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Fehden verheerten unsere Dörfer
Erbfolgekriege waren eine entsetzliche Last für die Menschen - Politische Erfolge kosteten Blut und Gut
Polle / Grave / Ottenstein. Fehden waren die Klein- und Kleinstkriege des Mittelalters. Sie waren nicht, wie etwa die Bauernunruhen, an bestimmte Reichsgebiete gebunden; auch waren sie nicht auf bestimmte Zeiträume, wie „die kaiserlose, die schreckliche Zeit“, beschränkt. Schiller hat nicht recht, wenn er in seinem Gedicht „Der Graf von Habsburg“ meint: „Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer, nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr, des Mächtigen Beute zu werden“. Zwar zerstörte Rudolf von Habsburg allein in Thüringen gegen 60 Raubburgen und verurteilte in Erfurt 29 Mordgesellen zum Tode, aber den Blutigen Fehden vermochte er dadurch dennoch kein Ende zu setzen. Daran änderte auch die mehrfach verkündeten „Landfriedensordnungen“ oder der sogenannte „Ewige Landfrieden“ nichts. Je mehr die ritterlichen Ideale des höheren und niederen Adels in Verfall gerieten, desto mehr hatten Bürger und Bauern unter der Geißel der Fehden zu seufzen. Bei der unheilvollen Kleinstaaterei und dem Fehlen einer starken Zentralgewalt mehrten sich Unsicherheit und Unfrieden.
Anfangs waren die Fehden ein rechtlich zulässiges Mittel zur Schlichtung von Streitigkeiten gewesen. Wer den Gegner zum Kampf herausfordern oder ihm den Beginn der Feindseligkeiten ankündigen wollte, der warf ihm den „Fehdehandschuh“ vor die Füße oder sandte ihm einen „Fehdebrief“. Der Unterlegene mußte nach dem Streit „Urfehde“ schwören, also Frieden geloben. Das Muster eines Fehdebriefes überliefert uns das Hannoversche Magazin (1843). Cord Rebok und Heinrich von der Lippe waren seine Verfasser. (Die Familie Rebock oder Rebok war im 15. und 16. Jahrhundert in und um Polle begütert). Er lautet: „Wettet alle papen to Gandersem (alle Pfaffen zu Gandersheim) und en ylik (ein jeglicher) besunnern, dat ek, Cord Rebok, un ek, Hinrich van der Lyppe, wyll in vynt sin (in Feindschaft sein) umme wyllen eyrluchtigen (der erlauchten) hochgeboren Forstsynne Soffygen (Sophie), Hertogynne to Brunswyk un Ebdisse (Aebtissin) des Stychtes (Stiftes) to Gandersem, weret nu, dat wy up iu (euch) fechten un iu edder (oder) den iuwen (den Euren) ghengen (gängigen, gebräuchlichen) schaden deden, wo de schade were, worde edder taukemen nichts utbesceden (nichts ausgenommen). Des wolle wy mit unsen hylpern (Helfern), knechten unde medekomene (Mitkommer, Teilnehmer) al unse Eyre (Ehre) an iu den iuwen vorwart hebben („seine Ehre gegen jemand verwahren“ war eine feststehende Redewendung bei Fehdeerklärungen), un wylt dar vor der nemede (vor dem Eidgericht) to antworen. Ghege inghesegele (Insiegel, des ek, Hynrik, mede bruke“. – Der Grund zu der Fehde ist in diesem Briefe leider nicht angegeben.
Zu den verheerendsten Fehden Niedersachsens gehören der „Lüneburger Erbfolgekrieg“ (1369 bis 1388), die „Sächsische Fehde“ (1514 bis 1518) und die „Hildesheimer Stiftsfehde“ (1519 bis 1521). Zahlreiche Städte und Dörfer wurden verwüstet, ausgeplündert, niedergebrannt oder gar dem Erdboden gleichgemacht, so daß sie von ihren Bewohnern für immer verlassen und wüst wurden.
