Die Lumborns Mühle im Glessetal

Mühlen in Polle

Die Lumbornsmühle im Glessetal


In diesen Tagen wird die „Niedersächsische Mühlengeschichte“ im Verlag Hermann Bösmann GmbH, Detmold, erscheinen. Ihr Bearbeiter, Wilhelm Kleeberg, Hannover, sammelte seit 1958 im Auftrage des Landes Niedersachsen und des damaligen Landeskonservators, Prof. Dr. Karpa, alles Wissenswerte über die niedersächsischen Mühlen und die Müllerei. Das Werk, das von der „Vereinigung zur Erhaltung von Wind- und Wassermühlen in Niedersachsen“ e. V. herausgegeben wird, soll nach der Ankündigung etwa 500 Druckseiten und 250 Bilder enthalten.


Es dürfte klar sein, daß eine derartige Stoffülle nur von höherer Warte überschaubar geordnet und aufgegliedert werden kann. Darüber hinaus bleibt es den untergeordneten, örtlichen Stellen überlassen, sich um die Erforschung der Geschicke jeder einzelnen Mühle zu bemühen, vor allem dann, wenn die Mühle bereits eingegangen oder aber dem Untergange geweiht ist. Aus diesen Erwägungen heraus sei hier der Lumbornmühle und ihrer Geschichte gedacht.

Heute nur noch Ruine: Die Lumbornsmühle (Motiv nach einer alten Postkarte)

Auch sie ist längst den technischen Fortschritt zum Opfer gefallen. Angeschmiegt an den Steilhang des Brevörder „Kleffs“ bildete sie Jahrzehnte hindurch eine landschaftliche Schönheit im herrlichen verschwiegenen Glessetal. Jetzt ist das Mühlenrad verschwunden, das Mauerwerk ist zusammengebrochen, und die morschen Balken des Fachwerkgebäudes sind ineinandergestürzt. Gegenwärtig bilden die Trümmer der Mühlenruine einen wenig erfreulichen Anblick.


Einst stand die Mühle im Dorf Brevörde oder doch in seiner unmittelbaren Nähe. Die heutigen Bewohner wissen von dem ursprünglichen Platz nichts mehr, auch an eine Verlegung in das Glessetal ist keine Erinnerung geblieben. Die Akten des Landesarchivs aber haben diesen Vorgang  getreulich bewahrt.


 


Das Kornregister 1605/06 nennt als Besitzer der Brevörder Mühle den Müller Hans Jacob. Der Bericht des Poller Amtmanns Drebber spricht 1610 von einer „armseligen, oberschlechtigen Mühle mit einem Grindt, mahlet dritten Theil des Jahres selten, da Sommerzeiten durch die Hitze, winters durch die Kelte geht das Wasser leicht hinwegk, gibt dem Müller schwerlich das trucken Brodt, ans Ambt aber zwo Malter Rogken“.


 


Damit sind die Schwierigkeiten angedeutet, unter denen die Mühle während der gesamten Zeit ihres Bestehens zu leiden hatte. Das Korntributionsregister von 1672 erwähnt zwar die Mühle, aber nicht den Namen seines Besitzers. Die Kopfsteuerbeschreibung von 1689 führt dagegen die ganze Familie auf: „Albert Dornemann, Müller, hat selten Wasser (53 J.), Ehefrau Maria, geb. Buben (52 J.), Kinder: Sohn N. (18 J.), Maria (17 J.), und Liesabet (9 J.)“. Mit dem Sohn, dessen Name hier nicht genannt, sondern nur mit N. bezeichnet ist, wird Harmen oder Hermann Dormann gemeint sein, der in späteren Registern mehrfach auftaucht. 1749 wird erstmalig der Müller Johann Heinrich Hartmann als Besitzer erwähnt, der das Erbzinsrecht bis zur Verlegung der Mühle im Jahre 1773 innehatte.


 


Die Brevörder Mühle wurde von jeher durch den Glessebach gespeist, der in seinem Unterlaufe durch den „Lumborn“ wesentlich, wenn nicht gar entscheidend, verstärkt wird. In der Nähe dieses Brunnens soll nach dem Verzeichnis untergegangener Ortschaften in Georg Schnaths Werk „Die Herrschaften Everstein, Homburg und Spiegelberg“ (S. 76, lfd. Nr. 84) eine Siedlung namens „Ludenborn“ gegeben haben. Die heutige Flurbezeichnung „Lühnsche Lieth“ (Ludensche Lieth!) hat neben dem Quellennamen „Lumborn“ die Erinnerung an die Wüstung erhalten.


