Wohl gleichfalls veranlasst durch den hl. Vicelin, gründete 1122 ein G r a f  A d a l b e r t v o n  E v e r s t e i n nördlich Eger im Gau Dobna die Kirche zu P l a u e n 4). Er wird ein Bruder des 1126 am Donnersberg an der Diemel regierenden Grafen Konrad (I.) von Everstein gewesen sein. Jedenfalls kennen wir eine interpolierte Urkunde mit der Jahreszahl 1113, in welcher ein an der Weser wohnender Graf Konrad mit seiner Gattin Mechthild und seinen Söhnen K o n r a d, O t t o  u n d  A d a l b e r t  als Zeuge genannt wird 5). Plauen mit Zubehör ging bis 1328 nachweislich nicht von den schwäbischen Grafen von Eberstein, sondern von den Holzmindener Grafen von Everstein zu Lehen an Nachkommen des in der Gründungsurkunde von 1122 als Zeuge genannten Erkanbert von Weida (Hauptlinien: die Vögte von Plauen und die Familie Reuß von Plauen) 6).

Dieser Graf Adalbert von Everstein dürfte identisch gewesen sein mit Graf Albert (Adalbert) I. von Everstein (1142 – 1158), dem S c h w i e g e r v a t e r  d e r  G r ä f i n  „R i k e z e“  v o n E v e r s t e i n, deren Jahrgedächtnis im Kloster Amelungsborn am 16. Juni gefeiert wurde. Wer diese Gräfin Rikeze war, das erfahren wir aus  der um 1250 verfassten Chronik des Alberich de Troisfontaines: „Rikessa, Tochter des Königs M a s u c h v o n  R u ß l a n d, Witwe eines Grafen von K a s t i l i e n  und eines Grafen von  A r a g o n,  Gattin eines Grafen Albert von Everstein, Mutter eines jüngeren Grafen Albert von Everstein, der seinerseits eine Schwester des Pfalzgrafen Otto (X.) von Wittelsbach und Nichte des Erzbischof Konrad von Mainz, verwitwete Wildgräfin, geheiratet und von ihr sieben Söhne, darunter als ältester den Propst Otto von Aachen, hatte.“ 7)

4) Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen, in: Thüringische Geschichtsquellen 5, 1 (1885), Nr. 1.

5) M e y e r  a. a. O. S. 142.

6) UB Weida, Gera, Plauen. Teil 1 Nr. 657 vgl. 613.

7) M e y e r  a. a. O. S. 143 f.

Diese Angaben sind im Wesentlichen richtig. Alberts I. Sohn Graf Albert II. (1162 – 1197, tot 1202) hatte 1197 nachweislich einen Sohn gleichen Namens (1197 – 1215), und die Söhne dieses Grafen Albert III. hießen !. Otto (1219 – 1282), 2. Konrad (1217 – 1256), 3. Albert (1226 – 1260), 4. Heinrich (1224 /25 und ? 1260), 5. Ludwig (1224 – 1284), 6. Friedrich (1230 – 1256, tot 1261?) und 7. Hermann (1226 – 1268, tot 1272). Otto wird in einer Urkunde seines Bruders Konrad 1224 als Propst (ohne Ortsangabe) bezeichnet. Er hat vermutlich als solcher resigniert und geheiratet 8). Heinrich dürfte identisch gewesen sein mit dem 1260 erwähnten Hildesheimer Domherrn Heinrich von Everstein; er wird anderweitig nur 1224 und 1225 in Urkunden seiner Brüder genannt. Albert wird zuerst 1232 als Domherr zu Hildesheim

8) M e y e r  a. a. O.  unterscheidet den 1224 erwähnten Propst Otto von Everstein vorsichtshalber  von dem späteren kaiserlichen Statthalter zu Göttingen, Graf Otto von Everstein (1219 – 1282), und nennt den Propst Otto I. und den mit einer  Irmgard (v. Arnstein)  vermählt  gewesenen Graf Otto II. von Everstein. In Wirklichkeit werden Otto I. und Otto II. identisch gewesen sein . Alberich de Troisfon taines schreibt: „A l b e r t u s   d u x i t    n e p t e m   a r c h i e p i s c o p i  (nämlich Konrads von Mainz),   Q u a e    e r a t   c o m e t i s s a    s y l v e s t r i s,  s o r o r e m    s c i l i u s   c o m i t i s O t t o n i s    d e   W i t t e l s b a c h,  q u i  i n t e r f e c i t    P h i l i p p u m  d e    S u e v i a,  d e q u a  i p s e  A l b e r t u s  s e p t e m  g e n u i t    f i l i o s,  q u o r u m    m a i r    n a t u   O t t o i p s e  e s t  p r a e p o s i t u s  A q u e n s i s.” Aus diesem Text geht nicht hervor, dass Graf Albert III. (von Everstein) z w e i Söhne namens Otto Hatte.

und seit 1240 als Propst des dortigen Stifts zum Hl. Kreuz bezeugt. Friedrich war 1230 Propst zu Nörthen (bei Göttingen) und wurde 1234 als Kustos am Mainzer Dom zum Propst von Hameln gewählt. Otto. Konrad, Ludwig und Hermann haben sich nachweislich verheiratet und setzten in vier Linien das Geschlecht fort. Dass die Mutter dieser sieben gräflichen Brüder in erster Ehe mit Wildgraf Gerhard I. (1172 – 1198) vermählt war, ergibt sich daraus, dass Gerhards I. Enkel Erzbischof Gerhard von Mainz 1252 die damaligen Grafen von Everstein als seine Vettern oder Oheime (p a t r u i) bezeichnet 9)

9) M e y e r a. a. O. S. 144.

