Zur
Geschichte der Grafen von Everstein
(Ein
Beitrag zur Geschichte des Kreises Holzminden)
- von G. R. -
Kopie aus:
„Der Kreis Holzminden“ 1932
Anton
Rothardt – Verlag Braunschweig
Standort:
Kreisverwaltung, Kreisarchiv
Manchem mag
auf den Trümmern der Burg in der Waldeinsamkeit des Beverschen
Berges der Wunsch aufgestiegen sein, etwas Näheres
über die Geschichte des Grafen zu hören. Im Folgenden
möge versucht sein, einen Überblick über die
Ergebnisse der bisherigen Forschung zu bieten.
Der
Ursprung des Geschlechtes ist dunkel. 1190 wird es zum ersten Male
urkundlich genannt. Nur soviel scheint sicher, dass sie seit alter Zeit
im südlichen Engern reich begütert waren. Besonders
bei Göttingen und bei Warburg
hatten sie große Besitzungen, vielleicht aus dem Erbe der
Northeimer Grafen. Vor allem aber gehörten Ihnen zwischen
Hameln und Holzminden Hunderte von Höfen, davon
natürlich nur wenige bei ihren Burgen in eigener Verwaltung,
die meisten in den Händen zins- und frondienstpflichtiger
Bauern. Ganze Ortschaften werden als „unser Dorf“
bezeichnet. Dazu kamen noch Reichs- und andere Lehen. Hier haben sie
außer der niederen über ihre Bauern auch vielfach
die hohe Gerichtsbarkeit ausgeübt, anscheinend ohne sich auf
eigentliche Gaugrafenrechte zu berufen. Hier hatten sie ferner das
Geleitsrecht auf der Weser und wichtigen Nachbarstraßen, das
Mühlenrecht, das Markt- und Burgenrecht. Beide haben sie u. a. in Holzminden um
1200 praktisch ausgeübt. 1245 verleihen sie dem Orte ein
regelrechtes Stadtrecht. Ein Besteuerungsrecht war in der Ausbildung
(Bede). Von einem Münzrechte ist dagegen nichts bekannt,
während die Homburger Edelherrn Münzen
prägen ließen.
Epitaph in
der Kemnader Kirche
Aber wie
bei fast allen aufsteigenden Landesherren war ihr Gebiet
zerstückelt, die Art der Rechte, die sie an den einzelnen
Orten ausübten, völlig verschieden. Ein Teil ihres
Landes war an fremde Herren zu Lehn gegeben. Fremde Besitzungen und
Rechte befanden sich mit den ihrigen in Gemengelage, meist sogar in
demselben Dorfe, ja sogar in einer und derselben Burg. So hatten z. B. in Bevern
und Forst (dem früheren Dorfe) die benachbarten Herren von der
Homburg eine Anzahl von Höfen von Corvey zu Lehen und
übten auch über Eversteinsche Lehenshöfe ihr
Vogteigericht aus. Erst 1245 erwarben die Eversteinschen Lehnsritter v.
Haßvörde diese Vogtei, erst 100 Jahre
später die Grafen selber, wenigstens die
Hälfte davon.
Man erkennt
also auch bei ihnen das Bestreben dieser spätmittelalterlichen
Halbfürsten, die fremden Herren auszuscheiden, alle Insassen
möglichst gleichmäßig ihrer eigenen
Herrschaft zu unterwerfen und in festen Grenzen ein richtiges
Fürstentum zu gewinnen. Tausch der Besitzungen und Rechte,
Kauf und Verkauf, Verschwägerungen und offener Kampf, das
waren die Mittel zum Zweck. Die Eversteiner haben bis 1300 den
größten Teil ihrer Außenbesitzungen an
Leine und Diemel aufgegeben, um zwischen Holzminden und Hameln
größere Kraft zu gewinnen, wo sie in schwerem Ringen
standen. Aber der Weg zum Fürstenthron war lang und steil.
Viele haben ihr Ziel nicht erreicht. Auch unsere Grafen sind auf den
Stufen zum Thron ermattet sitzen geblieben.
2.
Verhältnis zu den Homburgern.
Bei der
mangelhaften Überlieferung kann man von der
äußeren Geschichte der Grafen Everstein nur ein sehr
lückenhaftes Bild entwerfen. Namentlich mit den Edelherren von Homburg und
dann vor allem mit den braunschweigischen Herzögen hat es
schwere Auseinandersetzungen gegeben.
