Belehnung des Grafen Otto I. von Eberstein, Gründung der Stadt, Graf Otto III. der Friedliebende

Belehnung des Grafen Otto I. von Eberstein, Gründung der Stadt Beginn der Freundschaft, Graf Otto III. der Friedliebende

In breitem Strome ergossen sich gegen Ende des dreizehnten Jahrhunderts die deutschen Ansiedler in das Wendenland. Die Gründung der meisten pommerschen Städte fällt in diese zeit. Vor allem bemühte sich Bischof Hermann von Gleichen, deutsche Edelleute heranzuziehen. War doch eine waffenkundige Ritterschaft zur Sicherung des landesherrlichen Ansehen nach außen und nach innen von höchsten Wert. Bei den unsicheren Verhältnissen in dem neuerschlossenen Gebiet bedurften aber auch Bürger und Bauern. Handwerker und Kaufmann eines stets bereiten Waffenschutzes.

Wohlhabende Handelsstädte vermochten sich selbst und ihre umliegenden Dörfer zu schützen. Die kleinsten städtischen Siedlungen aber und ihre Umgebung konnten die ritterliche Obhut kaum entbehren, wenn sie sich in Frieden entwickeln wollten.

Unter den zahlreichen Edlen, die sich dem Zuge nach dem Osten anschlossen, war auch der Schwestersohn des Bischofs Hermann, der Graf Otto von Eberstein, aus altem niedersächsischem, an Leine und Weser ansässigem Geschlecht. Er trug seinen Namen von dem bei Amelungsborn gelegenen Stamm-schloss Eberstein und führte einen aufrecht stehenden Löwen im Wappen. Mit dem gleichnamigen schwäbischen Geschlecht war es nicht verwandt. Ihm wurde vom Bischof im Jahre 1274 die Burg und die Ortschaft Naugard nach Lehnsrecht als Eigentum übertragen, außerdem die Dörfer Langkafel, Minten, Zickerke, Döringshagen, Glietzig und Düsterbeck. Nach einer Urkunde von 1321 gehörten auch zur Grafschaft Naugard als herzögliches Lehen die Dörfer Kartzig, Großsabow, Kleinsabow und Maskow.

Erst sein Sohn Otto II: widmete sich der Sorge um das Ländchen, das hinter der allgemeinen Entwicklung zurückgeblieben war. Er unternahm auch die nötigen Schritte, deutsche Bürger anzusiedeln und die Dörfer mit deutschen Bauern zu besetzen. Er schlug hierbei das bei Stadt- und Dorfgründung im Kolonisationsgebiet übliche Verfahren ein. Unternehmer, so genannte possessores oder locatores ins Reich zu senden, um dort Auswanderer zu werben. Zum Lohn für ihre Mühe erhielten jene in der neuen Gemeinde das Bürgermeister- oder Schulzenamt und je nachdem auch Abgabefreiheit und andere Vorrechte.

Um das Jahr 1290 etwa war es, als die Männer, die dem gräflichen Aufruf gefolgt waren, auf der schmalen Landzunge zwischen den beiden Seen anlangten. Nach dem erprobten, fast in ganz Pommern gleichen Plan wurden von ihnen die Straßen in rechtwinkliger Kreuzung abgesteckt, für Marktplatz und Kirche zwei benachbarte Vierecke freigelassen, und bald erhoben sich die strohgedeckten Fachwerkhäuser der neuen Bürger. Die wendischen Hütten mussten weichen. Ihre Besitzer konnten sich außerhalb der Stadt auf dem Kietz wieder aufbauen. Sie blieben auch im bürgerlichen Leben zunächst völlig von der neuen Gemeinde geschieden und wurden zu keinem Handwerk zugelassen. Auf den Dörfern ließ man zum teil die alten, nicht zu zahlreichen Bewohner in ihren Sitzen, zum Teil mussten sie, soweit sie noch Heiden blieben, auswandern.

