Adelsfamilie de Wrede in Polle, Weser - Obrist und Lieutnant
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Poller Rittergut I
Obrist-Lieutnant Jasper de Wrede erwarb 1577 den Lehnsbrief / Die kurhannoversche Landesaufnahme von 1764 bis 1786 verzeichnet für Polle zwei adlige Güter: das von Heimbruch’sche und das Behling’sche Gut. Beide wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts in einer Hand vereinigt; beide gehen sie in ihrer Entstehung auf den Drosten und Pfandinhaber des Poller Schlosses, Jasper (auch Casper) de Wrede zurück, der vor vierhundert Jahren in Polle lebte.
Aus wüsten Bauernhöfen entstanden In seinen jungen Jahren befehligte Jasper de Wrede als Obrist-Lieutnant ein eigenes Fähnlein und kämpfte nach dem damaligen Brauch auf zahlreichen europäischen Kriegsschauplätzen. 1577 „acquirierte“ er drei „wüste Bauernhöfe“ und ließ sich darüber von seinem Landesherrn einen Lehns- oder Schutzbrief ausstellen, der ihm „Gerechtigkeit in Holz, Felde, Wasser und Weyden“ sowie das Fischereirecht auf der Weser und auf dem Lunabache zusicherte. Zu seinen Verpflichtungen gehörte u. a. „der gewöhnliche Roßdienst mit einem Pferde“. Damit wurde sein Hof als „Sattelhof“ eingestuft und ist in den Akten des öfteren auch so bezeichnet. Ferner gestattete ihm der Landesfürst, ein zwei Hufen großes Waldgelände im „Weißen Felde“ zu roden und als Äcker und Weiden zu nutzen. Über sein Privatleben erfahren wir etwas aus der Ordnung der Poller Brauergilde von 1605, wo es heißt: „Frau Kunna Nymeyers, Henrich Nymeyers allhie im Flecken gewesener Tochter, darmit Casper de Wrede, Obrister-Lientenant, zehn lebendige Kinder erzeuget, davon die letzten zwo, Erich und Sabine, im Ehebett, die vorigen ante matrimonium (vorehelich) geboren, ist wohl begnadet worden..“. Bei der Aufzählung der sogenannten „Großen Pfannen“ heißt es an gleicher Stelle: „Frau Kunna, Casper de Wreden sel. Witwe...“. Danach muß Casper de Wrede etwa um 1600 verstorben sein.
Die drei Schwiegersöhne des Casper Um die Wende des Jahrhunderts taucht als Inhaber des Lehngutes der „Edelmann Melchior von Dreyplatz“ auf, der nach einigen Aktennotizen mit einer Tochter des Jasper de Wrede verheiratet gewesen sein muß; denn von den Söhnen des von Dreyplatz wird gesagt, daß sie sich wegen der großen Schulden ihres sel. Vaters und wegen der mütterlichen Gütern Konkurs begeben mußten. Melchior Bodo und Ernestus Friedericus von Dreyplatz waren 1622 in Helmstedt immatrikuliert. Über die Höhe der Schulden und die Gründe für ihre Entstehung ist nichts gesagt. Nachdem Melchior von Dreyplatz schon 1614 erstmals als „selig“ bezeichnet ist, tritt 1622 bereits ein anderer Schwiegersohn des Caspers de Wrede als Besitzer des Gutes auf: Johann Wrede. Mal wird er mit dem Zusatz de, mal ohne diesen genannt; eine Verwandtschaft mit der in Polle schon seit langem ansässigen adeligen Familie bestand wohl nicht. Aus einer Klage der Amtseinwohner aus den Jahren 1613/14 geht hervor, daß Johann Wrede zu dieser Zeit Amtmann in Polle war. Die Kläger warfen ihm Eigenmächtigkeit und Eigensucht in zahlreichen Fällen vor, aber ohne einen Erfolg zu erzielen. Wrede stand vielmehr bei seinem Fürsten, Herzog Friedrich Ulrich, in besonderer Gunst. 1621 stellte ihm dieser eine Obligation über 2000 Taler gegen Verpfändung Brevördescher Güter aus. Da er die Summe nicht aus eigenen Mitteln aufbringen kann, muß er seine eigenen Güter „verpfänden“. Der Fürst begründete sein Begehren mit der Not des Vaterlandes und mit der „hochwertigen Defension gegen besorgenden feindlichen Einfall in diesen gefehrlichen Zeiten“. Wir müssen bedenken, daß der Dreißigjährige Krieg auch auf unsere Heimat übergegriffen hat.