Über die Ehen der „Rikessa“ mit dem Grafen von Kastilien und dem Grafen von Aragon lässt sich folgendes sagen. In der   G r a f s c h a f t   K a s t i l i e n   regierte damals König Alfons VII. von L e o n, ein Sohn des Grafen Raimund von Burgund. Er war seit 1128 in erster Ehe mit Berengaria, einer Tochter des Grafen Raimund Berengar III. von Barcelona, vermählt, die im Februar 1149 starb. Alfons VII. heiratete dann im Sommer 1152   R i c h z a   v o n  P o l e n    und starb schon am 21. August 1157 10). Richza vermählte sich 1162 zum zweiten Male und zwar mit Graf Raimund Berengar V. von B a r c e l o n a,   einem Enkel des Raimund Berengar III. und Brudersohn des seit 1137 als  K ö n i g  v o n  A r a g o n  regierenden  Grafen Raimund Berengar IV. Raimund Berengar V. regierte als Graf  in  der   P r o v e n c e (Marseille) und starb ohne Leibeserben im März 1166 11). König Raimund Berengar IV. von Aragon (†1168) hatte drei Söhne Raimund, Peter und Sancho 12). Der älteste (Raimund) nahm den Vornamen Alfons (II.) an, wurde König von Aragon (†1196) und heiratete am 18. Januar 1174 Sancha d. J. von Leon und Kastilien (†1208), die Tochter des Königs Alfons VII. und der Richza von Polen (!). Der zweite (Peter) regierte zunächst als Graf in Cerdagne, änderte aber gleichfalls seinen Vornamen und regierte (als Bruder des Königs Alfons II. von Aragon!) als Graf Raimund Berengar (VI.) seit 1168 in der  Provence (†1181). Der jüngste Sohn Sancho regierte als Graf in Roussillon und Cerdagne (in den Ostpyrenäen) und war seit dem Tode des Königs Peter II. von Aragon (1213) bis etwa 1223 Vormund in Aragon.

10) Erich  B r a n d e n b u r g.   Die Nachkommen Karls des Großen, Leipzig (1935) S. 32 (XII 131), S. 32 (XIV 170) vgl. Anm. S. 107 (XIV 169 – 172).

11) B r a n d e n b u r g  a. a. O. S. 29  (XIV 300),  vgl.  L a s   M a t r i e,  T r è s o r   d e   c h r o n o l o g i e (1889) Nr. 1663.

12) B r a n d e n b u r g  a. a. O. (Nachtr.) S. 112 XIV 130 – 135, vgl. Joseph V a i s s è t e, H i s t o i r eg è n è r a l e   d e L a n g u e d o c (1870 ff.) 6, 33.

Diese recht verwickelten genealogischen Verhältnisse haben wohl dazu beigetragen, dass Alberich de Troisfontaines die Vornamen der „Grafen“ von Kastilien und von Aragon, mit denen Richza von Polen vermählt war, nicht mitgeteilt hat. Es könnten ferner Bedenken darüber aufkommen, ob Richza von Polen überhaupt identisch war mit „Rikessa, der Tochter des Königs Masuch von Russland“. Dazu lässt sich zunächst sagen, dass in Westeuropa eine klare Unterscheidung zwischen Polen und Russland angesichts der mangelhaften geographischen Kenntnisse im 13. Jahrhundert nicht möglich war. Ferner war Richzas Großmutter väterlicherseits, Zbyslawa († 1109), eine Tochter des russischen Großfürsten Swatopolk Michail (II von   K i e w († 1113) 13). Dass Richza nicht die Tochter des Königs

13) K u r t  E n g e l b e r t. Die deutschen Frauen der Piasten, in: Archiv für schlesische Kirchengeschichte (1954), S. 16, 18. – M e y e r    a. a. O. S. 143.

“Masuch” (= Miesko III. von Polen, † 1177), sondern die Tochter seines Stiefbruders Wladislaw II: von Polen († 1163) war, beeinträchtigt den Quellenwert der Angaben des Alberich de Troisfontaines kaum.

Schwieriger ist der Einwand zu entkräftigen, dass Richza von Polen nach 1166 womöglichmit Graf Albert II. von Everstein, sondern mit jenem Graf Raimund von Toulouse vermählt war, der 1176 ihre Mitgift beanspruchte 14). Man kann aber die Richtigkeit der Jahresangabe bezweifeln. War die richtige Jahreszahl vielleicht 1226 (MCCXXVI statt MCLXXVI)? Am 4. Februar 1226 lebte noch Richzas Enkelin Eleonore von Aragon, die Witwe des Grafen Raimund VI. von Toulouse († 1222), der seit 1213 im Bunde mit Eleonores Bruder König Peter II. von Aragon in einem erbitterten Kampf gegen die Könige von Frankreich verwickelt gewesen ist und dessen Sohn Raimund VII. 1229 in Paris bei Abschluss dieses Krieges an König Ludwig IX. (den Heiligen) von Frankreich das Herzogtum Narbonne abtrat und dem Römischen Stuhl die östlich der Rhone in der Provence gelegene Grafschaft Venaissin mitsamt der späteren Papstresidenz A v i g n o n  überließ 14a). Es ist nach dem oben Gesagten sehr wahrscheinlich, dass das Gebiet von Avignon zur ehemaligen Mitgift der Richza von Polen aus ihrer kinderlosen Ehe mit Graf Raimund Berengar V. von Barcelona-Provence († 1166) gehört hat und dass dieses Gebiet 1226 durch Graf Raimund VII. von Toulouse, einen Großenkel der Richza, beansprucht wurde, dann aber von ihm an den Römischen Stuhl abgetreten worden ist. Eine Stütze findet diese Annahme dadurch, dass König Ludwig IX. seit 1226 in Frankreich regierte, zunächst noch unter Vormundschaft seiner Mutter Blanka von Kastilien (Enkelin des Königs Alfons VII. und der Berengaria von Barcelona!), und dass er später Margarete, die älteste Tochter des letzten in der Provence regierenden Grafen von Barcelona (Raimund Berengar VII. † 1245), geheiratet hat. Ludwig IX. mag sich 1226 mit Margarete von Barcelona-Provemce verlobt und die Mitgift der Richza beansprucht haben. Wer an der Jahreszahl 1176 festhält, wird kaum bestreiten können, dass der alte Graf Raimund V. von Toulouse († 1194) nach seiner Scheidung von Konstanze von Frankreich (1165), mit der er seit 1154 vermählt war, sich die Feindschaft der Könige von Frankreich zugezogen hätte, wenn er 1176 eine zweite Ehe mit Richza von Polen eingegangen

