Als noch keine Dampfer fuhren.
Die Entwicklung der Weserschifffahrt. Von Ketten- Absperrungen, Abgaben in verschiedenen Geldsorten und „H ü o s s e n“.
Jahrhundertelang schlief die Weser fast einen Dornröschenschlaf, ein gefährlicher und für die Schifffahrt nur unter großen Schwierigkeiten nutzbar zu machender Wasserlauf. Erst nach der Napoleonzeit trat schleppend langsam eine Wendung zum Besseren ein, die von den 1880er Jahren an, vor allem mit Hilfe der D a m p f s c h i f f f a h r t, zu einem völligen Umschwung führte. Die untere Hälfte der Weser von Minden ab kann schon heute unter dem Gesichtspunkt eines modernen Großverkehrs gewertet werden.
Wechselnde Territorialhoheit
Die Ursache, weshalb die Weser so lange hinter anderen deutschen Strömen zurückstand, lag vielleicht weniger in der kläglichen Beschaffenheit des Flussufers selber, mit deren Unzulänglichkeit man auch wohl schon mit früheren technischen Mitteln fertig geworden wäre. Das Haupthindernis muss in der deutschen Kleinstaaterei gesehen werden mit ihren unzähligen Privilegien und Sonderrechten, die hier keinen durchgreifenden Willen aufkommen ließen. Wechselte doch die Territorialhoheit an den Ufern der Weser bis in das vorige Jahrhundert hinein nicht weniger als 33-mal. Ebenso viele Zollstätten mussten angelaufen werden, die fast alle nach verschiedenen Tarifen in verschiedenen Geldsorten ihre Abgaben forderten. Dazu kamen noch die Schleusen- und Hafengelder und der oft zwangsweise geforderte Aufenthalt an den Umschlagstellen.
Als 1819 der erste neuzeitliche Dampfer, der 35 Meter lange „Herzog von Cambridge“, in mühsamer, langwieriger Fahrt die Weser von Bremen bis Münden und zurück befuhr, da waren überall die drohenden und spottenden Kolonnen der Schiffer zur Stelle, die in dem Fahrzeug eine unliebsame Konkurrenz und in seiner Fahrt einen Eingriff in ihre Rechte sahen, Schimpfende und den Zoll fordernde Polizisten begleiteten das Fahrzeug sogar stundelang am Ufer, während die Scharen der Neugierigen sich vielleicht auf Anraten platt auf die Erde warfen, um den Gefahren einer etwaigen Kesselexplosion zu entgehen.
Schlimmer erging es hundert Jahre früher dem ersten Dampfschiff der Welt. Das ein französischer Professor der Mathematik und Physik an der Universität Kassel, P a p i n, erfunden hatte. Als er 1707 mit seinem Fahrzeug von Kassel aus Fulda- und Weserabwärts England erreichen wollte, kam er nur bis Hannoversch-Münden. Hier bestand ein uraltes Stapelrecht, nach welchem alle die Weser abwärts gehenden Waren 3 Tage in Münden ausgeboten werden mussten. Da die Gilde der Schiffer außerdem das alleinige Recht auf den Wasserweg zu haben glaubte und auch der Kurfürstliche Geheime Rat dem Papin die Durchfahrt glatt abgeschlagen hatte, kam es zum Sturm auf das Fahrzeug, das durch die Schiffer völlig zerstört wurde.
In den gleichen Jahren versuchte der Landgraf Karl von Hessen durch ein fast neuzeitlich anmutendes Projekt einen Teil der lästigen Zoll- und Stapelplätze zu umgehen. Er erbaute um 1700, da, wo die Nordecke seines Landes an die Weser stieß, nach einheitlichem Entwurf die Stadt K a r l s h a f e n mit einem heute verträumt in ihrem Mittelpunkt liegenden Hafenbecken. Zur Besiedlung seiner reizvollen Neuschöpfung zog er vor allem französische Refugies heran. Aber der Tod nahm dem Erbauer die Arbeit aus der Hand. Der vom Landgraf geplante Kanal von Kassel auf hessischem Gebiet geradewegs nach Karlshafen ist nicht erbaut worden.
Auch anderseits legten die Schiffer ihre Rechte durchaus zu ihren Gunsten aus. Sie suchten sich nachts an den Zollstätten vorbei zumogeln, weshalb man vielfach Absperrungen mit ketten anwandte.