Vom Unglück verfolgt Inzwischen hatte sich Johann Wrede mit der bereits erwähnten Sabine de Wrede verheiratet. Als Burg und Amt Polle 1623 zum ersten Male in die Gewalt der kaiserlichen Truppen gerieten, wurde dem Ehepaar Wrede eine Tochter – Ilsa Maria – geboren, von der im Folgenden noch die Rede sein wird. Ein Jahr später ist Johann Wrede Amtmann in Grohnde. Aber auch hier verfolgte ihn das Unglück. Durch die Niederlage der Protestanten in der Schlacht bei Lutter am Barenberge und das nachfolgende Restitutionsedikt verlor er sein Amt und kehrte nach Polle zurück. Erst nach dem Siege bei Hessisch Oldendorf (1633) wurden die alten Zustände wiederhergestellt. Aber nur noch wenige Lebensjahre waren Johann Wrede vergönnt. Wie aus einigen Briefen hervorgeht, war er vor 1638 verstorben. In einer Unterschrift steht zu lesen: „...wyeland Johann Wreden, gewesenen Amptmanns zu Grohnde, nachgelassene Wittib, Sabine de Wrede“, und an einer anderen Stelle heißt es: „Im Andenken an ihren gottseeligen Vater, weiland Casper de Wrede, und ihres in Gott ruhenden Ehewirts“. Sabine äußert in diesen Briefen, in denen sie um die Konfirmation ihrer polleschen Güter bittet, die Absicht, sich wiederzuverheiraten. Ihr zweiter Ehemann war der Hauptmann Gabriel Pauli. Das Jahr der Eheschließung ist aus den Akten nicht zu ersehen. Pauli muß sehr vermögend gewesen sein. Er erklärte sich bereit, das Gut zu kaufen, die Schulden aus den Jahren von 1603 bis 1619 zu tilgen, die rückständigen Zinsen zu bezahlen und die „sechs eheleiblichen Kinder des Johann Wrede zu alimentieren“. Seiner bar ausgezahlten 3000 Rthlr. halber will man ihn das Gut überlassen, das inzwischen verpachtet gewesen sein muß. Zum Teil waren die Ländereien infolge der Kriegswirren unbestellt geblieben. 1641 war Polle zum zweiten Male von den Kaiserlichen erobert, die Burg von den Schweden beschossen und die Bevölkerung ausgeplündert worden. In einem zwölfseitigen Kaufvertrag sind die Bedingungen niedergeschrieben, unter denen Gabriel Pauli das Gut übernimmt.
Hofübergabe nach altem Brauch Unter der Leitung des kaiserlichen beauftragten öffentlichen Notars (imper. Autoritate Not. publicus) Gabriel Bickhaber und im Beisein prominenter Zeugen aus Polle fand am 4. September 1643 um 4 Uhr die Hofübergabe an Gabriel Pauli statt. Ort der Handlung war zunächst die „gewöhnliche Stube des sattelfreyen Hofes an der Dehlenseite westwärts“. Nachdem der zukünftige Besitzer den „Kesselhaken überm Feuer vndt einen abgeschnittenen Span von dem Stender der großen Hausthür“ an sich genommen hatte, ging es zum sogenannten Hohen Felde vor dem Dorfe, „dahin wir uns auch alßbaldt insgesamt weiter verfüget, einen auff denen daselbst belegenen, an der Herrenbreden Thal....gegrabenen Erden Klumpen präsentiert und in die Hand genommen mit Vermelden, daß hier im Namen und von wegen ihrer pupillen (gemeint ist das Mündel Ilsa Maria Wrede) wolgemelter Herr Hauptmann durch sothane drey Stücke, nemblich den Keßelhaken, Spon und Erdenklumpen den würklichen posses (Besitz) des sattelfreyen Erbguths, sambt dazugehörigen Hauses und Hofes, Gärten, Wiesen vundt sämptlicher Lenderey, Summa aller Pertinentien übergeben vndt von Stundt an eingereumet haben wollten“. Die im Unglücksjahr 1623 geborene Ilsa Marie Wrede galt wohl als ältestes Kind des Johann Wrede als erbberechtigt; denn von den Geschwistern ist sonderbarerweise nirgends weiter die Rede. Das Poller Kirchenbuch vermeldet unter dem 2.3.1718: „Die alte Landmännin Ilsa Maria Geysen, geb. Wreden still beigesetzt, war alt 95 Jahr“. Welch ein bewegtes Leben hatte diese Frau hinter sich gebracht! Aus anderen Quellen – die Kirchenbücher beginnen erst um 1700 – wissen wir, daß sie vier Ehen schloß. Ihre erste Ehe ging sie mit 35 Jahren (!) 