 


Um das für seine Existenz  lebensnotwendige Wasser mußte der Müller gegen die Natur und gegen die Behörden einen zähen Kampf führen; denn sehr viel Wasser ging „in Klüften und Felsen verloren“, und Mühle und Lumborn trennte oder trennt bis auf den heutigen Tag die Grenze. Früher war es die Grenze zwischen dem hannoverschen Amt Polle und dem wolfenbüttelschen Amt Ottenstein, heute verläuft hier noch die Grenze zwischen den Kreisen Hameln-Pyrmont und Holzminden. Wie sehr der Müller von diesem Wasser abhängig war, geht aus einer Klage des Jahres 1754 hervor, worin es heißt: „Dasjenige Wasser, dessen er sich dermalen mit bedient, kömmt aus dem sogenannten Luenborn, dessen Quelle etwa einen Büchsenschuß weit von der hiesigen Grentze auff des wolfenbüttelschen Amts Ottenstein Hoheit am Fuße eines Berges so stark entspringet, daß sie ein oberschlächtiges Wasserradt zu treiben hinreichend ist. Von da muß der Müller dieses Wasser durch einen Canal 1/4 Meile bis zu seiner Mühle leiten“. – Wenn man die alte hannoversche Meile mit rund 7400 Meter rechnete, die Viertelmeile also 1850 Meter betrug, ist die ursprüngliche Lage der Brevörder Mühle in dieser Enrfernung vom Lumborn aus abwärts zu suchen.


 


Der Müller hatte für die Entnahme des Wassers aus dem Lumborn ein jährliches „Wasserfallgeld“, auch „Wasserzins“ genannt, von 1 Rtlr. 4 Mgr. An das Amt Ottenstein zu entrichten, das er später freiwillig auf 2 Rtlr. erhöhte. Mit dem Glesse- und Lumbornwasser war aber für einige Ottensteiner Amtswiesen sowie für deren Pächter das Recht des „Fleuens“ oder „Flöens“. Also des Beflutens oder Bewässerns, verbunden. So durfte die Witwe des Ottensteiner Amtmannes von Mansbergen nach einer Klage des Müllers Harmen Dormann von 1719 ihre im Glessetal gelegenen Wiesen im Frühjahr mit dem Lumborn „befleuen“, aber nur vierzehn Tage vor und vierzehn Tage nach Ostern, wöchentlich zweimal, mit Ausnahme der stillen Woche, in der das Wasser dem Müller vollständig zur Verfügung stand. 1750 beriefen sich die Pächter Wietbrauk, Sporleder und Seumenicht aus Ottenstein auf einen diesbezüglichen Vergleich aus dem Jahre 1593. Danach durften die Wiesen vom Sonntag Estomihi bis auf den Tag Tiburtil (14.4.) und von Jacobi (257.) bis Laurentil  (10.8.), ausgenommen die Tage von Palmarum bis Ostersonnabend, bewässert werden. Wie hart die Gegensätze aufeinander prallten. Ersehen wir daraus, daß dem Müller Hartmann 1756 eine Kuh gepfändet („mit Arrest belegt“) wurde, weil er drei Jahre mit seinem Wasserzins in Verzug geraten war.


 


1765 stellte die Witwe Hartmann den Antrag auf Verlegung der Mühle mit der Begründung, sie habe schon seit acht Jahren keinen Nutzen mehr von der Mühle gehabt, starke Gewitterregen hätten zudem den Mühlenbach fast verschüttet, die Leitung völlig ruiniert und ihren Fluß unter der Mühle hindurch genommen. Sie möchte den Abbruch selbst bezahlen und das Gebäude „eine Viertelstunde dem Ursprunge der Bache näher“ wieder errichten lassen. Nachdem der Plan unverwirklicht blieb, wurde er von dem Müller Johann Ernst Hartmann 1772 dem Amt erneut unterbreitet. Diesmal wurde ein passender Platz in Augenschein genommen und von dem Amtszimmermeister Mönckmeyer der Holzbedarf für den Wiederaufbau mit 928 Fuß Eichen und 1580 Fuß Buchen errechnet. Die Königliche Regierung erklärte sich am 10. März 1773 mit der Verlegung unter der Voraussetzung einverstanden, daß die Mühle auf hannoverschem Territorium erbaut und der übliche Mühlen- und auch Wasserzins entrichtet würden.