Die
Homburger waren ein tatkräftiges und erfolgreiches Geschlecht.
Ihr Gebiet reichte schließlich von der Wesergegend zwischen
Amelungsborn und Hehlen bis an die
Leine zwischen Elze und Greene. Da sich die Besitzungen nicht nur in
Nachbarlage sondern, wie oben erwähnt, in Gemengelage
befanden, so mussten Gegensätze unausbleiblich sein. Besonders
um 1227 muss zwischen den Nachbarn ein heftiger Kampf entbrannt sein.
Von der Erbitterung des Streites zeugt
die damals erfolgte Ermordung Bodos v. d. Homburg
durch einen Grafen von Everstein. Der Bischof Conrad von Hildesheim
vermittelte den Frieden und legte unseren Grafen schwere Sühne
auf. alle gefangenen mussten zurückgegeben werden, die
Lehnsleute sollten ihre verlorenen Güter wieder erhalten, die
Eversteiner mussten 5000 Messen und Vigilien lesen lassen, dem
Getöteten die Bruderschaft in 50 Klöster erwerben,
ferner in Kemnade, dem Erbbegräbnisse der Homburger, einen
Altar stiften, sowie einen Ritter ein Jahr lang im Heiligen Lande
erhalten. Diese Historische Tatsache vom Jahre 1227 wird von einer
späteren Sage auf das Jahr 1445 verschoben. Da sei der letzte
Homburger, gerade als er eine Wallfahrt antreten wollte, um eine
Blutschuld zu sühnen, in der Klosterkirche von Amelungsborn
von einem Eversteiner Grafen ermordet. Noch heute wird ein angeblich
Blutbenetzter Stein in der Wand der Kirche gezeigt. – Aber im
Jahre 1445 waren beide Familien schon seit einer Reihe von Jahren
ausgestorben. Der Mord mag 1227 sehr wohl in der Klosterkirche selbst
geschehen sein. Darauf deutet wohl auch die
außergewöhnlich hohe Buße hin. Der
Grabstein in der Kirche aber zeigt nicht das Wappen der Homburger
sondern der Eversteiner Grafen.
Dieser
Kampf hat zweifellos wegen Grenzstreitigkeiten stattgefunden, da der
Bischof auch den Kindern des erschlagenen Bodo den ruhigen Besitz der
väterlichen Güter zusichern ließ. Man
möchte gern wissen, um welches Gebiet die Fehde tobte. Wenn es
eine Gegend gab, wo zielbewusste Eversteinsche Politik versuchen
musste, die Homburger zu verdrängen, so war es die bei
Kemnade. Hier hatten diese alten Besitz, Hehlen und Heyen, wo sie eine
alte Volks-gerichtsstätte auf dem Heiligen Berge von sich
abhängig gemacht hatten. Aber man hörte nichts von
Erfolgen der Eversteiner. Vielmehr gelang es den Rivalen im Jahre 1245
vom Kloster Corvey den Werder zum
Lehen zu erhalten, der, 1287 zur Stadt erhoben, nach
einem Homburger Bodo den Namen erhielt und auch eine Burg der
Edelherren getragen hat. Damit war das Eversteinsche Herrschaftsgebiet
in der Mitte gesprengt und die Verbindung zwischen Süd und
Nord nur noch auf dem beschwerlichen Landwege über Ottenstein
möglich. 1324 wir der Eversteinsche Anteil an Rühle
und dem anliegenden Vogler an die Homburger verkauft.
Im 14.
Jahrhundert finden wir einen Otto v. Everstein als Gemahl einer Agnes
von Homburg. Versöhnung scheint eingetreten zu sein. Denn von
verschiedenen Himmelsgegenden zogen schwere Gewitter auf, die wachsende
Macht der braunschweigischen Herzöge.
3.
Kämpfe mit den Welfen.
Mit dem
Sturze Heinrichs des Löwen (1180) beginnt auch die
Selbständigkeit der Grafen Fortschritte zu machen. Es waren
Adalbert II. und Adalbert III., unter denen sich 40 Jahre des Aufstiegs
vollzogen. In den neuen Kämpfen zwischen Hohenstaufen und
Welfenscheinen sie zunächst klug laviert zu haben. 1180 steht
Adalbert II. mit im Kaiserlichen Feldlager vor der Stadt Braunschweig.