In Naugard hatten die eingewanderten inzwischen die vom Grundherrn überwiesene Feldmark, wie in deutschen Landen üblich, in drei Felder geteilt, die die gemeinsam in regelmäßiger Folge mit Winter-. Dann mit Sommerfrucht bestellten und im dritten Jahr brach liegen ließen. Jedes Feld war in gleich große parallele Kaveln geteilt, deren Zahl der der Hausgrundstücke ungefähr entsprach. Die zu einem Hause gehörigen Kaveln bildeten zusammen eine Hufe, deren Größe auf 30 Tagewerke oder Morgen (ein Morgen = soviel, wie ein Mann an einem Morgen, d. h. Vormittag umpflügen kann) bemessen war, und zu der noch das unmittelbar an der Stadt gelegene Gartenland zu beliebiger Bestellung hinzukam. Dieser Besitz war den Bürgern als frei vererbliches und veräußerliches Eigentum überlassen, während der Bauer von seinem Acker Geld- und Naturalabgaben zu leisten hatte. Forsten, Weideland, Torfstich, Lehm- und Sandgruben blieben in Stadt und Land gemeinsames Eigentum. Für die Kirche und auch die Bürgermeister und Schulzen wurden allgemein einige Freihufen abgesondert.

Noch fehlten aber der neuen städtischen Gemeinde die Gerechtsamen, die ihren Bestand verbürgten, ihre Weiterentwicklung ermöglichten und der ganzen Gründung den Abschluss gaben. Ihre urkundliche Verleihung erfolgte am 30. April 1309 durch das erste Privileg und fand auf dem Marktplatz zu Naugard statt.

Die Errichtung der Pfarrkirche nahm bei den geringen Mitteln der kleinen Gemeinde aber noch eine Reihe von Jahren in Anspruch. Erst 1334 war das Gotteshaus fertig gestellt, und Rat und Bürgerschaft stifteten dem in ihr der Maria Magdalene errichteten Hauptaltar 14 Hufen Land und setzten die Pfarre gleichzeitig 2 Hufen aus.

Die Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte vielerlei Wandlungen und Erweiterungen erfahren. Doch schon der erste Bau barg ein Kleinod, auf das die Gemeinde mit besonderem Stolz blicken durfte, ihren Kelch, der, nachdem er die Jahrhunderte überdauert, durch Plünderung, Krieg und Brand hindurch gerettet wurde. Er galt als der älteste und  kunstgeschichtlich wertvollste in ganz Pommern. Sein Knauf trug in gotischen Majuskeln die Buchstaben OTTO, und da er nach seinen spätromanischen Formen der Zeit um 1300 entstammt, darf man wohl annehmen, dass ihn der Gründer der Stadt, der zweite Otto, der neuen Gemeinde einst gestiftet hat.

Als nach dem Tode Ottos II. und seines Nachfolgers Hermann eine Tochter und ein Sohn – wahrscheinlich des Grafen Hermann minderjährige Kinder – die einzigen Nachkommen des Grafengeschlechts waren, baten der rat der Stadt und die Gemeinde von Land und Stadt Naugard den Bischof Friedrich von Eickstädt um einen Vormund für den jungen Grafen Otto. Sie schlugen Arnold de Vitze vor. Doch kaum bestätigt, begann dieser sein Amt für sich auszubeuten, so dass der Rat der Stadt diese Sorgen dem Bischof mitteilte und  erneut um Hilfe bat. Dieser Vorgang bekundet die wahrhaft herzerfrischende Treue der Naugarder und das schöne patriarchalische Verhältnis des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung zwischen dem Oberlehnsherrn und den Untertanen. Das tatenfrohe Geschlecht wusste noch nichts von Abhängigkeit, in die der mittelbare Bürger und von Hörigkeit, in die der frei eingewanderte Bauer nur zu bald herabsinken sollte. 

