 eine „Bleich-Manufactur“, die
vorzüglichen Flachs und das daraus verfertigte Garn
verarbeitete (KRETSCHMER 1981) und heute noch eine
„Weberstraße“ an den bedeutenden
Wirtschaftszweig in der Kreisstadt erinnert.2) In Stadtoldendorf wird am
Ausgang des 18. Jahrhunderts der Leinenhandel als eine der
hauptsächlichen Nahrungsquellen bezeichnet, es bestand eine
„Weberei-Fabrique“, und es lässt sich
urkundlich eine Gilde der Leineweber seit 1660 nachweisen (EGGELING
1936). Den Leinewebern wird in Bodenwerder schon 1357 die
Gildegerechtigkeit verliehen, die größte
wirtschaftliche Blütezeit erreicht der Leinenhandel jedoch
erst im 17. Jahrhundert. Der Vertrieb der Leinenprodukte erfolgte bis
nach Bremen und die Verschiffung bis nach Übersee (BODE 1979).
Im Flecken Bevern gab es 1838 noch 87 Weber, die einen Webstuhl nutzten
(UHDEN 1968). Aus einer ausführlichen Kopfsteuerbeschreibung
aus dem Jahr 1689 ist zu ersehen, dass im Flecken Polle 7 Leineweber
tätig waren (BURCHARD, MUNDHENKE 1962). Ein Amtmann im Flecken
Polle weist im 18. Jahrhundert auf die amtübliche
Dreifelderwirtschaft hin und vermerkt, dass das Brachfeld zu etwas mehr
als der Hälfte mit Wicken, Erbsen und mit Leinsamen bestellt
werde (ACHILLES 1982). Nachdem der technische Fortschritt und der
Vertrieb von Importwaren die handwerkliche Herstellung von
Leinenprodukten zurückgedrängt hat, führt
dieses bei den Webern zu einer deutlichen Verschlechterung ihrer
Existenz und zur
Aufgabe des Berufes (HELMS 1844). Die häusliche Versorgung mit
Leinenprodukten dagegen geschieht noch vielfach in den
ländlichen Gemeinden bis in die Jahrzehnte unseres
Jahrhunderts vom Anbau des Flachses bis zu seiner Bearbeitung in
aufwendiger Eigenleistung. 3)
Während
das Handweben als therapeutische Maßnahme heut Zuspruch
findet, so existieren dagegen nur noch wenige eigenständige
Betriebe. Die letzte tätige Handweberin im Landkreis
Holzminden, Frau Gerhild Teutrine-Beck , arbeitet im Flecken Polle.4)
Ihren
Beruf erlernte sie in Bückeburg, in der Nachkriegszeit, als
das Handweben in der wirtschaftlich schweren Zeit noch seine Bedeutung
besaß. Während ihrer fünfjährigen
Gesellenzeit arbeitete sie in verschiedenen Handwebereien in Nord- und
Süddeutschland. Nach den Besuch der Werkkunstschule in
Münster legte sie nach zwei Semestern an der Meisterschule in
Sindelfingen für das Weberhandwerk 1957 ihre
Meisterprüfung ab. In ihrem elterlichen Haus in Polle, etwas
abgelegen von der Bergstraße, konnte sie sich 1966 eine
Handwebwerkstatt einrichten und in den folgenden Jahren ausbauen.
Abb. 1
Handwebmeisterin Frau Gerhild Teutrine-Beck
Der Umgang
mit dem Spinnrad5) und dem Haspel, wichtig zur
Verarbeitung der Wolle und des gehechelten Flachses, ist ihr ebenso
vertraut wie die Arbeit am Handwebrahmen und dem Webstuhl.
Interessenten sowie Besuchern ihrer Werkstatt erläutert sie
gern die Vorbereitungen und die Arbeit mit dem Webstuhl. Wichtig
zugleich die Vorbereitungen für den eigentlichen Webvorgang am
Handwebstuhl. Zahlreiche Handgriffe, die aufwendig sind,
müssen mit Sorgfalt ausgeführt und aufeinander
abgestimmt werden, soll das Fertigprodukt gelingen. Da sind die
Längsfäden zu nennen, die so genannte Kette, die bei
einer Neueinrichtung eines Webstuhles vorbereitet werden
müssen. Das anschließende Wickeln der Kette auf den
Kettenbaum wird von dem Weber als das Aufbäumen bezeichnet.