Hindernisse über Hindernisse
Ein großes Hindernis für die Schifffahrt war auch die völlig unzulängliche Beschaffenheit des Stromes selbst. Bis vor 50 Jahren war dieser vielfach bedeutend breiter als heute, aber so flach, dass man von manchen Stellen mit Wagen durchfahren konnte. Das Bild Polle mit „Hüossen“ (auch die sieben Faulen genannt, Nachzeichnung nach 2 alten vergilbten Lichtbildern eines unbekannten Gemäldes) lässt diese Verhältnisse noch gut erkennen. Die
Weser reicht dort noch unmittelbar bis an den Burghügel heran, während sich heute ein fast 50 Meter breiter, durch Einschlagen von Faschinen gewonnene Wiesenstreifen, der heutige Paddelboot-Parkplatz, zwischen den Fluss und den Bergpoll vorschiebt, um den die Weser hier eingeengt wurde. Da etwa, wo das Schiff eingezeichnet ist, befand sich das so genannte “Vorlock“ (Fährloch), die Stelle, die zum Durchfahren diente, was hier heute selbst bei Niedrigwasser niemand ungestraft versuchen würde.
Diese flachen Stellen wurden den Schiffen früher immer wieder zum Verhängnis, zumal da Schiffe durch die Herren des Bodens, auf welchem sie festsaßen, beschlagnahmt werden konnten. Schon im Mittelalter versuchte man gegen diese Geflogenheiten Gesetze zu erlassen, aber die Praxis erwies sich lange stärker als behördliche Drohungen, besonders in Kriegszeiten. Schwere Hindernisse waren auch die festen Klippen im Weserlauf und die Unzahl von Steinblöcken, die an manchen Stellen das Flussbett übersäten. Erst in den Jahren nach dem Kriege 1870/71 versuchte man letztere zunächst mit Pflügen aus der Weser herauszuholen, bis dann im Jahre 1876 die Arbeit des ersten Baggers an der Oberweser begann.
Daraus ist zu verstehen, dass bis dahin die Weserschiffe nur verhältnismäßig klein und flach gehalten werden mussten. Sie begannen um 1200 mit 10 bis 12 Meter Länge, um bis zur Regulierung der Weser immerhin das zwei bis dreifache dieses Ausmaßes zu erreichen. Die 60 Meter lange alte Hamelner Schleuse bildete dann weiterhin bis in unsere Tage die Längeneinheit, über deren Erstreckung Schiffe und Flöße nicht hinausgebaut werden durften. Dementsprechend haben unsere schmucken Weserdampfer alle eine Länge aufzuweisen, die zwischen 50 und 60 Metern liegt.
Vor 1200 hat vor allen Dingen Kaiser Karl Versuche gemacht, die Weser für den Schiffsverkehr nutzbar zu machen. Dass Letztere aber noch viel weiter zurückgehen, zeigt der kürzliche Fund eines alten Einbaumes bei Heinsen.
Abbildung links: Der 1938 in der Weser bei Heinsen gefundene Einbaum. Angeblich 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung
Aus dem Jahre 1916 wird von fast einhundert Stellen in der Weser berichtet, die äußerst schwierig und nur unter Anwendung der größten Vorsicht und Geschicklichkeit zu passieren waren. Die Schiffer hatten sie alle mit Namen belegt, und so hören wir denn von der Schinderkuhle, dem Himmelsport, dem Pfannkuchen, dem Schweinebrink, dem steinernen Kranz, der Buhrenkuhle, dem roten Hans, dem Auekopf, dem Döhrenpfuhl, der Kohlspitze, dem Taternkopf, der Steinbreite u. s. w. Besonders schlechten Ruf genossen die L a t f e r d e r Klippen, wo manches Schiff in die Brüche gegangen sein soll, und das H a m e l s c h e Loch. Letzteres war vor dem 1734 erfolgten Bau der alten Schleuse in Hameln eine Öffnung durch das untere Wehr, durch welches das Wasser mit Gewalt abwärts schoss. Nur erfahrende Schiffer vermochten ein Fahrzeug hier in halsbrecherischer Fahrt hindurch zu bringen. Talaufwärts fahrende Schiffe aber mussten hier ausladen. Sie wurden mit Winden und Hebe-Vorrichtungen 2 Meter emporgewunden zum oberen Wasserspiegel, wo sie ihre Ladung wieder erhielten.