wäre. Sein Sohn Raimund VI. aber hatte sich 1175 eben erst zum zweiten Male vermählt. Diese zweite Ehe ging zwar 1193 in die Brüche, aber es wäre sehr gesucht, wollte man unterstellen, Graf Raimund VI. habe schon 1176 mit dem Gedanken an eine Auflösung dieser Ehe gespielt und Richza von Polen oder deren damals vielleicht gerade geborene Enkelin Eleonore von Aragon, seine spätere Gattin, heiraten wollen.

14) B r a n d e n b u r g  a. a. O. S. 107  (Anm. zu 169 – 172) meint:   „Die dritte Heirat der Richza (mit inem Graf Raimund von Toulouse) wird häufig bezweifelt, scheint aber doch stattgefunden zu ha ben, da Graf Raimund   (von Toulouse)  1176  ihre  Mitgift beanspruchte,  s.   V a i s s è t e   6, 5.“ Brandenburg kannte aber die Grafen von Everstein (Weser)  nicht, sondern nur die Grafen von Eberstein  (Baden-Baden),  zu  denen er  (a. a. O. S. 73 XIV 829)  irrtümlich den  zuletzt 1213 – 1215 bei König Friedrich II. weilenden  Grafen  Albert III. von Everstein (1197 – 1215, tot 1217) rechnet (vgl. W.  M ö l l e r, Stammtafeln westdeutscher  Adelsgeschlechter im Mittelalter   [1922 - 1933] Tafel 4). Umgekehrt rechnet  M e y e r   a. a. O. S. 147 irrtümlich zu den Grafen von Everstein-Ohsen (Weser)  den 1246 in Hochheim mit Graf Konrad (III. von Everstein-Ohsen?)  bei König Raspe weilende Graf Eberhard (IV.) von Eberstein († 18.3.1263).

14a) Das Gebiet zwischen der Durance, dem Meer, den Alpen und der alten Rhone  bis zum Gebiet des A l f o n s  (= Graf Alfons II. von Barcelona, König von Aragon!) und jenseits   der Durance   s i v e i n  A v i n i o n a  s e u  i n  a l l i s  c a s t r i s,   ferner ein Gebiet des Arelat mit  der Stadt Arles und die Grafschaft Forcalquier gab nach dem Tode eines Grafen Raimund von Barcelona  (= Alfons II. Vater Raimund Berengar IV.) am 18. August  1162  in Turin Kaiser Friedrich I. der  spanischen Königin Richildis  (R i c h i l d i s  S p a n i a r u m  r e g i n a) und deren Ehemann Graf Raimund, einem Brudersohn des verstorbenen Grafen Raimund   (= Raimund Berengar V., Vetter  des Königs Alfons II. von Aragon) zu Lehn. Zeugen waren u. a. Bischof Hermann von Hildesheim und  L a d i sl a u s   (=Wladislaw II.)  d u x   P o l o n o r u m   (Mon. Germ. Hist. Constitutiones et  acta publica imperatorum et regum I S. 306 ff).

Damit dürfte auch der letzte mögliche Einwand gegen die auf die Chronik des Alberich de Troisfontaines gestützte Überlieferung hinreichend entkräftigt sein, dass die an einem 16. Juni bei Amelungsborn gestorbene Gräfin Rikeze von Everstein eine   P i a s t i n,  und zwar Richza (Richildis), die Schwester des Herzogs Boleslaw I. des Langen (1163 – 1201) von  S c h l e s i e n, war.

Ihre ersten Jugendjahre verlebte Richza in ihrer polnischen Heimat 15). Ihren Großvater König Boleslaw III. von Polen (1102 – 1138) hat sie wohl noch gekannt; denn sie ist spätestens etwa 1133 geboren. Boleslaw III. hatte 1135 eine Wallfahrt zum Grabe des 1131 heiliggesproche-nen Bischof Godehard von   H i l d e s h e i m   unternommen, dem die 1244 zu einem Dominikanerkloster erweiterte Kirche Sankt Gotthard in Posen geweiht war. Der deutsche Graf Tedlev besaß damals bei Kalisch das Dorf Biskupice (d. h. Bischofsdorf) mit seiner gleichfalls dem hl. Godehard geweihten Kirche und schenkte es vor 1150 dem Bistum Breslau.

15) Zum Folgenden vgl. E n g e l b e r t  a. a. O.  Archiv Band 12 (1954) S. 16 ff. – Ders. Die Verehrung des hl. Godehard in der Erzdiözese Breslau,  in: Unsere  Diözese in Vergangenheit  und Gegenwart, Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde im Bistum Hildesheim 22  (1953)  S. 44 ff. – Hans G o e t t i n g, Niedersachsen und Schlesien, in: Schriftenreihe der  Landeszentrale  für Heimatdienst in Niedersachsen, Reihe B Heft 5 (1956) S. 15 ff.

