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Die Poller Schuhmachergilde
Dem Durchleuchtigen und Hochgeborenen Fürsten und Herren, Herrn Georg Wilhelm, Herzog von Braunschweig und Lüneburg, unserem Gnedigen Fürsten undt Herrn . . .“. So lautet die Anschrift eines Bittgesuches der Poller Schuster um Gewährung der „Gildegerechtigkeit“, das sie im Jahre 1657 an ihren Landesherren richteten.
Die Bildung von Zünften und Gilden gehörte neben dem Brau- und Marktrecht zu den Privilegien, die der Fürst den aufstrebenden Städten und auch den Flecken seines Herrschaftsgebietes verlieh. – „Semptliche Schuster im Flecken Polle“ unter der Führung der Meister Bartholdt Eickhoff, Jürgen Eickhoff, Lips Stieters, Jürgen Bogeholz und Hans Nüssen beklagen sich, dass sie wegen der ihnen fehlenden Gildegerechtigkeit großen Schaden erleiden und in ihrer Existenz bedroht sind. Ihre Lehrlinge und Gesellen finden außerhalb des Amtes keine Anerkennung und deshalb auch nur schwerlich eine neue Arbeitsstelle. Anderseits wollenauswärtige Gesellen bei den Poller Meistern nicht arbeiten und Lehrlinge aus anderen Orten bei ihnen erst gar nicht mit der Lehre beginnen, weil sie später nicht für „voll und tüchtig gehalten werden“.
Die Regierung beauftragt den Poller Amtmann Conradt Ludewigs, innerhalb von 14 Tagen einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Er soll sich „gewissenhaft und mit Fleiß erkundigen, ob sie ihr Handwerk redlich gelernt undt deßwegen ihre Lehrbriefe vorzulegen und ob sie auch ansonsten alß qualificieret, daß sie für gildefähig gehalten werden“. Dem Lehrbrief ist die Geburtsurkunde beizufügen; denn man legt Wert auf eine eheliche Geburt und Herkunft.
Die Bitte der Poller Schuhmacher wurde erhört, wie aus der Abschrift des „Gildebriefes“ hervorgeht. Er beginnt mit den Worten: „Von Gottes Gnaden, wir Christian Ludwig, Hertzog zu Braunschweig und Lüneburg, bekennen undt thun kundt, mit diesem offenen Brief vor uns, unseren Erben undt Nachkommen, gegen jedermenniglich, danach unseren Underthanen, liebe Getreue undt Einwohner unseres Fleckens Polle . . ., dass wir ihren Schustern eine löbliche Gilde undt Zunft auf Gnaden verordnen . . .“. In fünf Punkten folgen die Bedingungen, die von den Schuhmachern einzuhalten sind.
Sie müssen aus ihren Reihen einen „Altermann“ und zwei Gildemeister wählen. Wer in die Gilde aufgenommen wird, hat 16 Taler zu entrichten, wovon acht an das Amt und acht an die Gilde zu zahlen sind. Innerhalb des Amtes darf kein Schuster Schuhe machen oder zum Kauf anbieten, der nicht Mitglied der Gilde ist. Verstöße gegen die Bestimmungen sind mit harten Strafen zu belegen. Zur „Unterhaltung alter, verbrauchter, armer Meister und kranker Schustergesellen sollen linderliche Colleccts“ (Sammlungen) erfolgen. Der Landherr gelobt: „Dagegen wollen wir undt unsere Erben undt Nachkommen sollen sie, die oberwähnten Schuster, bei diesem unserem ihnen gegebenen Fürstlichen Privilegie schützen undt vertheidigen, getreulich undt ohne Gefehrde.“
Die Abschrift des ausgestellten Gildebriefes trägt leider kein Datum. Doch ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, dass die Gewährung der Gildegerechtigkeit in dem gleichen Jahr erfolgte, in dem auch das Bittgesuch geschrieben wurde, nämlich 1657. Wenn nicht Georg Wilhelm den Brief ausfertigen ließ, an den doch die Bitte gerichtet war, sondern Christian Ludwig, so geschah es vielleicht stellvertretend für den oft auf Reisen oder Kriegszügen befindlichen Bruder. Von 1641 bis 1665 residierte Georg Wilhelm in Hannover und nach dem Tode Christian Ludwigs, der kinderlos verstarb, bis 1705 in Celle.