1658 mit dem brandenburgischen Capitain Michael Pauli ein, der vermutlich ein Verwandter des Gabriel Pauli war. In diesem Zusammenhange sei auf eine leider nicht mehr vorhandene Akte des Hauptstaatsarchivs Hannover von 1641 hingewiesen. Ihr Kurzinhalt, der im Findbuch Hann. des. 74/Polle angegeben ist, lautet: „Kriegsverhör gegen den Capitain-Lieutenant Pauli von der Armee des Grafen Tilly wegen eines gegen die schwedische Besatzung zu Pyrmont beabsichtigten, aber mißlungenen nächtlichen Überfalls“. Nachforschungen in Hannover und Stockholm blieben ohne Erfolg. Michael Pauli starb nach nur vierjähriger Ehe 1662. Ilsa Maria heiratete 1664 den Witwer Gert Finke, über den keine weiteren Nachrichten vorliegen, als daß er 1665 im Alter von nur 41 Jahren verstarb. M. Pauli und G. Finke scheinen den Hof nicht bewirtschaftet zu haben; denn noch lebte der Stiefvater Gabriel Pauli. Erst 1669 ist von „Sabine Wreden, Hauptmann Gabriel Paulis nachgelassenen Witwe“ die Rede. Die Ländereien waren von 1665 bis 1671 verpachtet.
Spannungen in der Familie Inzwischen schritt Ilsa Marie zu ihrer dritten Ehe, und zwar 1666 mit dem Rittmeister Bruno Vendt. Zwischen der alten und der jungen Generation kam es indessen zu Spannungen, Drohungen und offenen Feindseligkeiten, wie einem eingehenden Zeugenverhör zu entnehmen ist. Man warf dem alten Gabriel Pauli vor, das Gut der Familie Wrede zu entfremden. In einem freiverfaßten Testament habe er den Hof der Tochter seines Bruders übertragen wollen. Vendt warf man wiederum vor, Pauli durch Schläge gezwungen zu haben, ihm das Gut zu vermachen. Die Fragen um die Zuständigkeit der eigentlichen Erbin Ilsa Maria setzte sich auch nach dem Tode von Pauli und Vendt noch fort. 1671 wurde Bruno Vendt von Herzog Johann Friedrich der Lehnbrief ausgestellt. Schon ein knappes halbes Jahr nach dem Tode des Rittmeisters (1682) erfolgte Ilsa Marias vierte Heirat mit dem viel jüngeren „braunschweigischen Landhauptmann des Hamelschen Quartiers“, Wilm Christian Geysen, der nach 24jähriger Ehe 1707 im Alter von 71 Jahren verstarb.
Verschiedene Besitzer Die Besitzverhältnisse der nachfolgenden Jahre sind recht unklar. In einem Schreiben vom 21.2.1724 weist Wilhelm Hartwig von Campen darauf hin, daß er „das sogenannte Wredische Gut, im Flecken Polla belegen, für einiger Zeit gekauft und baar bezahltet“ habe. Es sei ihm vor einem Jahr, also 1723, „tradiert“. Die Vorbesitzer waren nach seiner Aussage „der seelige Landhauptmann Geiß, dessen Witwe, der seeligen Captain-Lieutenant Abich und deren Pächter. Danach muß Abich der direkte Nachfolger des Geiß gewesen sein. 1719/20 heißt es kurz „Witwe Abichs hat einen Frey-Hoff“ – 1738 bestätigte die Witwe des „weyland Consistorialrats Kotzebue“, daß sie den Hof von dem Oberhauptmann von Campen gekauft habe.