Das Einziehen der Kette in das Geschirr des Webstuhles ein weiterer
Arbeitschritt, bevor die Verbindung vom Geschirr zu den Tritten, der so
genannten Verschnürung erfolgt und letztlich die Arbeit am
Webstuhl beginnen kann. Mit dem Heben und Senken der Schäfte
im stetigen Rhythmus entsteht ein Zwischenraum, das so genannte Fach.
Es handelt sich dabei um einen Platz zwischen Ober- und Unterfaden.
Hier hindurch wird wechselweise von links nach rechts das Schiffchen
geworfen und der Faden durch den Weberkamm an das anstehende Gewebe
angeschlagen, um eine notwendige Dichte und Festigkeit des fertigen
Werkstückes zu erreichen. All das geschieht in rascher
Reihenfolge und gekonnt durch eine jahrelange Praxis.
Abb. 2 Ein
Blick auf das fertige Gewebe, die Schäfte und die Kette
Wurde einst
aus dem fertigen Leinwand Bettwäsche, Laken, Tücher,
Decken, Unterwäsche oder aber Säcke hergestellt, so
haben andere Materialien die Verwendung des Flachses
zurückgedrängt und völlig ersetzt. In der
Handweberei Polle wird heute nur Leinen zu Tischwäsche
verarbeitet. Dabei hat sich in der Form, Farbe und
Größe der Leinentischwäsche auf den
Kundengeschmack und die Nachfrage eingestellt. Doch im Zeitalter des
Massenkonsums hat eine Handweberei heute keinen leichten Stand, denn
Maschinen arbeiten Kostengünstiger und rationeller. Dem
Menschen unserer Zeit ist aber eine Besinnung auf den Sprung, eine
Bedeutung des Echten, Einmaligen und Unverfälschten nicht
fremd, so dass handwerklich hergestellte Waren wieder ihre Bedeutung
besitzen und handgewebte Produkte einen bestimmten Abnehmerkreis haben.
Neben der
Arbeit in der Werkstatt findet die Handwebmeisterin noch Zeit, um Kurse
am Spinrad mit dem Handwebrahmen, dem Spinnwirtel und dem Webstuhl
vorzubereiten und durchzuführen.6) Die
eigene Werkstatt ist mit der stattlichen Zahl von 8 Webstühlen
ausgerüstet. Während auf 3 Webstühlen die
Kollektion der Tischwäsche hergestellt wird, werden die
verbleibenden Handwebstühle zum Teil auch individuell
für Kursusteilnehmer bereitgehalten. Darunter findet ein ca.
200 Jahre alter eichener Bauernwebstuhl häufig Beachtung.7)
Nach einer
Veröffentlichung in der Heimatzeitung des Landkreises 1978
über die letzte Handweberei,8)
konnte eine erfreuliche Resonanz
registriert werden. Allein an der Volkshochschule Bevern wurden 10
Kurse mit Handwebstühlen angeboten und abgehalten. Die
Volkshochschule Holzminden hat Handwerkskurse in das Programm 1986/87
aufgenommen. In der VHS-Höxter wurden einige Kurse mit dem
Handwebrahmen durchgeführt. Spinnkurse waren an der
Volkshochschule Polle mit dem Spinnrad ein Erfolg, der weiterhin durch
ein regelmäßiges Treffen in der Spinnstube gepflegt
wird. Anklang fand auch die Bandweberei, eine alte aber heute noch
interessante Arbeitstechnik aus den Anfängen der Handweberei,
die an der Volkshochschule Polle als Kursus ausgerichtet wurde. Als
eine Pflege des Weberhandwerkes werden die Treffen der Lehrlinge,
Gesellen und Meister der ehemaligen Webschule Bückeburg
verstanden, die 1979 erstmalig in der Handweberei Polle abgehalten9)
und in den folgenden Jahren mehrfach wiederholt
werden konnten.10)
Abb. 3 Bei
der Arbeit am Handwebstuhl
Mit ihrem
Handwerk bewahrt Frau Gerhild Teutrine-Beck ein Stück
lebendige Tradition eines historischen Erwerbszweiges, der einst im
Landkreis Holzminden große Bedeutung besaß.
Anmerkungen:
1) Eine kurze
Einführung vom Flachs zur Leinwandherstellung bietet Heft 2
„Bäuerliches wohnen und wirtschaften um
1800“, Hrsg. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Referat
für Museumspädagogik, Postfach 6125, 4400
Münster
2) Schmidt,
A.: Die Leineweberei und ihre Bedeutung im Kreis Holzminden vom 17. bis
19. Jahrhundert, Schaufenster v. 30.9.1977, S. 2-3.
3) Eine
volkstümliche Darstellung über die Verarbeitung des
Flachses bis zum Leinen konnte Frau Alwine Müller, geb.