Nach dem Tode des Grafen Otto II. und zu Zeiten seiner Nachfolger Hermann und Otto III. begannen im Lande Unruhen. Streit und Krieg. Der Markgraf von Brandenburg, der Bischof, der Herzog, der Adel und die Städte in Pommern lagen in blutiger Fehde. Alle diese Wirren legten die Regierungsgewalt lahm. Sie hinderten, Frieden und Ordnung im Lande zu wahren. Auf die Ritterschaft war kein Verlass mehr. Die Äcker wurden verwüstet, das Vieh trieb man den Bauern fort. Der Adel verarmte und verwilderte. Viele richteten ihre Waffen gegen den friedlichen Bürger, den reisigen Wanderer und den fahrenden Kaufmann.

Um den Schrecken ein Ende zu machen, versammelte Graf Otto am 9. Mai 1334 in Naugard den Adel der Umgegend und die Vertreter der benachbarten unabhängigen Städte. Es ritten mit ihrem Gefolge die Dewitze herbei, an ihrer Spitze Graf Ulrich von Fürstenberg, die Borcke aus Wangerin, die Wedel, die Osten, Brüsewitz, Lode, Vidante, Troyen, Stegelitz und die Vertreter der Städte Stargard, Greifenberg und Treptow.

Das Ereignis war das Neugarder Landfriedensbündnis auf 6 Jahre zur Bekämpfung aller derer,

„de wolde verunrechten vse Heren Hertoghe Bugzlave Hertoghe Barnym Hertoghen Wartslav de Broders gheheiten syn vnd ere mann vnd stede, de hir vorbenömet stan, und derer, die nicht an rechten sik ghenöghen willen laten by namen, Stratenröuer, Mörder, Boddenstülpere, Mordbernere und deghene, de se huset vnd hövet.“

Bei diesen unausgesetzten Unruhen mussten auch in den Städten Handel und Wandel nachlassen. Dazu lähmte in den Jahren 1348 – 50 eine furchtbare Pestepidemie das gesamte bürgerliche Leben. So kam es, dass die Stadt erst spät, gegen Ende der 50er Jahre, die zu ihrem Schulze so unentbehrliche Ringmauer vollenden konnte.

Den nördlichen Stadtausgang zwischen der Kleinen Seestraße und der Wallstraße sperrte man durch das Greifenberger Tor. Von ihm aus führte man die Mauer an der Außenseite der Wallstraße und dem Ufer des Stadtsees entlang bis zum Stargarder Tor, das zwischen Großer und Kleiner Seestraße lag. So wurde der Kreis geschlossen, der die paar Dutzend unansehnlicher Lehmhäuschen und das ragende Gotteshaus umgab. Die Mauer, etwa 5 Meter hoch und 1,5 Meter stark, hatte zahlreiche Türme und Strebenpfeiler. Sie war in der Runde mit Wehrgang und Schießscharten und einzelnen Wiekhäusern (Häuser vor oder auf der Mauer) ausgerüstet. In der Nähe des Stargarder Tores führte nach beiden Seen hin je eine Wasserpforte. Durch eine dritte Pforte nahe dem Greifenberger Tor konnte man vom Schlosse her am Nordwestufer des kleinen Sees entlang geradewegs in die Stadt gelangen. Den Schlüssel zu ihr hatten die Grafen. Es geht die Sage, dass außerdem ein unterirdischer Gang von der Burg in die Stadt geführt und dort in der Kirche gemündet habe. Beide Tore waren nach außen durch 2 überbrückten Gräben gesichert, zwischen denen ein Wall aufgeschüttet war. Erst zu Anfang des 19. Jahrhunderts sied die Gräben zugeschüttet worden. Zwischen Greifenberger Tor und kleinem See verriet noch lange der weiche Boden, der beim Gehen quappte, die Stelle des ehemaligen Wallgrabens.