 


Müller Hartmann erklärte sich aber nunmehr außerstande, die Kosten von 1200 Rtlr. Aufzubringen. Da erbot sich der Müller Michael Anthon Reinecke aus dem braunschweigischen Amte Forst, die Mühle zu bauen, wenn Hartmann ihm sein Erbenzinsrecht abtreten würde. Aus einem Schreiben vom 29. Juli 1774 geht mit Deutlichkeit hervor, daß die neue Mühle zu diesem Zeitpunkt bereits ihren Mahlbetrieb aufgenommen hatte. Die Kurhannoversche Landesaufnahme aus dem Jahre 1783 verzeichnet sie als „Lumbornmühle“. Da die Anzahl der Wohnplätze in Brevörde auf dieser Karte mit 71 angegeben ist und die mit der Mühle verbundene Brinksitzerstelle die Haus-Nummer 71 trägt, ist anzunehmen, daß zwischen 1774 und 1783 kein weiteres Wohngebäude errichtet wurde.


 


Mit der neuen Mühle und seinem neuen Besitzer verstummten aber nicht die alten Klagen. Auch Meister Reinecke jammerte über mangelndes Wasser in Verbindung mit der Bewässerung der Amtswiesen und über und zu geringe Einnahmen. Seinen Nachfolgern, - die Besitzer oder Pächter wechselten häufig – erging es nicht anders. Die Brevörder Mühle war eben keine „Zwangsmühle“, der der „Mühlenzwang“ einen festen Kundenkreis sicherte. Die Brevörder Bauern konnten mahlen lassen, wo sie wollten: in der Amtsmühle zu Polle, in der Steinmühle, die nach der erwähnten Kopfsteuerbeschreibung von 1689 auch zu Brevörde zählte, obwohl sie seit undenklichen Zeiten an das Kloster Amelunxborn zinspflichtig war, oder auch in der Lumbornmühle, wenn ihnen ihr Besitzer genehm war. Dieser war nach altem Brauch berechtigt, den 16. Teil des Mahlgutes als „Mühlenmetze“ oder „Mühlkopf“ einzubehalten. Dazu kamen für jeden Himbten zwei Pfund Staubmehl. Der Brevörder Müller mahlte oder schrotete nach einer in den Akten befindlichen Uebersicht vom 1. April 1753 bis 31. März 1754 „469 1/2 Himbten Rocken, 32 1/2 Himbten Viehschrot, 13 1/2 Himbten Gerste und 4 1/6 Himbten Maltz“. Die entsprechenden Einnahmen beliefen sich auf 19 1/2  Himbten Rocken, 2 Himbten Viehschrot, 3/4 Himbten Gerste und 1/4 Himbten Maltz“,. Der mit 1/16 Himbten bemessene „Mühlenkopf“ war in der Regel ein geeichtes Hohlmaß, das eine Waage entbehrlich machte. So wird 1830 in einer statistischen Erhebung von der Hünicher Mühle berichtet, daß keine Waage vorhanden sei. Der Pächter der Weißenfelder Mühle bei Polle durfte nach der gleichen Umfrage von seinen hannoverschen Mahlgästen den „Mühlenkopf“, von seinen Kunden aus dem benachbarten Lippischen aber den „Scheffelkopf“ (den 16. Teil des größeren lippischen Scheffels) erheben.


 


1780 wirtschaftete in der Lumbornmühle der Müller Greve, der zuvor in der Steunmühle war. 1782 ist ihr Besitzer Johann Conrad Kruckemeyer, der ein Jahr darauf beide Mühlen, die Steinmühle und die Lumbornmühle, innehat. Er führt 1784 bittere Klage über den Ottensteiner Einwohner Johann Friedrich Schomburg, den er beschuldigt, das Wasser mit Hilfe von Steinblöcken abgeleitet zu haben. Auch Kruckemeyers Pächter, Johann Christian Lehne, behauptet zu einem späteren Zeitpunkt, Schomburg habe einer der wasserleitenden Rennen zerschlagen.


