“Amptmans Haus“ Ein Adelshof in Polle aus dem Jahre 1630
Holger Reimers
Unterhalb des westlichen Hanges der Burg Polle befindet sich eine Gebäudegruppe, die allgemein als „Amtshof“ bezeichnet wird und bis vor wenigen Jahren als Wohn- und Wirtschaftshof eines der Burg zugeordneten Gutsbetriebes genutzt wurde. Das älteste Gebäude dieser Hofanlage ist das Wohnhaus (Abb. 1), das als Adelshof im Rahmen des Forschungsprojektes zur Architektur-, Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland bauhistorisch untersucht wurde. 1) Die Wirtschaftsgebäude stammen in ihrer Bausubstanz vorwiegend aus dem 20. Jahrhundert. Sie ersetzen Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts.
Der Adelshof selbst ist auf einem Plan des 17. Jahrhunderts als „Amptmans Haus“ bezeichnet. 2) Nach dem Dreißigjährigen Krieg 1656 wurde das (1945 zerstörte) Amtshaus errichtet, das auf diesem Plan nicht verzeichnet ist. Bezieht man die Zerstörung der Unterburg durch kaiserliche Truppen unter Tilly in den Jahren 1622/23 und die Zerstörung des Schlosses auf der Oberburg durch schwedische Truppen 1641 3) ein, so könnte das Wohnhaus des Amtmanns bis zur Errichtung des neuen Amtshauses 1656 auch die Funktion eines Amtshauses übernommen haben.
(Abb. 1) Ansicht des „Amptmans Haus“ nach der Umgestaltung von 1924, von Nordwesten, um 1930 (Reproduktion nach Wolfgang Wagner: Polle. Eine Bilderchronik. Polle 1990, Abb. S. 39)
Der Adelshof, das mit Sollingplatten gedeckte Wohnhaus des „Amptmans“, wurde 1631 mit im Winter 130 d (= dendrochronologisch ermittelt) gefällten Eichenhölzern errichtet. Dieser Neubau eines Adelshofes entstand offenbar über einem Tonnengewölbten Keller eines Vorgängerbaues, der im Zusammenhang mit dem Brand der Unterburg 1622/23 zerstört worden sein dürfte. Bei der Zerstörung der Oberburg 1641 gab es auf der der Burg zugewandten Seite geringe Schäden, die 1649 behoben wurden. Die bauhistorische Bestandaufnahme ergab, dass der ursprüngliche Bau von 1630 d in seinen wesentlichen Teilen vollständig im bestehenden Bau erhalten ist. Man errichtete ein zweistöckiges Fachwerkhaus mit mehrfach Vorkragendem Giebel. Die Füllhölzer aller Vorkragungen – zwischen den Stockwerken, aber auch dreifach im Giebel – wurden mir Renaissance. Schnitzereien versehen.
Die beiden Hallen um Erd- und Obergeschoss erhielten ganz traditionell beidseitig Kopfbänder zwischen Deckenbalken und Außenwand. Die gleiche Konstruktion war im Fachwerkobergeschoss des Rathauses Höxter von 1610 bis 1614 ausgeführt worden. Im Erdgeschoss wurden eine Küche und eine Stube von der großen halle abgeteilt, im Obergeschoss ein Saal mit reicher Durchfensterung im vorderen Drittel des Adelshofes eingerichtet.
Diese originale Bausubstanz wurde bei späteren Umbauten lediglich durch weitere Innenwände ergänzt und in Teilbereichen repariert, so dass bei zukünftigen behutsamen Freilegungsarbeiten durchaus Befunde zur ursprünglichen farblich-künstlerischen Gestaltung des Adelshofes zu erwarten sind. Da die Deckenkonstruktionen derjenigen der Poller Kirche von 1592 gleicht, muss auch damit gerechnet werden, dass – wie in der Kirche Press-Stuck der Bauzeit unter Überputzungen und Übermalungen erhalten ist. Jüngere Ergänzungen und Reparaturen lassen sich in ihrer Reihenfolge im Baugefüge klar erkennen, so dass an diesem Bau die Bau- und Nutzungsgeschichte eines Adelshofes deutlich abgelesen werden kann. Sogar die letzte einheitliche künstlerische Umgestaltung des Adelshofes von 1923/24 hat die historische Bausubstanz weitgehend geschont.
(Abb. 2) Fachwerkkonstruktion, östliche Traufwand, Detail, Aufnahme 1993 (Foto: WRM Schloss Brake)
Das zweistöckige Gebäude ist mehrfach verkleidet, somit die Konstruktion des Gebäudes von außen nicht auf den ersten Blick erkennbar. Der Giebel zum Ort und die rechte Traufwand sind (um 1965) mit grauen Eternitplatten und zuvor (um 1925) mit waagerechten Brettern verkleidet worden. Der Rückgiebel zum Hof wurde im Oberstock im 19. Jahrhundert, im Unterstock 1924 mit Sollingplatten behängt. Gleichzeitig wurde auf der östlichen Traufseite zum Hang ein Anbau errichtet, dessen Dach an das ältere Haupthaus angeschleppt wurde. Lediglich die vordere Hälfte der linken (östlichen) Traufwand zeigt das ursprüngliche Aussehen des Gebäudes wie es hinter den Verkleidungen erhalten ist: ein Fachwerkhaus mit zwei Riegelketten je Stockwerk und Beschlagwerkschnitzereien auf den Füllbrettern der Vorkragungen (Abb. 2).