Rund 100 Jahre später – 1752 – ist abermals von dem Privileg der Poller Schuhmachergilde die Rede. Als der Musketier Ludwig Bolte um Genehmigung zur Aufnahme in die Schustergilde bittet, werden ihm von Seiten der Regierung Schwierigkeiten gemacht, weil das Privileg nicht aufzufinden ist. Man hat die Amtsakten durchsucht, aber das wichtige Dokument nicht gefunden, obwohl alle Gepflogenheiten auf eine bestandene Gilde hinweisen. Boltes Gesuch trägt die Unterschrift: „Ludwig Bolte, Mousquetier unter des Herrn Capitain von Münchhausen Compagnie, 1. Bataillon der Fuß-Gaarde“. Der Bittsteller besitzt weder einen Lehrbrief noch den Nachweis von „Kundschaften“. Er ist 1736 durch Werber aus der Lehre bei Schuster Krapp in Heiligenstadt angeworben und hat zehn bis elf Jahre in der Kompagnie als Schuster gearbeitet. Jetzt hat er in Polle eine Kötnerei erworben und möchte sich als Schuster niederlassen. Über das Ergebnis seines Gesuches ist aus den Akten nichts zu erfahren.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts – 1839 – wird die Existenz einer Gilde abermals von der Regierung in Zweifel gezogen. Das wichtigste Schriftstück, der Gildebrief des Jahres 1657, ist und bleibt verschwunden. Man findet zwar allerlei „Regiminal-Rescripte“ (behördliche Schreiben), aus denen hervorgeht, dass eine Gilde „seit Menschengedenken“ bestand. Man besitzt auch ein Schild mit Reichsadler, das von Kaiser Leopold I. den Schuhmachern verliehene Wappen, man hat ferner eine Gildenlade, führt ein Gildensiegel, hält Gildenversammlungen ab und „Morgensprachen“, nennt eine Gildekasse und sogar eine Herberge und einen „Willkommen“ (Trinkspruch) sein eigen, man macht Aufzüge mit Musik, stellt Lehrlinge ein usw.. Sind das nicht Beweise genug!?
Die Regierung lenkt schließlich ein und fertigt einen neuen „Amts- und Gildebrief“ aus, diesmal freilich auf einem elf Seiten langen vorgedruckten und handschriftlich ergänzten Formular. Die Gildemeister sind zu diesem Zeitpunkt die Gebrüder Heinrich und Ludwig Pragemann, während zu den Gildemitgliedern Franz Schneider, Georg Meiwes, Friedrich Böker, Gottlieb Wilke und Friedrich Schmidt zählen. In einem späteren „Amts- und Gildebrief“ gleicher Art werden Wilhelm Nedderhut und Friedrich Schmidt als Vorsteher der Gilde genannt. Vor 100 Jahren – 1861 – waren es Friedrich Schaper und Friedrich Schmidt.
Außer den Schuhmachern des Flecken Polle gehören nun auch die übrigen Meister des Amtes zur Gilde. 1838 wird die Gesamtzahl der Mitglieder mit 20 angegeben. Alle haben die gleichen Pflichten und Rechte. Auch in der Anfertigung des Meisterstückes macht man keinen Unterschied, obwohl einige Poller Meister einen solchen für „zweckdienlich“ halten, da sie „vorzugsweise“ für Honoratioren und Bürger Arbeiten“, also feineres Schuhwerk zu liefern haben. Als Meisterstück sind anzufertigen: ein Paar lange Stiefel, ein Paar Manns- und ein Paar Frauenschuhe, und zwar nach selbstgenommenem Maß binnen zehn Tagen. Die Prüfungsgebühren betragen 12 Taler. – Die Regierung verlangte 1848 eine wesentliche Herabsetzung der Gebühren, während die Gilde sie noch erhöhen wollte, um eine „Verpflegungs-Casse“ für kranke und arbeitsunfähige Meister und Gesellen einzurichten.
Die für das Vorhandensein einer Poller Schuhmachergilde zeugenden Belege enden mit dem Jahre 1866, dem Zeitpunkt der Einverleibung Hannovers durch Preußen. – Später traten die „Innungen“ an die Stelle der alten Gilden und Zünfte.
Autor: Friedrich Wittkopp
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