Silvesterabend 1853 in Polle

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Silvesterabend 1853 in Polle



Das Königreich Hannover gewährte für Dezember 1853 Polle

zollfreie Niederlage



Das Jahr, in dem die Tatkraft unseres Führers das Großdeutsche Reich entstand u. ein jahrhundertalter Traum von Millionen Deutschen Wirklichkeit wurde, gehört mit Ablauf des 31. Dezember der Geschichte an. Deutsche Brüder kehrten heim, ein 80-Millionen-Reich wurde geboren und so steht unser Vaterland heute als Weltmacht im Herzen Europas. Zwischen Deutschen willkürlich aufgerichtete Grenzen wurden beseitigt, an den neuen Grenzen aber hält unsere neue Wehrmacht die Wacht. Wie sah es dagegen vor etwas mehr als hundert Jahren im damaligen Deutschen Bunde aus?


Werfen wir einen Blick zurück, so wird jedem Deutschen klar werden, was heute geleistet wurde. Jeder einzelne deutsche Staat war damals von den anderen durch Zollgrenzen getrennt. Handel und Verkehr litten darunter, das reisen im Wagen war schon kein Vergnügen und selbst auf kurzen Reisen wurden die Reisenden wiederholt angehalten und ihr Gepäck auf zollpflichtige Waren durchsucht. Mit dem 1. Januar 1834, vor nunmehr 105 Jahren, trat endlich eine Besserung dieser Zustände ein. An diesem Tage trat nämlich der unter Preußens Führung von einem großen Teil der Bundesstaaten gegründete Deutsche Zollverein ins Leben und beseitigte viele Schwierigkeiten.


Ein gewaltiger Schritt auf dem Wege der wirtschaftlichen Einigung Deutschlands war getan und Handel und Verkehr erlebten einen bisher ungeahnten Aufschwung. Unsere engere Heimat allerdings war davon noch ausgeschlossen, denn das Königreich Hannover konnte sich noch nicht zum Eintritt in den Deutschen Zollverein entschließen. Diesen vollzog erst 20 Jahre später der König Georg V. von Hannover. Wie berichtet wird, hatte in diesen 20 Jahren der Nichtzugehörigkeit in unserem vielgrenzigen Wesergebiet der Schmuggel gewaltig zugenommen, und zwar besonders in unserem Flecken und Amt P o l l e.   Polle lag, zu Hannover gehörig, auf dem linken Weserufer zwischen vier anderen Ländern und war ein ideales Schmugglernest geworden. Um das schnellstens abzuändern, sollte Polle bereits ein Jahr früher in den Zollverein aufgenommen werden und dafür schon im Dezember volle Zollfreiheit genießen. In launiger Weise erzählte der nun schon lange verstorbene Steuerbeamte Karl Z i e s e l  von allem, was sich damals in Polle zutrug. So erfahren wir, daß anfangs der fünfziger Jahre die Hannoversche Regierung folgende Bekanntmachung erließ:


„Das Königreich Hannover tritt mit dem 1. Januar 1854 dem Zollverein bei. Einige Gebietsteile, darunter das Königliche Amt Polle, treten dem Zollverein bereits am 1. Januar k. J. bei; dem Amte Polle wird dagegen als Vergünstigung für den ganzen Monat Dezember d. J. zollfreie Niederlage gewährt.“


Damit eröffneten sich für das Amt Polle herrliche Aussichten. Bislang waren Zollschikanen an der Tagesordnung gewesen, überall standen entweder preußische, braunschweigische oder waldeckische Kontrolleure und gaben Acht, daß nichts Steuerbares über die nahen Grenzen kam. In Polle selbst waren hannoversche, preußische und braunschweigische Grenzkontrolleure stationiert, dennoch stand die Schmuggelei in höchster Blüte. So wurde aus dem Lippischen der dort bessere und billigere Branntwein nach Polle geschmuggelt und manches Fass wurde von Rischenau bei Nacht und Nebel „eingeführt“. Die „ausländischen Nachbarn“ dagegen holten hauptsächlich Salz aus den hannoverschen Orten. Hier war das Pfund 7 Pfennig billiger als „drüben“. Unbemittelte Leute brachten das Salz über die Grenze und erzielten dabei einen für die damalige Zeit recht ansehnlichen Tagesverdienst. Wurden sie gefasst, so brummten sie eben einige Wochen ab und dann ging es wieder von vorne los. „Et was“ so sagt Ziesel, „alles in allen  ‚ne bedreuwete Wertschaft.“