Das eichene Dachwerk von 1630 d besteht aus 15 Gebinden, deren Zählung wie bei den Deckenbalken der beiden Wohngeschosse am Rückgiebel beginnt. Der stehende Stuhl mit drei Spitzsäulen weist Eingezapfte Kopfbänder sowie angeblattete Streben und Schwertungen auf (Abb. 3). Die zehnvollständig identischen Gebinde, die nicht mit dem stehenden Stuhl verbunden sind, wurden bei der Errichtung in sich zusammengehörig, jedoch nicht der Zählung nach aufgestellt. Zum ursprünglichen Baugefüge gehört auch die Dachkonstruktion einer Anschleppung von „Außensparren“ östlich der neun vorderen Gebinde.
(Abb. 3) Längsschnitt (Aufmass Weserrenaissance-Museum Schloss Brake 1993)
Die heutigen Grundrisse beider Wohngeschosse entsprechen noch weitgehend den Plänen für die Umgestaltung von 1923/24. Die Halle im Erdgeschoss mit ihren honigfarbenen mattierten Paneelen, einer entsprechend behandelten Treppe und einer kornblumeblauen Farbgebung der Wände zeigt den Anspruch der Gestaltung „zwischen Reformbewegung und Expres-sionismus“ am deutlichsten. Für alle Räume lässt sich eine kräftige monochrome Wandbemalung dieser letzten künstlerisch einheitlichen Umgestaltung zuweisen. Ältere Einfügungen von Wänden, Reparaturen und Modernisierungen lassen sich im ganzen Haus an Bautechnik, Baumaterial, Schichtenfolge, aber auch an der Gestaltung von Türen und Fenstern weitgehend nachvollziehen. Dabei ist auch für diesen Adelshof eine zunehmende Differenzierung der Raumstruktur nachvollziehbar. Bestand der Renaissancebau noch aus zwei übereinander liegenden Hallen, von denen nur wenige Räume abgeteilt waren, so wurde im 18. und 19. Jahrhundert eine Reihe kleiner Räume seitlich eines Mittellängsflures angeordnet.
Durch die Verkleidung des Äußeren wurde der Bau in seiner orts- und architekturgeschicht-lichen Bedeutung bisher nicht wahrgenommen. 4) Das noch während des Dreißigjährigen Krieges errichtete Gebäude hat als einziger vollständiger Bau des Burgbereiches die Zerstörungen von 1641 (und von 1945) überdauert. Der „Dornröschenschlaf“ im Schatten der Burg könnte nun ein glückliches Ende finden, wenn mit einer Substanzschonenden Instandsetzung „Amptmans Haus“ wieder mit Leben erfüllt wird.
1) Grundlage für diesen Kurzbericht ist eine ausführliche bauhistorische Bestandsaufnahme zum „Ampt mans Haus“ in Polle, Heinser Str. 1. Beteiligt waren: Aufmass – Claudia Dornberger, Bernd Müller, Helmut Nikolay (Beate Johlen und Silke Schrader im Rahmen eines Praktikums); Sichtung der Quellen – Thomas Schwark; Dendrochronologie . Carmine Politano, Hans Tisje; Bauphasenanalyse – Holger Reimers.
2) Hauptstaatsarchiv (HStA) Hannover, Han 12b Polle 31 pm.
3) Verzeichnis der Kriegsschäden 1623-1628, HStA Hannover, Cal Br. 2, Nr. 2125. – Pastor Meisner erbittet 1624 Entschädigung für erlittene Körper- und Sachschäden, HStA Hannover, Cal Br. 2, Nr. 142. – zusammenfassend dazu Friedrich Wittkopp: Das Amt Polle im 30-jährigen Krieg. In: Heimatland 9, 1958, S. 12-19.
4) Den Poller Bürgern Mark Rauschkolb und Siegfried Neumann ist der Verdienst zuzurechnen, zuerst auf die historische Bedeutung vom „Amptmans Haus“ hingewiesen zu haben. Durch eine Anfrage im Mai 1993 haben sie das Interesse der Bauforschung auf den Adelshof gelenkt.
Veröffentlicht: AKK - Architektur Kunst- und Kulturgeschichte in Nord- und Westdeutschland. Herausgegeben beim Weserrenaissance-Museum Schloss Brake ISSN 0937-8332 Februar 1994, 5. Jahrgang,Jonas Verlag 1/94
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