 


1791 befindet sich die Lumbornmühle im Besitz des Müllers Johann Klenke, der vermutlich aus der Hünnicher Mühle stammt. Dieser versucht vergeblich, sich gegen die starke Konkurrenz des herrschaftlichen Amtsmüllers Georg Otto Kruckemeyer zu Polle zur Wehr zu setzen, der das Korn mit einem Schiff von den Brevörder Bauern abholt und ihnen das Mehl auf die gleiche Weise wieder zustellt. Klenkes Klage wird 1792 von der Regierung mit dem Hinweis, daß die Lumbornmühle keinen Mahlzwang habe, abgewiesen.


 


Gelegentlich der Ablösung der sogenannten Registergefälle erfahren wir, daß die Mühle 1841 dem Mühlenmeister Friedrich Ermeling gehört, der sie nach seiner Aussage seit 34 Jahren im Besitz hat. Danach hat er sie 1806 oder 1807 käuflich erworben. Die Abgaben bestanden lediglich in dem üblichen Erbenzins, der anfangs zwei Malter Roggen betrug. Diese Naturalabgabe wurde bereits 1748 in „6 Rtlr. Cassenmünze“ umgewandelt. Die Mühle ist nicht mit Dienstpflichten, auch nicht mit „der Prästanden eines Rauchhuhnes“ belastet. Außer einem kleinen Garten besitzt der Müller keine zur Mühle gehörigen Grundstücke. Zur Forst-Interessentschaft zählt die Mühle wie die übrigen Kötner und Brinksitzer.


 


1820 erhält Ermeling die Genehmigung zur Aufstellung einer Oelmühle. Die tatsächliche Ablösung des Erbenzinses erfolgte in allen Mühlen des Amtes erst zwischen 1873 und 1875. Zu dieser zeit war die Lumbornmühle im Besitz des Müllers Thies, während sie noch 1867 Ermeling gehörte. Nach mündlicher Auskunft vererbte Thies die Mühle einem unehelichen Sohne, nämlich dem Müller Fritz Tegtmeyer, der den meisten Brevörder Einwohnern noch in Erinnerung ist. Er blieb unverheiratet. Eine mit der epileptischen Krankheit behaftete Nichte führte ihm in der abgelegenen Mühle den Haushalt. Nachdem die Lumbornmühle kurz vor dem zweiten Weltkriege ihren Betrieb eingestellt hatte und Fritz Tegtmeyer 1946 in einer Pflegeanstalt verstorben war, fiel das Mühlenerbe an die verwandte Familie Stukenberg in Afferde bei Hameln, die es gegewärtig nur noch zur Hälfte besitzt, nachdem die andere Hälfte von dem Einwohner Reschke in Elbrinxen käuflich erworben wurde.


 


Die Gemeinden Brevörde und Grave sicherten sich indes durch einen Vertrag mit dem für die Glesse zuständigen Forstamte Scharfoldendorf das Recht zur Entnahme von Wasser aus dem Lumborn. Sie gründeten ein „Wasserbeschaffungsamt“ und sind seitdem der Sorge um das nötige Trink- und Wirtschaftswasser enthoben; der Lumborn spendet wie eh und je, auch in trockenen, regenarmen Sommern, das kostbare Naß, und zwar in so reichlichem Maß, daß auch dem Bauern Schomburg, der nach wie vor das „Flöhrecht“ besitzt, genügend Wasser für seine Wiesen bleibt.


Veröffentlicht:  TAH 10. September 1980

Autor: Friedrich Wittkopp


 


Die alte Lumbornsmühle im schönen Glessetal

„In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad“


Auch im Zeitalter der Atombombe, der Sputniks und der Raketen gibt es noch Einsamkeit, abgelegene Winkel – für den Naturfreund ein Labsal. eine Fundgrube für denjenigen, der liebt, was da kreucht und fleucht und was da blüht und wächst. Das Glessetal ist noch immer verhältnismäßig unberührt – grünende Natur im Frühling, blühende im Sommer, reifende im Herbst und feierlich einsame im Winter. Das gilt vor allem für den Weg zur alten Lumborns Mühle und zum Dörfchen Glesse von Brevörde aus. Man kann ihn nur auf Schusters Rappen abwandern. Beim Gasthof „Zur Krone“ schlägt sich der Weg seitwärts in die Büsche, ins Tal des Glessebachs. Ich bin ihn im Sommer manchmal gegangen. Man kann, obwohl der Weg sich auch im Winter lohnt, jetzt von Erinnerungen zehren.