1198 finden wir Adalbert III. auf Seite Ottos IV.; er soll diesen mit
bedeutenden Geldsummen unterstützt haben.
Dann aber
wandten sich die Grafen, anscheinend endgültig, auf die Seite
der Hohenstaufen, dem aufsteigenden Gestirne Friedrichs II. zu. Graf
Adalberts Mutter war in erster Ehe Mutter der Kaiserin gewesen (sie war
außerdem mit den Königen von Spanien und von Polen
verwandt). Adalbert selber hatte 1190 eine Schwester Ottos v.
Wittelsbach, also eines der getreuesten Freunde der Hohenstaufen,
heimgeführt. So war ein Graf Heinrich v. Everstein 1223 und
1225 bei dem Kaiser in Italien. Aber die Gunst Friedrichs II. reichte
selbst in seiner Glanzeit nicht ganz hin, die Verwandten zu
schützen.
Bald nach
jenem Amelungsborner Morde (nach 1230) finden wir sie in schwerer Fehde
mit Ottos IV. Sohne, Otto dem Kinde. Es ist nicht klar, ob der Welfe
den Kampf eröffnete, oder ob die Eversteiner sich die Zeit
zunutze gemacht hatten, als Otto in der Schlacht bei
Bornhövede in die Hände seiner nordelbischen Feinde
geraten war. Jedenfalls muss Holzminden in dieser Fehde
(spätestens 1232) vorübergehend in die Hände
Ottos von Braunschweig gefallen sein, da zwei Urkunden desselben in der
Burg Holzminden datiert sind. 1235, im gleichen Jahr, wo Otto das Kind
mit den Hohenstaufen seinen endgültigen Frieden macht, und
seine Erblande Braunschweig und Lüneburg zum Herzogtum erhoben
werden, müssen die Eversteiner einen Sühnevertrag
eingehen; die Grafen Otto IV. und Conrad IV. müssen eidlich
geloben, Frieden zu halten und als Bürgen unter anderem jeder
einen ihrer Söhne stellen.
aber 1256
finden sie wieder im Kampfe mit Ottos Sohne, Albrecht dem
Großen. Während dieser anderswo alle Hände
voll zu tun hatte, unternahmen plötzlich der Erzbischof
Gerhard von Mainz und Graf Conrad von Everstein vom Eichsfelde her
einen Einfall in das herzogliche Land. Sie machten die
Göttingen reiche beute, wurden aber auf dem Heimzuge
plötzlich überfallen, und Graf Conrad wurde am Galgen
aufgehängt, und zwar bei den Beinen.
Die Schmach
war auch nicht dadurch aufgewogen, dass er nachher im Braunschweiger
Dome beigesetzt wurde. – Es war die im Mittelalter
gebräuchliche Strafe für ungetreue Lehensmannen. Aber
die Grafschaft war kein welfisches Lehen. Die Härte mag sich
durch die lange Feindschaft erklären, vielleicht auch durch
eine Erinnerung an jenen feierlich beschworenen Sühnevertrag
vom Jahre 1235.
Es ist
anzunehmen, dass die Schuld an diesen Kämpfen mit den Welfen
allein bei den Eversteinern zu suchen wäre. Die
Herzöge waren offenbar, als sie im eigenen hause Herr geworden
waren, in stetigem Vordringen gegen die Weser begriffen. Die Grafen
fochten gegen die Übermächtigen einen hoffnungslosen
Kampf. Sie suchten Hilfe bei dem Erzbischof von Köln, der seit
dem Sturze Heinrichs des Löwen eine Art von Herzogsgewalt bis
zur Weser in Anspruch nahm.