Die Familien von Heimbruch und Reventlow Mit dem Kauf des Rittergutes I durch die adelige Familie von Heimbruch kommt endlich eine Stetigkeit in die Verwaltung und Bewirtschaftung des Hofes. Die Familie von Heimbruch, die urkundlich seit 1163 nachzuweisen ist, hatte im Raum Bremen/Verden mehrere Güter. Nicht immer folgte im Besitz der Sohn auf dem Vater; denn die Familie war im Aussterben begriffen, so daß sich die einzelnen Linien untereinander „aushelfen“ mußten. Johann Friedrich v. H. kaufte Polle I „um 1748“ an. Carl Friedrich August v. H. kinderlos, und Polle fiel an die Varster Linie. Johann Christian v. H. und seine Brüder Carl und Wilhelm wurden 1841 mit Varste und Polle I belehnt. Gottlieb Ernst August v. H. erhielt Polle I 1844. Dieser war königlich hannoverscher Bundestagsabgesandter in Frankfurt a. M., vorher Gesandter bei den kurfürstlichen und großherzoglichen Höfen zu Cassel, Karlsruhe und Darmstadt. Seit 1866 war er „a. D.“ Zusammen mit seinem Bruder Carl Johann Christian v. H. kaufte er 1869 das Behling’sche Rittergut Polle II und bildete das Fideikommiß Varste-Polle. Von 1892 bis zu seinem Tode 1895 verwaltete Carl Johann Christian v. H. der zuvor Oberstleutnant und Flügeladjutant des Königs Georg V. gewesen war, Polle allein. Mit ihm erlosch das uralte Geschlecht, das sich nach St. U. M. in unzähligen Fällen um „Fürst und Vaterland“ wohlverdient gemacht hatte. Durch Testament gingen Polle I u, II über auf den ältesten Sohn seiner noch lebenden Schwester, die seit 1844 mit Eduard Wilhelm Graf von Reventlow zu Pederstrup auf Laaland vermählt war. Besitzer im Jahre 1912 war der Majoratsherr Graf Christian Benedictus Johann Ludwig Conrad Ferdinand Reventlow, königlich dänischer Hofjägermeister und Ritter des Danebrog-Ordens.
Die Größe der Ländereien Über die Größe der beiden „gutsherrenfreien Höfe“ wird in einem Verzeichnis von 1818/20 gesagt, daß das Gut I mit rd. 230 Mg. Acker und 32 Mg. Wiese für zwei Vollmeierhöfe zu rechnen sei, das Gut II mit rd. 100 Mg. Acker und 15 Mg. Wiese dagegen nur für einen Vollmeierhof. Die Schäferei-Gerechtigkeit besaßen die Höfe für 300 bzw. 200 Schafe. 1912 lautet die Zahl für I uns II insgesamt 195 ha einschließlich aller Äcker, Gärten, Wiesen, Hute und Forsten. Über die Lage der von Heimbruch’schen Wohn-und Wirtschaftsgebäude gibt die „Chronik des Fleckens Polle“ (Zusammengestellt und Zeichnungen von Lehrer Hans Prigge †, Polle/Herausgeber: Frau Lotte Prigge), Auskunft. Sie lagen an der Burgstraße. Auf S. 73 der Chronik heißt es: „Die Gebäude wurden Mitte der 1860er Jahre abgerissen und das Gelände dann ab 1869, in welchem Jahre die Kantorschule errichtet wurde, zu Wohnhausneubauten aufgeteilt.“
Gut Sonnenberg seit 1930 Neue Wohn- und Wirtschaftsgebäude entstanden um 1930 auf dem Hebenberge unter der Bezeichnung „Gut Sonnenberg“. Bauherrin war eine Gräfin Reventlow. Die Reventlows blieben Besitzer bis 1940; dann ging der Besitz abermals durch verschiedene Hände. Auf den Hamburger Kaufmann Haselhorst folgte der Unternehmer Schmitz-Porten aus dem Rheinland, und der heutige Besitzer ist Thomas Bender. Zum Schluß sei darauf hingewiesen, daß mit dem Gut Polle I die Weißenfelder Mühle und ein dazugehöriges Vorwerk verbunden waren, die im Laufe des 17. Jahrhunderts auf der eingangs erwähnten Waldrodung nahe der lippischen Grenze entstanden. Veröffentlicht: DWZ 15.07.1978
Autor: Friedrich Wittkopp |
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