Die Stadttore bestanden aus einer spitzbogig überwölbten Durchfahrt, die außen das Fallgatter der Zugbrücke und innen durch eisenbeschlagene Torflügel gesperrt war. Wenig oberhalb der Spitze des Bogens schloss der Torbau waagerecht ab. Ihn flankierten beiderseits die bis zur Höhe der übrigen Mauertürme emporgeführten Fortsetzungen seiner doppelten Seitenmauern. In ihnen konnte man bis zur Turmhöhe emporsteigen und auch in das über dem Torbogen befindliche Obergeschoss hineingelangen, das neben dem Spitzbogen zwei nach außen gehende Schießscharten besaß.

Und selbst bei dieser bescheidenen Anlage war das Geld knapp geworden und die Gemeinde musste am Aller-Heiligen-Tage (1. November) 1360, um die Kosten zu decken, von ihrem Bürgermeister Elardus Staaz 350 Mark Denare auf vier Jahre borgen. Sie hatte den damals gebräuchlichen hohen Zins zu zahlen und verkaufte ihm dafür 28 Mark jährlicher Stadteinkünfte. Es war das die Form, in der das kirchliche Verbot, Geld auf Zinsen zu verleihen, allgemein umgegangen wurde. Da es um den Geldverkehr in Naugard nur recht dürftig bestellt war, wurde im Schuldvertrage vorgesehen, dass die Summe später in Stargard oder Gollnow zur Auszahlung kommen sollte.

Vom Leben im Städtchen gibt eine etwas spätere Nachricht eine freilich nur recht unvollkommene Kunde. Sie erwähnt, dass in Naugard ein Kaland bestand. Es war dies eine Vereinigung von Geistlichen, in die auch Laien Aufnahme fanden. Jeder Bruder verpflichtete  sich beim Eintritt zu einer bestimmten Anzahl von Gebeten und Bußübungen, zu Geldbeiträgen und zum Gottesdienst am gemeinsamen Altar, der in Naugard dem heiligen Kreuz geweiht war. Auf diese Weise hoffte man, da jeder an den Gebeten und guten Werken der übrigen sich beteiligt fühlte, gemeinsam die ewige Seligkeit zu erringen. Die Brüderschaft war hier wohl schon zu den Zeiten der großen Pest gegründet. Ihr Name soll daher stammen, dass die Versammlung am ersten jeden Monats, den römischen Kalender, stattfand. Die Sitzungen wurden mit Gottesdienst eingeleitet und endeten gewöhnlich mit einem fröhlichen Schmause. Auch an den übrigen Tagen des Monats fanden sich in späteren Jahren die Mitglieder im Kalandhause zu einem Trunk zusammen. Andere Gasthäuser waren ihnen verboten, in Naugard auch kaum vorhanden. Die Herstellung des Bieres, das zum Ausschank kam, blieb ein sorgfältig gehütetes Recht der Geistlichkeit. Das Naugarder Kalandsheim lag wahrscheinlich in der Poststraße an der Stelle, wo das Haus Nr. 7 auf die Kirchstraße hinausblickte. Die beiden riesigen Eibenbäume, die eine hervorragende und seltene Zier des dortigen Hausgartens und der Stadt bildeten, waren nach ungefährer Schätzung 600 Jahre alt und gewissermaßen noch lebende Zeugen der Gelage, die die Brüder einst in ihrem Schatten feierten. Der Gesellschaft gehörten 8 Hufen Land der Naugarder Feldmark.

Naugarder Bürger, die durch fromme Stiftungen sich den Himmel erwerben wollten, waren es jedenfalls auch, die den Grund zu den drei Kapellen vor den Toren der Stadt legten und sie mit Landbesitz ausstatteten. Eine war dem heiligen Georg geweiht. Sie lag zwischen dem Stargarder Tor und dem Kietz und diente zur Aufnahme von Pestkranken.