1259
verkaufte der Abt von Fulda das ferne Stift Hameln und seine Rechte an
den Bischof von Minden. Die Eversteiner waren, wie so oft die
Schutzvögte geistlicher Gebiete, auf dem besten Wege, ihre
Gerichtsbarkeit zu einer wirklichen Stadtherrschaft zu erweitern, zumal
es ihnen gelungen war, 12130 einen der Grafen gegen den Willen Fuldas
zum Probst des Stiftes wählen zu lassen. – Jener
Verkauf an den benachbarten und viel mächtigeren Mindener
Bischof passte natürlich weder den Eversteinern noch den
Hameler Bürgern, und so zogen sie vereint gegen den Bischof zu
Felde. Aber bei Sedemünder (früher an der
Straße nach Springe), wurden die Verbündeten 1259
geschlagen mit schwerer Einbuße an Toten und gefangenen. Die
Grafen hatten nun ihre Rechte von Minden als Lehn zu nehmen.
Aber jetzt
zwangen die Welfen den Bischof, die eine Hälfte des Eigentums
an der Stadt abzutreten. Nun hatten die Eversteiner den
gefährlichen Feind seit 1260 in Hameln. So verkauften sie,
wohl nicht ohne Druck, ihre Vogtei an Herzog Albrecht, so dass die
Stadt seit diesem Jahre unter welfischer Herrschaft stand.
Drohend
nahte die welfische Macht auch von Süden. 1265 erwarb das Haus
Braunschweig die Schutzvogtei über Höxter, 1272
kauften sie den Nienoverschen Teil der Dasseler Grafschaft. Damit
hatten sie den ganzen südlichen und östlichen Solling
erworben. Die Grafen versuchten ihr Heil in Köln. Im Jahre
1283 nahmen sie den Grafen Everstein vom Erzbischof zum Lehen. Der
Schutz aber blieb aus. 1284 wird ihre Stammburg von den
Herzögen belagert, wobei das Kloster Amelungsborn von beiden
teilen nicht wenig geschädigt (und entschädigt)
wurde. Sie mussten 1285 die Burg an die Welfen verkaufen und haben sie
nie wieder erlangt.
Nach dem
Verlust des Eversteins müssen sie erkannt haben, dass man auch
Holzminden nicht lange mehr zu halten
war. So verkauften sie Burg und Stadt an Köln, noch im
gleichen Jahre, wo ihre Stammburg verloren gegangen war (1285).
Diese
Jahre, 1260 und 1285, sind die Schicksalsjahre der Grafschaft.
Holzminden und Hameln, die beiden Eckpfeiler ihrer Herrschaft, lagen an
den wichtigsten Straßen durch das südliche
Weserbergland, deren Züge sich heute zwei Hauptbahnstrecken
genau angeschlossen haben. Nach ihrem Verlust, wo obendrein die
Nebenpforte bei Bodenwerder durch die Homburger schon für sie
geschlossen war, waren die Grafen matt gesetzt.
In den
unseligen, fehdereichen 14. Jahrhundert sind die Nachrichten
über unsere Grafen überaus sparsam. 1370 oder 1376
finden wir einen Grafen Hermann von Everstein auf einem
glänzenden Turniere Herzog Otto des Quaden von
Göttingen. Aber schon 1373 im Lüneburger
Erbfolgekriege stehen die Grafen auf Seiten der askanischen
Herzöge gegen den Welfen Magnus Torquatus. Graf Otto von
Everstein ist mit Otto von Schaumburg in der Schlacht bei Lewesse am
Deister. Hier geschah es, dass Herzog Magnus, in der Meinung, den
besonders verhassten Schaumburger vor sich zu haben, auf den
Eversteiner lossprengte. Beide brachten sich gegenseitig die Todeswunde
bei. Es ist anzunehmen, dass die Eversteiner in den Frieden mit des
Herzogs unmündigen Söhnen mit einbegriffen war. Nach
dem Tode dieses tollen Welfenfürsten schienen die Askanier
zunächst in Lüneburg-Kalenberg zu triumphieren. Dazu
hatte also des Eversteiners Heldentat bei Lewesse ein Stück
mit beigetragen-. Erst bei Winsen warfen die Söhne des
gefallenen Herzogs die Fremden aus dem Lüneburgischen heraus.
Es wird nicht berichtet, ob neben Otto von Schaumburg ein Eversteiner
auf Seiten der Besiegten gefangen wurde.