Diese Stiftung wurde dann am 23. April 1155 durch eine päpstliche Urkunde bestätigt, kurz bevor Wladislaw II. von Polen mit Kaiser Friedrich I. in Rom weilte. Damals wird 1149 in Breslau auch ein  c o m e s  T h e o d e r i c u s  erwähnt, und einige Zeit vor 1175 stiftete ein   c o m e s   B e z e l i n u s der Peterskirche zu Breslau ein Dorf bei B r o z t e  (Brostau unfern Glogau). Außer der Kirche St. Gotthard zu Posen und der St.-Gotthard-Kirche zu Biskupice waren auch zwei Kirchen in Schlesien (Kostenblut und Strehlen) dem hl. Godehard von Hildesheim geweiht. Ob wir daraus folgern dürfen, dass die Grafen T e d l e v u s, T h e -

o d e r i c u s  und B e z e l i n u s  aus dem Bistum Hildesheim im Gefolge des Königs Boleslaw III. nach Polen ausgewandert sind? – Der Vorname Detlef kommt im Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim und seiner Bischöfe vor 1225 nur in der Familie der Edelherren von Wehre (bei Schladen a. d. Oker) vor,  und zwar war der  Edelherr  T e d l e v u s (T h i e- t l e f)   d e   W e r r e (1158 – 1175)  vermutlich Vater  oder  Bruder des  T h e o d e r i c u s  d e  W e r r e  (1177), da es 1217 in der Familie von Wehre zwei Brüder Namens  T h e t l e v u s  und  T he o d e r i c u s  gab; der  c o m e s  B e z e l i n u s  aber könnte identisch gewesen sein mit dem 1167 bei Bischof Hermann von Hildesheim weilenden Edelherrn B e z e l i n u s  8d e  H e r e b e r g e n) 16). In der Urkunde von 1167 bestätigte Bischof Hermann eine S t i f t u n g  f ü r  d a s  H i l d e s h ei m e r  S a n k t – G o d e h a r d i – K l o s t  e r.

16) Zur Genealogie der Edelherren von Wehre vgl. G. B o d e. Der Uradel in Ostfalen, in: Forschungen zur Geschichte Niedersachsens II und III (1911) S. 219 ff.  Der Vorname Thiedolf kommt damals vor bei den Edelherrn von Bornum (1162), den Vögten von Riechenberg (1154), den Ministerialen von Derse (1154) und von Warle am Elm (1154) sowie im Goslarer Bürgertum. – Man beachte die Anwesenheit des  Bischofs Hermann  von Hildesheim in Turin bei der  B e l e h n u n g  d e r    R i c h z a 1162) und die Laienzeugen  seiner  Urkunde von 1167: Die Grafen Berengar und Friedrich von Poppenburg, die Grafen Volkwin und Widekind von Schwalenberg, die Edelherren Bodo von  Wicbike und  B e z e l i n u s  und sechs bischöfliche Ministerialen  (UB Hochstift  Hildesheim I, S. 325 und 343). Diesen   B e z e l i n u s   finden wir noch in einer  gleichaltrigen, undatierten Urkunde  des Bischofs Siward  von Minden unter den  n o b i l e s,   die als Zeugen  auftreten:  B e z e l i n u s    de  H e r e b e r g e n (Würdtwein, Subsidia diplomatica VI S. 327); denn Herbergen liegt wüst bei Pattensen (nämlich auf dem Haarberg südlich Gestorf) in der Nähe des  damals  den Grafen von Schwalenberg gehörenden Grafengerichts Linderte   (H.   M a h r e n h o l t z.  Der Herrenstand-Dynasten-katalog [1955/56]  S. 11 hat  die Mindener Urkunde  nicht berücksichtigt  und bezweifelt daher die Existenz einer edelfreien Familie von Herbergen). Es gab 1108 in Goslar einen bischöflichen  Ministerialen Namens  B e z e l i n  (UB Hochstift Hildesheim I, 165 vgl. 442)   

Nach dem Tode der Herzogin Salome von Polen kam es zwischen Richzas Vater Wladislaw II. und seinen Halbbrüdern Boleslaw IV., Miesko III., Heinrich und Kasimir zu erbitterten Kämpfen um die Senioratsherrschaft in Polen. Wladislaw II. hatte Konrads III. Halbschwester Agnes von Bamberg-Österreich geheiratet. Als er 1146 von seinen Halbbrüdern vertrieben wurde, versuchte er, mit Unterstützung seines Schwagers Konrad III. durch eine Belagerung die Hauptstadt Posen zurückzuerobern scheiterte jedoch und floh nach Böhmen. Agnes verteidigte Krakau, doch das wurde von Boleslaw IV. und seinen Brüdern erobert, und so musste auch Agnes mit ihren Kindern (Richza, Boleslaw, Miesko und Konrad) Polen verlassen, Konrad III. wies seinem Schwager Wladislaw II. und seiner Familie auf deutschem Boden die Kaiserpfalz   A l t e n b e r g   an der Pleiße als Wohnsitz an. Hier verbrachte also Richza nach 1146 ihre nächsten Jugendjahre, bis sie nach dem Tode des Königs ( † 15. Februar 1152) im Sommer 1152 den König Alfons VII. von Kastilien heiratete.