Zu den Fehden, die unsere engere Heimat stark in Mitleidenschaft zogen, zählen der „Eversteiner Erbfolgekrieg“, auch „Lippische Fehde“ genannt, (1404 bis 1409), die „Soester Fehde“ (1444 bis 1449) und die „Spiegelberger Fehde“ (1433 bis 1434)
Ueber den Eversteiner Erbfolgekrieg ist Täglichen Anzeiger Holzminden in einem anderen Zusammenhange (siehe „Die letzte Eversteinerin“) berichtet worden. Hier kommt es weniger auf die politischen Hintergründe und Ziele an als auf die Folgen für die Bevölkerung. Nach der Eroberung der Poller Burg drang das Belagerungsheer sengend und plündernd in das lippische Land ein. Das Kloster Falkenhagen wurde in Brand gesetzt und Rischenau völlig zerstört. Aeltere Chronisten schreiben: „He brende reyn aff, dat do was“ oder „He verwustede dat Land to der Lippe sere mit rove und brande“. Gemeint ist Herzog Heinrich von Braunschweig-Lüneburg. Ueber die entstandenen Schäden besitzt das Staatsarchiv Detmold ein engbeschriebenes Verzeichnis von acht Folioseiten. Leute, bei denen man bares Geld vermutete, nahm man gefangen und forderte von ihnen ein Lösegeld, „Schattinge“ (Schatzung) genannt, das nach der veranschlagten Leistungsfähigkeit zwischen drei und zwanzig Gulden gestaffelt war. Bauern, die man schon eingekerkert hatte, mußten für die Lösung „aus dem Stocke“ ein „Stockgeld“ zahlen. Viele Pferde, Kühe „in unglaublicher Menge“, Schweine, Schafe und Ziegen wurden weggeführt; Wagen, Betten, Kessel, Gropen, Waffen und Lebensmittel wurden geraubt. Die Kornfelder wurden zerstampft. Selbst in den Gotteshäusern und auf den Kirchhöfen waren die Menschen nicht sicher.
Der „Soester Fehde“ liegt ein Streit zwischen der Stadt Soest und dem Erzbischof Dietrich von Köln zugrunde. Jede Partei vermochte zahlreiche Fürsten, Grafen, Edelherren und Bischöfe auf ihre Seite zu ziehen. Soest sagte sich von Köln los und huldigte dem Herzog von Cleve. Mit diesem schloß Bernhard zur Lippe 1445 einen Vertrag, um das verpfändete Lippstadt zurückzugewinnen. Das war ein verhängnisvoller Schritt, da er dadurch sein Herrschaftsgebiet in die politischen und kriegerischen Verwicklungen zwischen Köln und Soest hineinzog. Durch das Bündnis des Kölner Erzbischof mit Herzog Wilhelm von Sachsen nahte das Verderben. Dieser Fürst hatte gerade einen Streit mit seinem Bruder Friedrich beendet. Mit dem ihm zur Verfügung stehenden Söldnerheer rückte er im Juni 1447 über Einbeck gegen die Weser vor, die er bei Höxter überschritt. Die Stärke der Truppen, in der Urkunde „Trabanten, Dravanten oder Dryvanten“ (das sind Fußsoldaten, Fußschützen) genannt, betrug 20 000 Böhmen.Von ihnen waren 8000 Hussiten, auch als „Ketter oder Ketzer“ bezeichnet. Dazu kamen 20 000 Meißner, Thüringer und Hessen. Bei Höxter vereinigten sie sich mit 20 000 kölnischen Söldnern. Der gewaltige Haufen drang über Falkenhagen, Elbrinxen und Schieder gegen Blomberg vor, das „binnen twen Uren“(binnen zwei Stunden) erobert wurde. Bernhard, der im Cleveschen Lager bei Werl weilte, wurde zwar gewarnt und über die Absicht der Feinde unterrichtet, kam aber für die Rettung Blombergs zu spät.
Er soll durch das eine Tor in die Stadt hineingeritten sein, während die Gegner bereits in das andere Tor drangen. Mit knapper Not entging er der Gefangennahme. Er floh mit einigen Getreuen über Lügde nach Hameln und von dort weserabwärts zu seinem Schwiegervater, dem Grafen Otto von Schaumburg, mit dessen Tochter Anna er verlobt war. Um nicht erkannt zu werden soll er sich auf dem Schiff in einem Fasse versteckt gehalten haben. Von Blomberg wandten sie die Böhmen gegen Lemgo. Durch die Zahlung einer Geldbuße von 26 000 Gulden konnte der Bürgermeister Ludolf Crusius, ein Studiengenosse Dietrichs von Köln, eine Plünderung der Stadt verhindern.