 Dieser Kapelle gerade gegenüber auf dem Viehmarkt lag die „zur elenden Maria“; sie diente ausschließlich himmlischem Troste, und ihr Altarbild zeigte die mater misericordiac wohl in der üblichen Darstellung, wie sie unter ihrem weiten Mantel die Gemeinde vor den vernichtenden Pfeilen der Pest und des Todes schützt. Bei der vor dem Greifenberger Tor an der Westseite der Straße nach Plathe, auf dem alten Friedhof Ecke Greifenberger- und Gartenstraße, gelegenen St. Gertruds Kapelle bestand möglicherweise, wie bei vielen dieser Heiligen geweihten Stätten, eine Unterkunft für Pilger und andere Fremde sowie für Kranke.

Die herzogliche Gewalt im Lande wurde durch Fehden und Gebietsverluste stark geschwächt, was zur Folge hatte, dass der Adel an Macht und Einfluss zunahm. Das Fehdewesen nahm immer mehr überhand. Ohne Veranlassung wurde der Friede gebrochen, der Nachbar überfallen, dessen Dörfer geplündert und das Vieh fortgetrieben. Selten kam es dabei zu offenen Schlachten. Niemand war da, der den Geschädigten Recht und den Beleidigten Sühne verschaffen konnte.

Infolge seines Ansehens und besonnenen Verhaltens blieb das Haus Eberstein längere Zeit von räuberischen Wirren verschont. Als aber Mitglieder der Familie von Wedel Stiftsgüter überfallen und beraubt, ja sogar Kirchen geplündert hatten, bot der Bischof seinen Heerbann auf, um gegen die Übeltäter vorzugehen. An dieser Aktion beteiligten sich auch die Ebersteiner, sowie die Borcke und Osten.

Als der Knappe Vike v. Borcke das Unglück hatte, in Gefangenschaft zu geraten, musste er dem Geschehen derer v. Wedel Urfehde schören, sich zur Zahlung von Lösegeld und Gestellung einer großen Zahl von Bürgern verpflichten, die für die Einhaltung der Bedingungen Einzustehen hatten.

Am 29. September 1376 kamen die gesamten Bürger mit dem Knappen in Naugard zusammen, wo ihnen der Graf v. Eberstein unter Stellung weiterer Bürgern das Versprechen gab, sie von allen Nachteilen aus ihren Verpflichtungen freizuhalten und die für die Zahlung des Lösegeldes eingetretenen Freunde notfalls schadlos zu halten. An der Spitze dieser zusätzlichen Bürgern der Sohn und Nachfolger des alten Grafen. 

Dieses umständliche Verfahren zeigt. Wie man auf diese Weise der fehlenden Rechtssicherheit zu begegnen suchte, auch lässt es die großherzige Haltung der Ebersteiner Grafen besonders deutlich zutage treten.

Die im Lande herrschende Unruhe und Verwilderung steigerte sich immer mehr. Soweit es ihm möglich war, suchte der Ebersteiner Graf dem Raubwesen zu begegnen. Er war dabei, als der Herzog und der Bischof Philipp auf dem Felde vor Daber im Juli 1377 mit dem Kaiser Karl IV. das so genannte Landfriedensbündnis auf 5 Jahre geschlossen. Dieser Kaiser war der einzige, der je pommerschen Boden betreten hat. Er hatte 1373 die Markgrafschaft Brandenburg von Otto dem Faulen übernommen, und unter ihm herrschte nun vorübergehend Friede unter den Nachbarstaaten. Rechtsmäßige Fehden wurden aber in die getroffenen Vereinbarungen nicht einbezogen. So blieb auch der ruhende Streit zwischen den Ebersteinern und dem Hause v. Wedel hiervon unberührt. Erst am 26. Dezember 1379 erklärten die v. Wedel den Zwist für beendet.

Ob an die Stadt Naugard sich die v. Wedel herangewagt haben, ist nicht bekannt, doch dürften sie die benachbarten Dörfer heimgesucht und drangsaliert haben.