Diese Heirat war eine Geste der freiwilligen Einordnung des Königs Alfons VII. in die auf das Wohl des gesamten Abendlandes gerichtete Staufische Reichspolitik; denn bisher hatte Alfons als Nachfolger der Könige von Asturien-Leon noch den – von den Päpsten allerdings nicht anerkannten – Titel eines „Imperator“ (von Spanien) geführt. war also ein Rivale des deutschen Königs Konrad III. gewesen, der diesen Titel ausschließlich für sich beanspruchte. Somit hat Richza als Base des jungen Königs Friedrich I. durch ihre kastilische Ehe den Westen des Abendlandes ins Heilige Römische Reich deutscher Nation einfügen und Bande der Freundschaft zwischen Spanien und Deutschland knüpfen helfen. Darüber hinaus war diese Ehe des Königs Alfons VII. mit der heimatvertriebenen polnischen Königstochter ein Symbol der Verbundenheit des äußersten Westens des christlichen Abendlandes mit seinem damaligen äußersten Osten über alle politischen und sprachlichen Grenzen hinweg.

König Alfons VII. war von den mit ihm verschwägerten, ja sogar blutsverwandten Königen von Portugal, Navarra und Aragon (Barcelona) sowie von den Grafen von Toulouse als Gesamtherrscher über Spanien und Südfrankreich anerkannt und hat sich wie sie mit wechselndem Erfolg um die Sicherung der Südgrenze des christlichen Nordspanien bemüht. Sein Vetter Alfons I. von Portugal eroberte 1147 Lissabon, sein Schwager Raimund Berengar IV. von Aragon besetzte im Ebrotal Tortosa und Lerida. Alfons VII. drang an der Südgrenze Kastiliens bei Toledo gegen die südspanischen Mohammedaner vor. Seine Eroberung musste er jedoch wieder preisgeben, als 1149 von Marokko aus eine neue Dynastie die Herrschaft über Spanien an sich riss.

Richza gebar dem König Alfons VII. zwei Kinder: Alfons († als Kind) und Sancha († 1208). Sancha vermählte sich am 18. Januar 1174 mit König Alfons II. von Aragon († 1196) und gebar ihm vier Söhne und drei Töchter, darunter Konstanze von Aragon, die sich in erster Ehe mit König Emmerich von ungarn ( † 1204) und 1210 in zweiter Ehe mit dem jungen, 1220 zum Kaiser gekrönten deutschen König Friedrich II. verheiratete. Konstanze von Aragon gebar ihm einen Sohn Heinrich (VII.), der 1220 – 1235 als deutscher König regierte.

So Glanzvoll die Hofhaltung in Spanien gewesen sein mag, eine seelische Befriedigung wird Richza dort kaum gefunden haben. Alfons II. war ein Lebemann mit mehreren Nebenfrauen. Richzas Vater Wladislaw II., der sich 1153 in zweiter Ehe mit Christina, einer Tochter des Markgrafen Albrecht des Bären von Brandenburg, vermählt hatte, begleitete 1154/55 den jungen König Friedrich I. nach Italien zur Kaiserkrönung, der 1157 einen erneuten Versuch unternahm, die Herrschaft über Polen für Wladislaw zurückzuerlangen. Kaiser Friedrich I. drang von Halle aus mit einem Heer bis Posen vor. Dort unterwarf sich ihm Wladislaws Halbbruder Boleslaw IV., und es schien so, als ob Wladislaw II. nun die Herrschaft über Polen zurückgewinnen würde. Boleslaw V. wurde aber sofort wieder abtrünnig, Wladislaw II. starb am 2. Juni 1163 (bei Altenburg?) und erlebte die Wiedereinsetzung seiner Söhne Boleslaw, Miesko und Konrad in die Herrschaft über Schlesien durch Kaiser Friedrich I. (1163) nicht mehr 17).

17) Codex diplomaticus et epistolaris Silesiae 7, 1 S. 32 ff.

Im Jahre 1162 heiratete Richza, wie gesagt, den in der Provence regierenden Graf Raimund Berengar V. von Barcelona († 1166) und erhielt, wenn unsere obigen Erwägungen zutreffen, die Grafschaft Venaissin mit Avignon als Leibgedinge. Die Regierung in der Provence übernahm 1168 Graf Peter von Barcelona (Cerdagne) unter dem Namen Raimund Berengar (VI.) bis zu seinem Tode (5.4.1181). Er hatte wie sein Vorgänger keinen Leibeserben und so viel die Provence an seinen Bruder König Alfons II. von Aragon und später an dessen Sohn Alfons († 1209). Graf Raimund Berengar VII. († 1245), der Sohn dieses Grafen Alfons, war der letzte seines Stammes, er hatte vier Töchter, die alle je einen König heirateten: Margarete den König Ludwig IX. (den Heiligen) von Frankreich Eleonore den König Heinrich III. von England, Sancha dessen 1257 zum deutschen König gewählten Bruder Richard von Cornwallis und Beatrix – als Erbin der Provence – Ludwig IX. Bruder Karl von Anjou.             