Die Lumbornsmühle im Glessetal Aufnahme: H. Beuser

Schon gleich beim Verlassen des Dorfes nimmt und das Tal gefangen. Am Bachbett der Glesse schlängelt sich der Weg nach Westen; linker Hand leuchtet das Wochenendhaus Dr. Schaper, es liegt auf steiler Höhe, unterhalb der Stelle, wo einst die Stolze Bomburg stand. Hoch darüber kreist der rote Milan, es ist sein Jagdgebiet, sein Horst befindet sich in einer knorrigen Eiche im Weserberg in der Nähe der Kampsgrund, wo auch der Buntspecht seine Nisthöhlen hat. Rechts des Weges steigt das Gelände steil himmelan und verlängert sich bis zu Ottensteiner Hochebene.

Die Lumbornsmühle im Glessetal Aufnahme: H. Beuser

Noch eine kurze Ecke Weg und rechts fängt der Wald an, das Kleff. An der anderen Seite drängen sich die Berge zum Bach und im Moment ist Bach und Weg an beiden Seiten von steilen Höhen eingezwängt.  Steil erhebt sich links die Fuchshalde, bewachsen mit Kirschbäumen und Heide. Hier wächst der letzte Wachholder, hier huschen sommers Eidechsen durchs Heidekraut, und stattliche Exemplare von Ringelnattern lassen sich von der Sonne wärmen, während unten am Bach die Wildenten brüten. Rings ist dann ein Singen und Klingen unserer gefiederten Sänger preisen ihren Schöpfer. Aus der blühenden Weißdornhecke schmettert der Zaunkönig, aus den Eschen antwortet der Buchfink und als blutroter Fleck präsentiert sich der Dompfaff. Im Fichten- und Kiefernwald singen die Goldhähnchen und rätscht der Eichelhäher, und von hoch droben dringt das Jubilieren der Lerchen. Plötzlich dringt von oben ein greller Katzenschrei, ein Bussardpaar zieht ohne einen Schwingenschlag seine Kreise, majestätisch ist der Flug der Greife über ihren Horst, der sich zwischen Beuserweg und dem Krähenpfuhl in einer hohen Buche versteckt und von wo auch das Locken und Gurren des Ringeltäubers herunterklingt. An beiden Seiten des Baches leuchten im Sommer Pflanzen und Blumen, dringt das Summen der Bienen und Hummeln und dringt das Konzert der Grillen. Als Begleitmusik gibt der Bach mit seinem murmeln und Plätschern des glasklaren Wassers die richtige Stimmung. Im Bach, auf einem von Vergiss-meinnicht umwucherten Felsbrocken wippt die Bachstelze, im Sonnenglast taumeln über dem Ganzen die Sonnenvögel, unsere herrlichen Schmetterlinge. Nach einer kleinen Steigung geht der Weg rechts ab, von der Straße, es ist der Eselsweg und der führt zur alten Mühle. Bevor aber der Weg über eine Brücke zur anderen Bachseite hinüberwechselt, schweift der Blick noch einmal zum Kleff hinauf, eine Landschaft, die in ihrer Eigenwilligkeit und bizarren Form eigentümlich wirkt. Steile, bewachsene Felsvorsprünge wechseln mit Schluchten ab. Hier reifen im Juni jede Menge Erdbeeren, hier blüht der Seidelbast und in den Dickungen hat das wild seinen Einstand. Von einem der Köpfe blickt eine Futterraufe hinunter, wo der Jagdpächter Schmelzkopf im Winter, der Notzeit der Tiere, die Rehe füttert.



Inzwischen taucht plötzlich in dieser Einsamkeit ein Haus, ein Fachwerkhaus auf, die alte Mühle. Beim Näher kommen merkt man die Stille, die über der Lumbornmühle liegt. Nichts rührt sich, das Mühlenrad dreht sicht mehr, kein Mensch wohnt hier. Ich setze mich auf die dicke Holzachse des Wasserrades und meine Gedanken schweifen zurück und plötzlich wird die Vergangenheit lebendig. Ich sehe die Menschen, die hier einst wohnten. In der Tür steht der letzte Besitzer Fritz Ties, ein Waldschrat, im Selbstgewebten Beiderwandsanzug. Die eisgrauen Haare stehen ihm weit über Ohren und Kragen und alles ist überhaupt von einer weißen Schicht von Mehl und Schrotstaub. Es gackern Hühner, schnattern Gänse und zwei Hunde vertreiben das Raubwild und bellen jeden Fremden wütend an. Eine Frauenstimme schimpft, es ist Auguste, die Nichte des letzten Mühlenbesitzers. Ich höre das Knirschen der Mahlsteine, das Pochen des Mahlwerks, das Knarren und Ächzen des Mühlrades und das Rauschen des Wassers, das in unermüdlicher Kraft das schwere riesige Rad in emsiger Geschäftigkeit dreht. Vorbei, alles vorbei, ein Zeuge der Vergangenheit verfällt. Böse Bubenhände machten den Anfang und jetzt macht die Natur den Schlussstrich.