Treideler und Kater Lampe
Stromabwärts ließ man allgemein die Schiffe treiben. Stromaufwärts mussten sie durch Menschen gezogen werden. Oft wurden mehr als 50 solcher „Treideler“, die man Spottweise „Hüossen“ oder auch ohne Rücksicht auf die Zahl „die sieben Faulen“ nannte, vor ein Schiff gespannt. Von ältesten Leuten, die den letzten Rest dieses Betriebes in ihrer Jugend noch gesehen hatten, kann man heute noch Glossen über die angebliche Faulheit, Dummheit und Trinkfreudigkeit dieser Treideler hören. Bekannt ist die vielbelachte Hajener Katergeschichte. Dem Schifferwirt dort wurde von Schaumburger Treidelern ein bratfertiger Hase gestohlen. Der Wirt hängt beim nächsten Besuch der Übeltäter einen abgezogenen Kater aus dem Fenster, der prompt das Schicksal seines Vorgängers teilte, um in die Mägen der immer hungrigen Hüossen zu verschwinden, die für den nachfolgenden Spott nicht zu sorgen brauchten.
Erst von 1700 an setzte man zum Ärger der Treideler auch das Schiffsziehen mit Pferden durch. Die von Münden bis Bremen 24-mal das Ufer wechselnden Treidelpfade wurden gegen den Widerstand der Bauern verbreitert. Aber welch große Arbeit, die vielen Pferde (etwa 8 – 18) bei den zahlreichen „Überfallstellen“ immer wieder ans andere Ufer schaffen zu müssen! Heute sind diese Treidelpfade meistens zugewachsen oder durch Kies-Schutt der Baggerarbeit zugeschüttet.
Erst durch die Weserschifffahrtsakte von 1823, die allerdings mehrere Jahrzehnte nötig hatte, um sich restlos durchzusetzen, wurden alle hindernden Sonderrechte an der Weser aufgehoben. Die Gründung der Bremer Schlepp-Schifffahrtsgesellschaft 1886 wurde dann der Markstein für den modernen Betrieb.
Der tausendjährige Einbaum.
Wichtiger Fund auf dem Grunde der Weser.
Der Heinser Einwohner Kemna, der bei Forst im Knie des Flusses dem Aalfang mit Aalreusen nachgeht, stieß vor längerer zeit auf dem Grund der Weser auf einen rätselhaften Gegenstand. Es gelang jetzt, denselben zu heben und als einen verhältnismäßig unversehrten Einbaum zu enträtseln. Das Fahrzeug ist aus einem Stamm herausgearbeitet, sein Holz besteht anscheinend aus dem heute in Deutschland höchst seltenen, aber in unserer Weserheimat hier und da noch vorkommenden Eibenbaum. Gerade in den Weserbergen, die den Fluss von Forst ab begleiten, stehen heute noch einige Eiben. Das Holz hat übrigens korkartigen Charakter angenommen und ist heute höchst zerbrechlich. Wenn auch ohne nähere Inaugenscheinnahme durch einen Fachmann noch nicht gesagt werden kann, aus welcher Zeit der Fund datiert, so ist doch immerhin zu bemerken, dass ein derartiger Bootsbau und die Wahl eines solchen Holzes darauf schließen lassen, dass es sich hier um einen sehr wichtigen und alten Fund, vielleicht sogar um Prähistorie handelt. Es würde nicht das erste Mal sein, dass der Flussschlamm seine Konservierende Wirkung über viele Jahrhunderte hinweg ausgelöst hat. Übrigens sind bereits Sachverständige benachrichtigt, die sich für die Entdeckung des Heinser Fischers interessieren.
Da sah man ihre Trümmer rauchen
Zu einem wertvollen Museumsstück wäre ein Einbaumboot aus vorgeschichtlichen Zeiten geworden, wenn es nicht der Uneinigkeit der Kreisverwaltungen Hameln und Holzminden zum Opfer gefallen wäre. Ein Fischer hatte im Jahre 1938 am rechten Weserufer den etwa zweieinhalbtausend Jahre alten Einbaum gefunden und ihn in seinen Wohnort Heinsen mitgenommen. Zwischen den Kreisen Hameln, in dem sich das Boot jetzt befand, und Holzminden, wo es gefunden wurde, entspann sich ein Streit um das Besitzrecht.
Der fünf Meter lange Einbaum wurde inzwischen provisorisch konserviert und in einer Scheune untergestellt, wo er zerfallen und zu Feuerholz verarbeitet ist. (s. Bild Seite 3)
Zwei Einbäume aus der Weser. Verkleinerte Nachzeichnung aus dem Klütkalender 1930.
Abbildung links: Einbaumfunde, die in der Weser entdeckt wurden.
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