1389 finden
wir sie abermals im Kampfe, in der Holzmindener Fehde. Die Stadt war
nach 1285 von Köln weiterverkauft und 1300 von den
tüchtigen Edelherren von der Lippe erworben. 89 Jahre ist
Holzminden in lippischen Besitz gewesen. Dann erschien der Herzog von
Göttingen, um die Lipper von der Weser zu verdrängen,
mit ihm im Viererbunde der Abt von Corvey, der Edelherr v. d. Homburg
und mitgemischten Gefühlen auch die Grafen von Everstein. Die
Stadt wurde 1393 mit vereinter Kraft genommen und ihr Besitzt unter die
Verbündeten geteilt.
So hatten
die Grafen ein Viertel ihrer alten Stadt wiedererlangt. Aber nun hatte
der Erbfeind auch in Holzminden Fuß gefasst. Schon 1394
brachen Streitigkeiten zwischen den Grafen und dem Herzog aus, die
durch einen Waffenstillstand noch einmal beigelegt wurden. Die
Grafschaft lag zwischen Hameln und Holzminden in der Zange. Die
Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten, wo sie zermalmt
wurde.
4. Der
Eversteinsche Erbfolgekrieg.
Wenige
Jahre darauf stand das Erlöschen der Familie Everstein
unmittelbar bevor. Nur noch ein Graf Hermann war am Leben. Um den
Erbfeind nicht bei seinem Tode triumphieren zu lassen, schloss er 1398
für den Fall kinderlosen Ablebens einen Erbvertrag mit dem
Bischof von Paderborn. Derselbe wurde allerdings schon im
nächsten Jahr hinfällig, als ihm unerwartet noch ein
Sohn geschenkt wurde, der freilich wenige Jahre darauf schon starb.
Soeben hatte Graf Hermann mit Simon III. von der Lippe, seinem
Schwager, und dessen Sohn Bernhard ein Verteidigungsbündnis
geschlossen. Nun kam mit den Edelherren ein Erbvertrag zustande (1403);
beide Länder huldigten beiden Häusern gemeinsam, und
wenigstens der Eversteiner führte von diesem Jahre ab beider
Häuser Wappen.
Dieser
Erbvertrag musste den Herzögen natürlich
höchst unerwünscht sein, da auf diese Weise Lippe an
der Mittelweser sich einnistete und die Verbindung vom Solling zum
Süntel, eben wo die Gelegenheit günstig schien,
auseinander gerissen wurde. Die Beteiligten wussten schon vor dem
Erbvertrage, dass ein Krieg mit
den Waffen die Folge sein würde. Dem aber gedachten sie zu
trotzen; ja, sie haben sich nicht gescheut, ihn herauszufordern.
Die
Brüder von Reden, herzoglich Lehensleute, denen wegen
Landfriedensbruch ihre Burg an der Leine zerstört war, baten,
zur Flucht gezwungen, die Edelherren um Aufnahme und Schutz. Ihnen
wurde gegen Zahlung von 800 Goldgulden die lippische Burg Varenholz
überlassen und im Notfalle Unterstützung versprochen.
Das konnte allein schon einen Kampf verursachen. Aber die
Brüder von Reden konnten offenbar ihren Grimm nicht
zügeln und unternahmen zum Überfluss
Raubzüge in herzogliches Gebiet. So kam der Krieg ins Rollen.
Als die
Reden mit ihren Mannen über die Weser gesetzt waren, jagte sie
Herzog Heinrich bei Ohsen über den Fluss zurück und
verfolgte sie am anderen Weserufer. Da überfiel Bernhard v.
Lippe den Herzog am Ohrberge (am 10. Mai. 1404), DIE Braunschweiger
wurden geschlagen und Herzog Heinrich von Bernhard eigenhändig
gefangen genommen.
Man brachte
den Gefangenen auf die Falkenburg, deren Trümmer im Walde
nicht weit von den Externsteinen noch heute zu sehen sind. Hier wurde
Heinrich 7 Monate lang in strenger Haft gehalten. Wohl
übertrieben heißt es nachher:
„Dat he op Krücken moßte gan, da he los
wart“. Der Bruder wandte sich, da er Gewalt nicht
anzuwenden wagte, im Anfang des Jahres 1405 an König Ruprecht
von der Pfalz. Dieser ließ den Lippern eine feierliche
Aufforderung zustellen, entweder den gefangenen frei zu geben oder sich
am 13. Mai vor dem Hofgerichte zu stellen. Durch Vermittlung des
Erzbischofs von Köln, der den Herzögen feindlich,
obendrein noch ihr Verwandter war, wurde die Frist bis zum 24. Juni
verlängert. Bis zu dieser zeit sollten beide Parteien vor dem
Erzbischof sich gütlich einigen.