Vor ihrer zweiten Ehe mit Graf Raimund Berengar V. von Provence hat Richza vielleicht schon den in Plauen südl. Altenburg begüterten niedersächsischen Grafen Albert II. von Everstein (1162 – 1197) kennen gelernt, der später ihr dritter Ehemann geworden ist 18). Graf Albert II: von Everstein hielt sich 1164 in Italien auf 19) und 1170 mit Heinrich dem  Löwenbei Kaiser Friedrich I. in Frankfurt am Main 20). Alberts Lehnsmann Heinrich I. (der Tapfere) von Weida 1130 – 1172) gehörte zu den treuesten Gefolgsleuten Heinrichs des Löwen. Sein Sohn Heinrich II. (der Reiche) von Weida (1180 – 1196) aber ging nach der Ächtung Heinrichs des Löwen mit Lippold von Herzberg und  Ludolf von Peine 1180 zur Partei des Kaisers über 21). Ebenso beteiligte sich Graf Albert II. von Everstein 1180 nach der für Heinrich den Löwen siegreichen Schlacht auf dem Hallerfeld an einem gegen Braunschweig gerichteten Feldzug des zum neuen Herzog von Westfalen erhobenen Erzbischof Philipp von Köln 22) und ist mehrfach beim Kaiser Friedrich I. nachweisbar, z. B. im April 1180 in Gelnhausen, am 28. August 1180 in Halberstadt, am 20. Juli 1184 in Gelnhausen und am 29. September 1188 in Altenburg (!) 23). Richza dritte  Ehe mit Graf Albert II. von Everstein hat

18) Im Weserbergland wurden damals zwei Burgen erbaut und  f r a n z ö s i s c h  benannt: Die Burg der Grafen Burchard, Ludolf und Wilbrabd (von Loccum) an der Haller bei  Springe (H a l l e r m u n t) und die Burg der Grafen Volkwin und Widekind von Schwalenberg- (Waldeck)  auf dem Petersberg bei Ösdorf   (P y r m o n t).  Die französische Namensform tritt besonders bei Pyrmont  deutlich  hervor. Am 5.3.1185 urkundete Erzbischof Philipp von Köln apud  P y e r r e m o n t.  Kurz vorher überrug Philipp am 3.4.1184 die Hälfte des castrum, das a  Petro namque  P e t r i   m o n s   nuncupatum est, und in der Grafschaft Widekinds liege, eben diesem Graf Widekind, einem Bruder des (Grafen) Volquinus de   P e r m u n t,  zur Hälfte als Erblehn, und Papst Lucius III. bestätigte später diese Verleihung des castrum P i r e m o n t  cum allodio de Ozendorf et ministeralibus (Zeitschrift des historischen Vereins Niedersachsen,  1859, S. 51 f.).   Richza, deren Gatte Graf Albert II. von  Everstein wahrscheinlich ein  Schwestersohn der Grafen Volkwin und Widekind  von Schwalenberg. Pyrmontwar, wird durch ihre Erlebnisberichte über Spanien und Südfrankreich im Weserbergland ein großes Interesse an der französischen Sprache und dem französischen Kultur- und Geistesleben geweckt haben. Vielleicht hatte sie auch einige ihrer französischen Ministerialen aus der Provence mitgebracht.

19) M e y e r a. a. O. S. 143

20) Codex diplomaticus regni Saxoniae.

21) Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen, in: Thüringische Geschichtsquellen 5, 1 (1885) Nr. 25.

22) Lippische Regesten.

23) Cod. dipl. regni. Saxoniae I.

also gleichfalls zur Festigung der Regierungsgewalt ihres Vetters Friedrich I. von Hohenstaufen beigetragen. Der Abfall Graf Alberts II. von Everstein und Heinrichs II. von Weida lieferte eine starke Rückendeckung für die Machtergreifung Bernhards von Anhalt in Sachsen und Engern, Philipps von Köln in Westfalen und Otto IX. von Wittelsbach in Bayern, bewirkte also, dass die Ächtung und Entmachtung Heinrichs des Löwen keine leere Drohung blieb.

Graf Albert II. von Everstein mag als vermutlicher Neffe der von Heinrich dem Löwen (wegen Ermordung eines Erbrichters der Stadt Höxter) gemaßregelten Grafen Volkwin und Wedekind von Schwalenberg-Naumburg (Waldeck) von Anfang an zu den Widersachern Heinrichs des Löwen gehört haben. Sein Sohn Albert III. von Everstein (1197 – 1215) vermählte sich, wie gesagt, um 1200 mit Agnes von Wittelsbach, also eine Tochter des Pfalzgrafen Otto IX. († 1189), der nach Vertreibung Heinrichs des Löwen Herzog von Bayern geworden war. Graf Albert III. gehörte zu den ständigen Reisebegleitern des jungen Königs Friedrich II., seitdem sich dieser 1210 mit seiner Nichte Konstanze von Aragon vermählt hatte und seit 1211 als Gegenkönig in Deutschland dem Kaiser Otto IV. (einem Sohn Heinrichs des Löwen und der Mathilde von England) die Herrschergewalt zu entreißen bemüht war. Als Zeuge wird Graf Albert III. von Everstein damals an folgenden Orten bei dem mit ihm verschwägerten König Friedrich II. erwähnt 24): 1213 Februar 16 in Regensburg, 1213 Juli 12 in Eger, 1213 Oktober 19 in einer Burg (bei einem nicht namhaft gemachten Ort), 1214 Juni 2 und 1214 Juni 10 in Eger, 1214 Dezember 8 in Metz, 1215 Januar 21 in Erfurt, 1215 Januar 28 in Naumburg an der Saale, 1215 Februar 4 und 1215 Februar 5 in Altenburg in der Pleiße, 1215 Februar 11 in Halle an der Saale, 1215 September 11 in Würzburg.