Die Ebersteiner zeigten sich der Stadt Naugard nach wie vor gut gesonnen. So gab der Graf Ludwig seine Zustimmung dazu, dass der Kaland in Naugard als gemeinnützige Bruderschaft 1387 in Zickerke 2 Hufen Land erwirbt. Dieses Land ließ sich der Graf von allen Leuten befreien und mit allen Rechten versehen. Dieser Vorgang beweist, dass der Kaland hierfür schon das nötige Geld besaß und in dem Städtchen ein gewisser Wohlstand spürbar geworden war.

Eberstein hier und dort

Wer eine kleine Fahrt durch das Oberweserbergland unternimmt, entdeckt bei der Stadt Polle eine Burgruine, die ehemalige Ebersteinburg.

Der junge Graf Otto von Everstein, der im Zuge der Besiedlung der Ostgebiete im Jahre 1274 mit Burg und Land Naugard belehnt wurde, stammte aus der reichsunmittelbaren Grafschaft Everstein zu beiden Seiten der Oberweser. Mit seinen Nachkommen war das Schicksal der Bewohner im Lande Naugard 389 Jahre lang eng verknüpft.

Wenn auch einzelne Angehörige dieses Geschlechts – vornehmlich aber erst gegen Ende der Generationsfolge – unglückliche Charaktere oder oft zu Kriegsdiensten abwesend waren, so haben doch die meisten von ihnen segensreich gewirkt. Fast alle waren auch Ratgeber und rechte Hand der Pommernherzöge, ihre Gesandten. Vermittler und Vertreter in politischen Angelegenheiten, aber auch oft Sprecher für den übrigen pommerschen Adel. Über ihr eigenes Gebiet hinaus haben sie sich oft zum Wohle ganz Pommern eingesetzt. Neben denen von Putbus auf Rügen war das in  Naugard ansässige Geschlecht der Ebersteiner Grafen vielleicht das bedeutendste pommersche Geschlecht seiner Zeit.

Für den Landstrich im Oberwesergebiet, der etwa durch das Weserknie bei Karlshafen und die Stadt Hameln abgegrenzt wird, ist die Herrschaft der Grafen von Everstein durch 454 Jahre geschlossen von 955 bis 1409 nachgewiesen. Zum Everstein rechnet man zwei dicht beieinander liegende, bewaldete Bergkegel, die früher jeder eine Burg trugen, bei dem Dorfe Forst auf der rechten Weserseite nördlich von Holzminden. Reste von Fundamenten sind noch vorhanden. Wann diese Burgen zerstört oder zerfallen sind, ist ungewiss.

Danach war der Mittelpunkt der Grafschaft und die Residenz des einst mächtigen Geschlechts die von ihm im 13. Jahrhundert erbaute Burg Polle, links der Weser dem Everstein schräg gegenüber gelegen. Der Burghügel liegt hoch über dem Fluss in der Aussichtsmitte eines sehr schönen Mittelgebirgspanoramas. Ihre frühere berüchtigte Zollstelle soll den Weserschiffen den Stoßseufzer entlockt haben: 

„Wenn wi man erst am Poll vorbie wäre!“

Die Burg selbst besaß einst fünf terrassenförmig übereinander liegende Höfe, die von unten bis oben einheitlich von ansehnlichen Gebäuden umschlossen waren. Sie waren so gut wie unversehrt bis zum Dreißigjährigen Krieg erhalten geblieben. 1623 zerstörte Tilly durch Beschuss die Unterburg; 1641 brannte die Oberburg infolge Beschießung durch die Schweden völlig aus (Eine Parallele: Naugards Eversteinburg wurde 1675 von den Schweden zerschossen). Die unteren Burggebäude, nach der kriegerischen Vernichtung wieder aufgebaut, hatten dann Bestand bis in die jüngste zeit. Sie wurden erst im 2. Weltkrieg während einer 24stündigen deutschen Verteidigung am 7./8. April 1945 durch amerikanische Beschießung zerstört. Heute sind noch erhalten: unten ein sehr ansprechendes Burgtor und ganz oben aus der ersten Erbauerzeit der Bergfried, von alten Gemäuer umgeben.