Das also sollte nun alles besser werden, wenigstens vorerst. jeder konnte sich mit Kaffee, Zucker, Reis, Tabak, Wein usw. für wenig Geld versorgen. Damit aber die Sache nicht zu toll übertrieben wurde, mußte man sich den einen Schein vom Steuereinnehmer ausstellen lassen, auf den die Waren dann verabfolgt wurden. Da kauften Einzelne, die sonst nicht mit Reichtümern gesegnet waren, fassweise Kognak, Rum und Portwein. Diese Waren, auch Kaffee wurde Sackweise gekauft, gingen an Hintermänner und wurden nach dem 1. Januar zollfrei weiterverkauft. Sack an Sack lag der Kaffee auf den Scheunen unter Heu und Stroh, daneben Fass bei Fass feinste südländische Weine und sonstige Spirituosen. Es passierten die drolligsten Sachen in Polle. Ziesel berichtet hierüber u. a.:  „Eines Dages kümmt de aule Schoppsche na’n Innühmer un verlanget’n Schien for’n Sack Kaffee.  „Aber Schoppen“, seggt de, „was will Sie denn mit einem ganzen Sack Kaffee anfangen?“  „Drinken will eck’n, Herr Innühmer, drinken! Hebb eck nich all mien Liebedage den dünnen Zichorientrüll herunnerspeulen most? Aber nu will eck meck’n Kaffee koken, nich ut’r Piepen sall ’e fleuten künnen!“


Und ferner: „Das was nu Schünemanns Karl. De harre ’ne seltene Vorliebe vor Nordhüschen (Nordhäuser) und ähnlichen Stoff. Und weil hei jümmer 'n Buddel as’n „Dolch im Gewande“ bi seck harre, sau heithei schlankweg Buddelkarel. De deinde tau der Tied up Finkelders Howe. Karel moßte,  as dat damals an der Dagesornunge was, jeden Morgen Klocke dreu herut un dat Futter for de Päre snien. Da nu up siener Schündäl ank veer Fatt Wien unnerbrocht würen, harr’e nich widderstahn konnt, alle veer Fatt antaubohren un dörch’n Bauhnenstengel tau probeeren. De in dem ersten Fatte was tau suer un herbe, de in dem tweuten Fatte tau seute west, aber de in dem drüdden, dat was ne Sorte na sienen Gesmack, milde un doch sürig, eine, de Herze un Nieren erwärme. Wenn’e nu vor Beginn seines Dagewarkes erst etliche derbe Töge dahn harre un kamm denn an de Snielaen, sau was dat Dirt kum tau bännigen west un de Häcksel was man sau flogen. Aber as sau giegen Niejahr kumen was, harre dat Fatt bedenklich schülpet un Karel moßte, ümme de Sake einigermaten in’t Gliekgewicht tau bringen, fief Emmer vull Water taugeuten.“Himmel“, sä’e, „wumag Hemmerich in Permund (Pyrmont), de datt Fatt kregen hett, schimpet hebben. Aber was’t nich ganz einerlei, wer den Wien soop? Meck hett’e gaud edahn, un dat Futtersnien damals, dat was deck for meck ’ne wahre Lust!“


So ging der Monat Dezember dahin und der Silvesterabend nahte. Mittags war noch ein Schiff mit Waren von Bremen gekommen und musste bis Mitternacht gelöscht werden; dann war nämlich die Freude zu Ende. Alles lief, rannte und schleppte, um Fässer, Säcke und Ballen in Sicherheit zu bringen. Es war, als wenn Polle vor einer Belagerung stünde und auf Monate verproviantiert werden solle. Dabei wurde natürlich auch tüchtig einer hinter die Binde gegossen und die ausgelassene Fröhlichkeit griff sogar auf die Jugend über. Wir lassen nun Karl Ziesel wieder zu Wort kommen, der von dem „Historischen Augenblick“ folgendermaßen zu erzählen weiß:


„Middlerwiele was’t spät wuren, et slaug twölwe, un’t Gebollere ging los: dat Niejahr wurd inneschoten. de Kunsorten, de süs nich int’t  Wirtshus gingen, hüte Abend aber dat Glas Grog, wat’t bi Corves un Hartmanns ümmesüs gaff, nich verpasset harren, wören up’n Wege na Hus; wekke davon, den’n achtenverzig noch in’n Koppe speuke, süngen: Bumsvallera, wir brauchen keinen König mehr Bumsvallera, die Welt ist wunderschön! Andere, weiniger demagogisch gesinnte, stimmten dat noch ganz nie Lied an: „Wie die Blümlein draußen zittern, Und die Abendlüfte wehn!“  wat for düssen Abend ja nu wunderfull passe, un Gottfried Meyer bölke ober dat ganze Market:  „Nu is Preßfrieheit. jeder kann’n Oelje slaen late wu’e will.“



Autor und Veröffentlichung unbekannt.

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