Später finden  wir Graf Alberts III. Sohn Konrad III. (1217 – 1256) im Mai. Juni und Juli 1226 25) in Parma bei König Friedrich II., der inzwischen 1220 zum Kaiser gekrönt war und sich damals fast nur noch in seinem Königreich Sizilien Aufhielt. Mit Graf Konrad III. von Everstein weilten 1226 in Parma auch die Brüder Heinrich der Mittlere und Heinrich der Jüngere von Weida, von denen sich einer auf dem anschließenden Kreuzzug des Kaisers Friedrich II. (1228/29) durch besondere Tapferkeit ausgezeichnet hat. Ihr Bruder Heinrich der Ältere von Weida war in den Deutschen Ritterorden eingetreten und hatte dem Orden die Kirche zu Plauen mit ihrem Zubehör geschenkt. Nach seinem Tode war diese Stiftung 122426)

durch Heinrich d. M. und Heinrich d. J. von Weida bestätigt. Diese Stiftung wird mit Zustimmung oder gar auf Veranlassung des Grafen Albert III. von Everstein erfolgt sein, der am 2. Juni 1214 in Eger zugegen war, als König Friedrich II. dem deutschen Ritterorden das Armenhospital zu Altenburg schenkte. Graf Konrad III. von Everstein hat wohl gleichfalls auf

das Patronat über Plauen verzichtet, wie das später 1267 27) sein Sohn Konrad IV. (er war 1278 in Plauen!) und seine (Konrads III.) Brüder Otto, Ludwig und Hermann sowie Ottos Sohn Albert in Holzminden getan haben. Heinrich d. M. von Weida wurde gleichfalls Ritter des Deutschen Ordens. Er hat als dessen Landmeister in Preußen (1242 – 1249) mit seinem Bruder Heinrich d. J. heidnische Aufstände abgewehrt und die Ordensburg Christburg gegründet 28).

Leider können wir nicht urkundlich nachweisen, dass sich Graf Albert II., sein Sohn Albert III. oder dessen Sohn Konrad III. von Everstein außer bei Plauen und Altenberg auch bei Richzas Bruder Herzog Boleslaw I. (dem Langen) von Schlesien  (1163 – 1201) bzw. dessen

24) Cod. dipl. regni Saxoniae II.

25) Ebenda.

26) UB der Vögte von Weida, Gera und Plauen, Teil 1 Nr. 50.

27) Ebenda, Teil 1 Nr. 140 – 142.

28) Ebenda, Teil 2 (Nachtr.) Nr. 20.

Nachkommen aufgehalten haben. Es steht wohl der Vermutung nichts im Wege, dass Richza und ihre Nachkommen aus der eversteinschen Ehe die Siedlungsunternehmen der mit ihnen blutsverwandten Herzöge von Schlesien gefördert haben. Die vier Söhne des Grafen Ludwig I. von Everstein (1224 – 1284) haben jedenfalls um 1280 in Dänemark und Pommern zur Anknüpfung und Festigung der Vertrauensverhältnisse zwischen den Deutschen und ihren nördlichen Nachbarvölkern beigetragen 29). Insbesondere hat Graf Bernhard von Everstein (1266 – 1302) als Domherr zu Kammin und Propst zu Pasewalk sowie als Tempelmeister zu Rörchen (bei Königsberg in der Neumark) und 1291 sogar als Tempelmeister zu Quartschen und Unterlandmeister für Polen, Pommern und die Neumark wesentlich dazu beigetragen, dass das Anfang 1285 noch bestehende Misstrauen der polnischen Bischöfe gegen die starke deutsche Einwanderung in die kaum oder gar nicht besiedelten gebiete nördlich der Netze überwunden wurde und dass die rechte der polnischen Bevölkerung in den deutschen Siedlungsräumen unangetastet blieben. Graf Bernhard von Everstein hat mit dem Bischof Johann von Posen einen wichtigen Vertrag geschlossen über das kurz vorher (1286) von herzog Primislaw II. von Kalisch an den Tempelorden abgetretene Gebiet am Dratzigsee, in welchem die Tempelritter damals die deutsche Stadt Tempelburg und die Burg Deutsch-Krone 30) gegründet haben (als Gegenstücke zu den im Ostteil des Siedlungsraumes gegründeten Burgen Zempelburg und Polnisch Krone bei Bromberg!).

29) Vgl. Hans  D o b b e r t i n. Wohin zogen die Hämelschen Kinder (1284)?, in: NiedersächsischesJahrbuch für Landesgeschichte Bd. 27 (1955) S. 45 – 122.

30) D o b b e r t i n  a. a. O. S. 96. In der Urkunde von 1291 wird der Tempelmeister Albert von „Crona“ erwähnt und gesagt, dass das Land am  Dratzigsee nunc a nuncupatur Tempelborch. Deutsch-Krone wurde 1303 durch die Markgrafen von  Brandenburg unter  dem Namen „Arnescrone“ zur Stadt er-hoben, als die  Markgrafen  im gleichen Jahr die (wohl von Herzog Primislaw II. um 1284 gegründete) Burg Neu-Kalisch (= Kallis) gleichfalls zu einer  Stadt ausbauten.  Bald darauf wurde  östlich Tempelburg durch Herzog Wratislaw von Pommern die deutsche Stadt Neustettin gegründet.

Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Richza auf der (jetzt nicht mehr vorhandenen) Burg Everstein bei Amelungsborn. Sie scheint dort um 1185 gestorben zu sein. Jedenfalls wird sie in der für Kloster Amelungsborn im Jahre 1197 durch ihren Gatten Albert II. und ihren Sohn Albert III. ausgestellte Urkunde 31) nicht genannt. Vielleicht entstammte der 1200 erwähnte Graf Konrad II. von Everstein einer zweiten Ehe Alberts II.  Aus der Urkunde von 1197 geht hervor, dass die Grafen Albert II. und Albert III. unter anderem in Hastenbeck und Nordohsen (= Hagenohsen) begütert waren, zu ihren Zeugen gehörten die Ritter „Sygfridus de Hamelen“ und Arnold von Hastenbeck. Ein Graf Albert (von Everstein) schichtete ferner um 1200 zusammen mit Bischof Detmar von Minden († 1209) einen Zollstreit zwischen den Städten Hameln und Minden 32). Demnach waren die Grafen von Everstein damals schon Vögte des (bis 1259) dem Abt von Fulda unterstellten Binifatiusstiftes in Hameln. Durch Ausgrabungen sind 1956 in der Krypta dieser Kirche die Reste  der ursprünglichen Rundapsis und eines Friedhofes aus der Zeit um 820 freigelegt, wahrscheinlich auch die Gräber des Grafen Bernhard († um 820) und seiner Gattin Christine, deren Besitzungen in Gau „Zilgide“ neben einigen älteren Stiftungen bei Ohsen und bei Lauenau die wirtschaftliche Grundlage für die Entstehung des Bonifatiusstiftes in Hameln (neben der gräflichen Burg“Wenge“!) bildeten 33).Dass der hl. Bonifatius selber die Gründung der St.-Romanus-Kapelle zu Hameln, aus der das Bonofatiusstift entstanden sein soll. vorgenommen hat, wie man das um 1200 in Hameln glaubte, beruht auf einem Missverständnis der Eintragungen in dem  ältesten  Fuldaer Güter-

31) Chr. B. v.  S p i l k e r, Geschichte der Grafen von Everstein (1833).

32) Urkundenbuch des Stiftes und der Stadt Hameln I. (Älteste Originalurkunde der Stadt Hameln.)

33) Vgl. Hans  D o b b e r t i n.   Die älteste Hamelner Bonifatiusgüter, in: „Der Klüt“ (Hamelner Heimatkalender), 1957.

verzeichnis. Dass aber der erste, von Abt Sturmius von Fulda († 779) oder seinem (bis 802 regierenden) Nachfolger Baugulf von Fulda eingesetzte Bischof Erkanbert von Sachsen vor der Erbauung der Burg Minden (798) im Gau „Zilgide“ (in Ohsen? seinen Sitz gehabt hat, ergibt sich daraus, dass er dem Kloster Fulda außer einigen Familiengütern bei Lohrhof (unfern Würzburg) und außer Gütern in Nordhessen in und bei Hilwartshausen an der Weser nur Güter in den Gauen „Zilgide“ (zwischen Deister, Süntel und Hehlen an der Weser), „Marsthem“ (zwischen Deister und Leine) und „Ahagewe“ (= Gau Aga bei Schwalenberg) bestätigt hat. Hameln liegt also auf jeden Fall in dem ältesten Missionszentrum des Sachsenlandes, und so waren Richza und ihr Gatte Graf Albert II. von Everstein als Nachfolger des mit Kaiser Karl dem Großen blutsverwandten Grafen Bernhard von Sachsen und seiner Gattin Christine wenigstens die Beschützer und Sachverwalter jener ältesten Güter des Weserberglandes,  die zu Ehren des hl. Bonifatius dem Kloster Fulda gestiftet sind.

Daran sollte man denken, wenn man das vor Kriegseinwirkungen glücklicherweise fast ganz verschont gebliebene Münster in Hameln besucht. In der neuen St.-Vicelin-Kirche zu Hameln und in der Klosterkirche zu Amelungsborn aber sollte der Besucher sich daran erinnern, dass das Missionswerk des aus Hameln stammenden hl. Vicelin zu Lebzeiten der Gräfin Richza von Everstein durch Gründung des Klosters Doberan (1171) von Amelungsborn aus in verstärktem Maße fortgesetzt wurde. Wer aber in dem Chorraum der Klosterkirche zu Amelungsborn steht, sollte aufschauen zu den vier Wappensteinen im Gewölbe: den zwei Leoparden der englischen Prinzessin Mathilde von   B r a u n s c h w e i g  († 1189), dem gekrönten Stierkopf der Fürsten von M e c k l e n b u r g, dem goldenen Löwen auf rotem, blau-weiß-gerändertem Feld (Edelherrn von H o m b u r g) und dem weißen Löwen auf blauem, weißgerändertem Schild (G r a f e n  v o n  E v e r s t e i n). Einen Löwen führte schon Richzas Sohn Graf Albert III. von Everstein um 1200 im Siegel. Richzas Enkel Konrad III. (Alberts III. Sohn) benutzte gleichfalls ein Löwensiegel, zunächst jedoch 1217 ein Reitersiegel. Der Schild des Reiters war senkrecht geteilt und in der einen Hälfte mit einem halben A d l e r, in der anderen mit waagerechten  B a l k e n  geziert. Dies Adlerwappen kommt 1267 in Siegeln der Linien Ohsen und Holzminden, dann nur noch in der Linie Ohsen, vor. Vielleicht war der halbe Adler dem W a p p e n   d e r   P i a s t e n   entnommen 34), wie die beiden Leoparden des welfischen Wappens aus dem englischen Königswappen hergeleitet sind. Das Balkenwappen mag auf das Reichslehn Wladislaw II. in der obersächsischen Kaiserpfalz Altenburg hingedeutet haben.

34) Allerdings führt z. B. auch Pfalzgraf Otto IX. von Wittelsbach, der Großvater Graf Konrads III. von Everstein, 1179 im Siegel einen Adler (Chr. U. v. Ulmenstein. Über Ursprung und Entstehung des Wappenwesens, in: Forsch, z. deutschen Rechtsgeschichte, I. 2 [1941] S. 45).

Die Geschichte der Eversteiner

Schriftreihe der Genealogischen Gesellschaft zur Geschichte der Stadt Hameln und des Kreises Hameln-Pyrmont


Herausgegeben von Hans-Georg Bleibaum in Hameln


Die Piastin Richza von Everstein


und ihre Verwandtschaft


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