Das beschriebene Schicksal ihrer Burg bei Polle hat das Geschlecht der Erbauer jedoch nicht mehr getroffen. Seine fast ein halbes Jahrtausend dauernde Herrschaft über die ausgedehnte und mächtige Grafschaft war 1407 zu Ende.

Die Grafschaft Everstein an der Oberweser war in neun Verwaltungsämter mit je einer Burg aufgeteilt: Fürstenberg, Holzminden, Everstein, Ohsen am rechten, Polle, Ottenstein, Grohnde, Aerzen und Hämelschenburg am linken Weserufer.

Das Verderben der Grafen war ihre immer wieder aufflackernde Feindschaft mit Braunschweig und der benachbarten Herrschaft Homberg, die langsam ein Stück nach dem anderen aus der Grafschaft herausbrachen. 1245 ging Bodenwerder verloren, 1265 Höxter, 1272 Dassel-Nienover, 1277 Hameln, 1284 die alte Burg Forst, 1285 Holzminden usw.

1407 wurde auch Polle erobert und damit der letzte Rest dann 1409 in die Grafschaft Braunschweig einverleibt. Den letzten Eversteiner Grafen, einen Hermann VIII. schickte man in die Verbannung. Die Grafschaft wurde von da an bist 1885 durch Amtmänner verwaltet. Der ostdeutsche Zweig des Eversteiner Grafengeschlechts au f der Burg Naugard hielt sich noch über zweieinhalb Jahrhunderte länger, bis es hier 1663 in der männlichen Linie ausstarb. Diese Eversteiner an der Oberweser und auf der Burg Naugard waren mit den schwäbischen Ebersteinern nicht verwandt.

Dr. Werner Krüger

Quellennachweis

Gustav Rudolphsohn: Deutschland (Verlag Ferd. Enke – Stuttgart.)
Geschichte Naugards, seiner Ungegend und der Naugarder Heimatbriefe, Jahrgang 1 – 31.
Grafen von Eberstein (Berlin 1911). Dr. Günther/G. Jacoby:
Eduard Sieber: Heimatblätter für den Kreis Naugard,
Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts (Reuschel- Jahrgänge 1927 – 1929.
Verlag). Professor Otto Knoop:
Heinrich Dietwart: Sagen und Erzählungen aus dem Kreise Naugard
Hundert Jahre Deutsches Schicksal (Stargard 1925)
(Deutsche Verlagsgesellschaft Rosenheim). Kulturabteilung der Pommerschen Landsmannschaft
Festschrift der Kreissparkasse Naugard von 1928. schaft: Pommersches Heimatbuch
Werner Stein: Jahrgänge 1963 – 1981.
Kulturfahrplan (F. A. Herbig Verlagsbuchhand- „Pommersche Zeitung“, verschiedene Ausgaben.
lung München, Berlin, Wien). Monatzeitschrift „Unser Pommerland“,
Kurd v. Bülow: verschiedene Hefte (Fischer-Verlag).
Geologische Besonderheiten aus dem Kreise Den Entwurf des Einbandes und die mit H. Sch.
Naugard. Signierten Zeichnungen stellte H. Schössow zur
Dr. Heß v. Wickdorff: Verfügung.
Der Kreis Naugard – ein eiszeitliches Schuttlan. Die mit H. W. Vogt-Vilseck signierten Zeichnung
H. Kohlhoff: gen sind dem Buche „Im Namen Gottes“ mit freund-
Geologisches aus dem Kreise Naugard. licher Genehmigung des Autors entnommen.
Eckhard Schmitt: Für die Wiedergabe von Holz- und Linolschnitten
Deutschland, großes geographisches Handbuch sowie Federzeichnungen fanden Vorlagen von Kurt(List-Verlag) Poremba Verwendung.
Dierk Henningsen: Die Foros wurden uns von verschiedenen Naugar-
Einführung in die Geologie der Bundesrepublik dern überlassen.