Doch die
Verbündeten gedachten, ihr Glück bis aufs
äußerste auszupressen. Sie ließen den
Herzog Heinrich endlich nach Lemgo ins Gefängnis holen und
hatten ihn so mürbe gemacht, dass er am 22. Juni 1405 ein
außerordentlich hartes Abkommen einging: In 5 Jahren sollte
er ratenweise im ganzen 120 000 Gulden zahlen, für die
damalige Zeit eine ganz gewaltige Summe von Millionenbetrag. Heinrichs
Bruder Bernhard, 2 andere Landesherren und 26 Ritter sollten sich
für die Zahlung verbürgen. Ferner sollte er Urfehde
schwören, und drittens sollte er die Brüder v. Reden
in ihren Besitz wieder einsetzen. Die Lipper aber wollten das Eisen
schmieden, solange es warm war, und legten ihm 8 Tage später
in Brake noch weitere Bedingungen auf: Erlaubnis zur Einlösung
der herzoglichen Hälfte von Schloss Ohsen, Mithilfe bei
Grenzbefestigungen, ja sogar bei deren Verteidigung. Beide
Herzöge, auch Heinrichs Söhne, sobald sie 12 Jahre
alt waren, sollten schwören, niemals bei Kaiser oder Papst,
geistlichen oder weltlichen, öffentlichen oder heimlichen
gerichten für sich oder ihre Bürgen Schutz suchen zu
wollen. Ja, sie mussten versprechen, bis Weihnachten vom König
Ruprecht einen Verzeihungsbrief zu erwirken. Sonst sollte sich Heinrich
in Hameln zu neuer Haft stellen bis zur Ausfertigung des Briefes. Damit
meinten die Sieger umsichtige und ganze Arbeit gemacht zu haben.
Die
Herzöge gaben sich nun redliche Mühe, das Geld von
Ritterschaft und Geistlichkeit ihres Landes zu erlangen. Nur die
Städte Braunschweig und Helmstedt versprachen,
vorläufig eine jährliche Beihilfe zu zahlen. So
konnten sie wenigstens die erste rate, 5000 Gulden, rechtzeitig
abliefern. – Sie leiteten die Einräumung von Ohsen in die Wege. Sie schworen mit
32 Rittern Urfehde, den Lippern und Graf Hermann von Everstein niemals
Feindseligkeiten zufügen zu wollen. Sie beugten ihren Stolz so
tief, dass sie den König baten, den verlangten Gnadenbrief
auszustellen.
Da kam
ihnen der König von sich aus zur Hilfe, Ruprecht
hätte taub und blind sein müssen, wenn er die
Verlegenheit der herzöge nicht bemerkt hätte. Bei der
geringen Zahl seiner Anhänger lag ihm natürlich
daran, die mächtigen Welfenherzöge durch einen
Freundschaftsdienst für sich zu gewinnen. Am 15. Dezember 1405
erklärte er wegen Nichterscheinens vor dem Hofgericht (obwohl
er doch damals gar nicht darauf bestanden hatte) und wegen des
sonstigen Verhaltens der Verbündeten die Reichsacht. Diese
wurde in lateinischer und deutscher Sprache in den Städten
Hessens, Westfalens und Niedersachsen verkündet.
Endlich
begannen die Herzöge aufzuatmen. Herzog Heinrich stellte sich
nicht zu neuer Haft. Allerdings wagten sie nicht, den König
öffentlich um weitere Hilfe zu ersuchen, aber im Geheimen
baten sie, ihnen selbst und den Bürgern weitere Zahlung zu
untersagen. Der König, die Heimlichkeit der Herzöge
verständnisvoll unterstützend, tat ihnen
natürlich den Gefallen und erließ im Dezember wie
aus eigenem Antriebe das gewünschte Verbot. Als diese Wolken
aufstiegen, wandten die Erbverbrüderten sich abermals an
Köln. Der Erzbischof brachte es auch richtig fertig, dass der
König beide Parteien unter freiem Geleit zum 13. Mai 1406 zur
gütlichen Beilegung des Streites nach Frankfurt a. M. einlud.