 


... „das Mühlrad geht nicht mehr“


Plötzlich schlägt ein Hund an, aber er ist nicht von der Mühle, es ist auf dem Einödhof „Lütge Lied“. Mit wehmütigem Blick, noch einmal die alte Lumbornsmühle überblickend, schlendere ich bachaufwärts weiter und dann sehen wir oben das rote Wohnhaus des Bauern Notbohm, von wo der Hundelaut kam. Getrennt durch einen tiefen Taleinschnitt liegt auf der gegenüberliegenden Bergseite der andere Einödhof „Steinbreite“, bewohnt vom Bauern Fritz Schomburg. Weiß leuchtet das Wohnhaus durch die Bäume und beide Höfe stören nicht das Auge, sie passen sich harmonisch der Landschaft an und gehören einfach zum Glessetal. Hier zwischen beiden Höfen in der idyllischen Schlucht entspringt eine starke Quelle, die einst das Mühlrad trieb, heute aber als Wasserversorgung für die Orte Brevörde und Grave eingefangen ist. Von links grüßt von oben das Buchholz und etwas darunter zieht sich ein Fichtenbestand zum düster wirkenden Hainholz hin, ein Waldbestand, der den Wanderer bis zum Dörfchen Glesse nicht mehr verlässt. In dem Fichtenwald mahnt uns ein Denkstein an die leichte Vergänglichkeit alles Irdischen, denn er kündet, dass hier der letzte seines Geschlechts, der Vollmeier Christian Grimme aus Brevörde, von einem fallenden Baum erschlagen wurde. Allmählich ist die Abenddämmerung hereingebrochen, die Insekten sind zur Ruhe gegangen, die gefiederte Welt verstummt. Auf einem Heckenrosezweig sitzt eine Goldammer und singt ihr melancholisches und schwermütiges Lied und auch die Drossel singt ihr Abendlied. Hoch droben sitzt sie auf dem höchsten  Wipfel einer Tanne und wird von den Strahlen der untergehenden Abendsonne golden beschienen. Das Wild, das am Tage sehr heimlich war, ist jetzt ausgetreten. Hier hoppelt der Hase, dort am Hang verhofft ein Sprung Rehe. Bei der dicken alten Weide am Bach maust der Fuchs, und am Bachrand selbst ziehen drei weitere Rehe vorsichtig nach uns lauschend aufwärts. Hell leuchten die weißen Spiegel. Inzwischen ist es ganz dunkel geworden, aber auch jetzt herrscht noch Leben im Glessetal. Ein schwarzer Schatten streicht über unsere Köpfe, eine Schleiereule die lautlos auf Nahrungssuche ist. Aus dem jetzt dunkel und drohend erscheinenden Kleff dringt das helle Kiwitt-Kiwitt des Käuzchens und vermengt sich mit dem dumpfen Uhuu-Uhuu der großen Waldohreule. Plötzlich stockt der Schritt, andächtig lauschen wir dem Gesang der Nachtigall, die jetzt am Bachrand schlägt, und dann fallen noch mehrere in den Gesang ein, es schluchzt und klingt bachauf und abwärts, kein fremder Laut stört diese erhabene Stille.


Ich erinnere mich, oh ich erinnere mich sehr deutlich an diesen Sommertag im Glessetal. Jetzt liegt es in triefender Nässe, morgen vielleicht schon wieder unter der Decke des Schnees, die nur die Fährten von Hase und Fuchs kreuzen. Jetzt atzen sich die Kreuzschnäbel in den Fichten und stöbern die Seidenschwänze des Nordens auf Nahrungssuche in Busch und Strauch herum. Jetzt kann nur den Wege gehen, wer festes Schuhwerk an den Füßen hat und sich vor einer Schütte Regen, einer Mütze Wind oder auch dem stiebenden Schnee nicht fürchtet. Bald aber kommt der Frühling. Bald grünt es wieder, blüht es wieder, singt es wieder, jubiliert es wieder im Glessetal.

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