Bögeholz, wohnhaft in Polle, Bergstraße,
erzählen. Die Ausführungen aus ihrer Jugendzeit
befinden sich in dem Buch von Hartwig Drope „Buntes Allerlei,
vorwiegend platt“, Zeitgeschichte von 1914 – 1964,
Ausgabe 1985, Seite 41 – 43.
4) Schriftliche Mitteilungen
der Handwerkskammer Hildesheim, vom 7.4.1986, dass der einzige bekannte
Handwebereibetrieb im Landkreis Holzminden, seit 1966 im Flecken Polle
gemeldet ist.
5) Wagner, W.:
Das Spinnrad hat seine einstige Bedeutung verloren. In Polle wird noch
„gesponnen“. Auch Spinnräder werden hier
noch hergestellt, TAH v. 6.1.1979.
6) Kurse
über das Bandweben sowie das Erlernen des Spinnen an der
Handspindel und am Spinnrad wurde an der Volkshochschule Polle 1986/87
angeboten.
7) Für die
Illustrationen in dem Buch von Gudrun Cohnen-Nußbaum
„Der Rattenfänger von Hameln“, aus dem
Weserland-Verlag, Holzminden, bot die Handweberwerkstatt in Polle mit
ihren Webstühlen und dem Werkstattzubehör einige
Anregungen.
8) Wagner, W.: Die letzte
Handweberin des Kreises arbeitet in Polle, TAH v. 15.8.1978. Nach
eingehender Umarbeitung, Ergänzung sowie Durchsicht des
Zeitungsberichtes, konnte das Manuskript für eine
Veröffentlichung im Jahrbuch 1986 der Redaktion vorgelegt
werden.
9) Wagner, W.: Handweber
trafen sich in Polle wieder, TAH v. 12.6.1979.
10) Die Freude am gemeinsamen
Gestalten in Polle beglückte die Handweberinnen, TAH
v.21.6.1984.
Quellen:
Ungedruckte
Quellen:
Burchard,
M. u. Mundhenke, H. (1962): Die Kopfsteuerbeschreibung des Amtes Polle.
In: Die Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer
Calenberg, Göttingen und Grubenhagen von 1689.
Veröffentlichung der historischen Kommission für
Niedersachsen, Band 6, 1962, S. 108 – 136.
Literatur:
BOCK, E.
(1926): Der Leineweber. In: Alte Berufe in Niedersachsen. Hannover
1926, S. 18 – 20.
TACKE, E.
(1951): Der Handel. In: Der Landkreis Holzminden, Hrsg.: Akademie
für Raumforschung u. Landesplanung. Bremen-Horn 1951, Reihe D,
Band 4, S. 186 190.
DER
BRAUNSCHWEIGISCHE WESER-DISTRIKT 1799: Holzminden, Hrsg.: unbekannt,
neue Ausgabe 1913, Verlag Hüpke & Sohn, Holzminden, S.
1 – 8.
KRETSCHMER,
P. (1981): Wie die Stadt sich in der 2. Hälfte des 18.
Jahrhunderts selbst darstellte u. wie sie andere sehen. In: Die
Weser-Solling-Stadt-Holzminden. Holzminden 1981, S. 282 – 293.
EGGELING,
E. (1936): Die Gilde der Leineweber u. Drellmacher. In: Chronik von
Stadtoldendorf, der Homburg u. Kloster Amelungsborn. Stadtoldendorf
1936, S. 107 – 109 u. S. 276 – 278.
BODE, L.
(1979): Weltweite Wirtschaftsverflechtungen durch den Leinenhandel. In:
Aus der Geschichte der alten Münchhausenstadt Bodenwerder,
1978 S. 11 – 12.
UHDEN, =.
(1968): Vom Flachsbau zur Leinwand, Untergang der Flachskultur. In:
Flecken und Schloss Bevern. Bevern, S. 269 – 274.
ACHILLES,
W. (1982): Pflanzenproduktion. In: Die Lage der hannoverschen
Landbevölkerung im späten 18. Jahrhundert,
Veröffentlichung der historischen Kommission für
Niedersachsen u. Bremen, Band 6, 1982, S. 25 – 61.
HELMS, F.
(1844): Über Garnspinnung und Leineweberei. In:
Niedersächsische Texte 1820 – 1866, Hrsg.:
Oberschelp, R. Hildesheim 1985, S. 251 – 262.
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