Aber Lippe und Everstein ließen sich nicht darauf ein. Die
Aufhebung der Acht zu erreichen, gelang dem Erzbischof nicht.
Die Wolken
türmten sich höher. Die nächste Rate von 15
000 Gulden wurde nicht ausgezahlt sondern in Göttingen
niedergelegt, um erst freigegeben zu werden, wenn die
Geächteten sich in Jahresfrist aus der Acht lösten.
Mit Corvey und den beiden anderen braunschweigischen Linien
Göttingen und Grubenhagen wurden Bündnisse
geschlossen. Nur die beschworene Urfehde wagten sie nicht zu brechen,
und so mussten die Blitze noch zurückgehalten werden.
Aber auch
dieses Hindernis konnte fallen. Es gab ja jemand auf Erden, der auch
von Eiden lossprechen konnte. Sie wandten sich an den Papst. Sie hatten
die Auswahl; es war ja die Zeit der Kirchenspaltung, wo zwei
Päpste in Avignon und in Rom sich feindlich
gegenüberstanden. Papst Gregor XII. in Rom, erfreut, in
Deutschland sich Anerkennung und Anhang schaffen zu können,
tat ihnen den Gefallen und löste ihre Eide. Ihrem Winke
folgend, leistete er ihnen auch noch „sonstige
Hilfe“ und tat die Übeltäter in den Bann
(Ende 1406). In der Mitte des folgenden Jahres wurde der Bann durch den
Bischof von Minden öffentlich verkündet. Als im
Februar 1407 ein Jahr verstrichen war, ohne dass die
Hartnäckigen sich von der Acht gelöst hatten, wurde
die Reichsaberacht erklärt, die den Verlust aller Lehen und
Eigengüter in sich schloss.
Nun brach
der Sturm los. Zwischen Ostsee und Lahn, von Mecklenburg bis Hessen
fehlten nur wenige Fürsten und Herren, die sich nicht an der
Vollstreckung der Aberacht beteiligt hätten. Ein für
jenes Zeitalter außerordentliches Heer von 13 000 Mann
rückte in Lippe und Everstein hinein. Am Ostermorgen 1407
wurde die Burg Polle durch Überrumpelung genommen. Von da ging
der Marsch auf Horn. Kloster Falkenhagen sank in Asche, Rischenau wurde
zerstört. Aber Horn wehrte sich; die Lipper und Graf Hermann
hielten sich in Blomberg. alle Zugänge waren mit Landwehren
und Knicks verrammelt (solche Dornenhecken gab es bis zu 60 m Dicke!),
so dass die Verbündeten nichts Rechtes ausrichten konnten.
Mangel an Verpflegung zwang schließlich das große
Heer zum Rückzuge.
Doch die
Geächteten waren mürbe. Der Kölner
vermittelte Waffenruhe und freies Geleit zum Hofe.
Da geschah
etwas immerhin Überraschendes. Graf Hermann von Everstein
hatte den krieg satt. Acht und Aberacht und bann dazu hatten seinen
Willen geknickt. Er ließ seine Bundesgenossen in Stich und
machte mit den Welfen seinen Sonderfrieden. Am 20. Januar 1408 hob er
die Erbverbrüderung mit Lippe auf und verlobte seine kleine
Tochter Elisabeth mit Herzog Bernhards Sohn Otto.
Als Brautschatz ging die Grafschaft Everstein in
braunschweigischen Besitz über. Am 7. April 1408 wurde das
Erbe endgültig bestimmt. Es war das Gebiet, das seit 1300
verblieben war: die Burgen Polle, Aerzen nebst Hämelschenburg,
die anteile an Ohsen und Holzminden, sowie Ottenstein mit den
zugehörigen Ämtern.
Friede und
Verzicht der Lipper folgte 1409. Graf Hermann scheint 1413 gestorben zu
sein.
So endete
die Geschichte der Eversteiner Grafen. Fast im gleichen Jahr starben
auch die Edelherren v. d. Homburg aus, und ihr Gebiet erbten ebenfalls
die Welfen. Der heutige Kreis Holzminden war unter einer Herrschaft
vereinigt (seit 1410).
Nach
zahlreichen Teilungen ist schließlich der Süden der
Grafschaft Everstein seit 1635 endgültig bei
Braunschweig-Wolfenbüttel geblieben.
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