Wie es heißt, verloren die Lemgoer, die den Ort bereits fluchtartig verlassen hatten, durch die „Ausflucht“ mehr als „von dem rechten Dinktale“. Das „Dinktal, Dingetal, Dingede oder Dingenisse“ bezeichnete damals die ausgedungene Summe zum Schutz gegen eine Plünderung. Von der Möglichkeit eines Dinktals machten auch andere Orte Gebrauch. Von Horn wird gesagt: „Die von Horn dingen mit schwerer Arbeit des Burgemeisters Cord Hardessen und seiner Gesellen auf 3000 Gulden und werden durch Gunst ihrer guten Freunde mit der Huldigung verschont“. Zu diesen Betrage mußten sie sich 900 Gulden auf Zinsen leihen. Herford kaufte sich gegen 16 000 Gulden frei. Detmold und Salzuflen wurden geplündert und in Brand gesteckt. Paderborn behandelte man glimpflich, da der Kölner Erzbischof Administrator des Paderborner Bistums war. Nach wochenlanger Belagerung Lippstadts und Soests traten die Böhmen den Rückzug an. Diesmal überquerten sie die Weser bei Beverungen. Über das Werk der Vernichtung schrieben die Chronisten: „Das Heer beweist sich so unmenschlich durch Zerstörung von Kirchen, Kelchen und des heiligen Sacraments, daß alles Land sich davor fürchtet“. Soest huldigte in der Folge dem Herzog von Cleve und nicht dem Erzbischofe von Köln. - Was aber dieser politische Erfolg gegen die unermeßlichen Opfer an Gut und Blut!
Die Grafen von Spiegelberg führten mancherlei Fehden. So gab es bereits 1226 eine Fehde zwischen Bernhard von Spiegelberg und Bodo von Homburg, die von Kaiser Friedrich II. beigelegt werden mußte. In der „Spiegelberger Fehde“ der Jahre 1433/34 kämpften die Vettern Herzog Wilhelm der Aeltere und Herzog Otto von der Heide, der Gemahl Elisabeths von Everstein gegen den Grafen von Moritz von Spiegelberg. Sie belagerten und eroberten das Schloß Hachmühlen. Auch die Stadt Wallensen wurde zerstört, ebenso die Spiegelberger Dörfer Koppenbrüggge, Hasperde, Hohensen, Herkensen, Brullsen, Bäntorf, Brunstorpe, Brünnighausen und Wyhoppe. Von 1494 bis 1525 führten die Spiegelberger Grafen Moritz und Friedrich einen langwierigen Kampf um den Besitz der Grafschaft Pyrmont, auf die sie aus verwandtschaftlichen Gründen Anspruch gegen die Edelherren von Lippe erhoben. Während diese von Paderborn unterstützt wurden, standen auf der Seite der Spiegelberger die Herzöge Erich I. von Kalenberg und dessen Bruder Heinrich der Ältere von Braunschweig-
Wolfenbüttel. Blutige Zusammenstöße bei Lemgo und Groß-Berkel brachten noch keine Entscheidung. Erst der Vertrag von Höxter (1525) sicherte den Spiegelbergern den Sieg. Sie durften sich Grafen von Spiegelberg-Pyrmont nennen.
Daß es auch außerhalb der eigentlichen Fehden zu allerlei Mordtaten und Räubereien kam, beweist die Zerstörung des Dorfes G r a v e. Der Vogt zu Ottenstein, zu dessen Amtsbezirk Grave gehörte, führten einem Beschwerdebrief vom 21. August 1480 gegen Bernhard zur Lippe Klage gegen Wulbrand Bock von Nordholz, daß er am letzten Donnerstage nachts das Dorf „ohne Ursache, Fehde und Verwahrung“ überfallen habe. Die „karken vnde dat gantze Dorpp“ wurde „vdgebrant“. „Perde, koyhe vnde swyne“ wurden weggeführt, zwei Männer wurden erschlagen und drei andere gefangen genommen. Der gesamte Schaden wurde auf 1000 Fl. geschätzt.
Wulbrand Bock hatte den Ottensteinern gedroht, ihnen das gleiche Schicksal zu bereiten. Ihr Amtmann Vürberg bat Bernhard zur Lippe „flehentlich, ihnen zu ihrer Rechte zu verhelfen und die Herausgabe des gefangenen Viehes und der Plünderware zu bewirken, da ihr Herr von Pyrmont (Graf Moriz) sie ihm anbefohlen habe“. So heißt es in den Lippischen Regesten. – Das Amt Ottenstein war von 1393 bis 1516 Pfandbesitz der Pyrmonter Grafen. – Eine Begründung für den Überfall ist aus der dem Verfasse vorliegenden Photokopie der Urkunde nicht zu ersehen.
Nach einer weiteren Urkunde von 1521 drohte Veit Derendal den Junkern von der Lippe dafür Vergeltung an, daß ihm seine Feinde sein väterliches Erbteil entrissen hätten. Da sie von den Lippern Edelherren beschützt würden, habe er Bösingfeld verheert und verbrannt und werde ihnen auch noch weiteren Schaden mit Rauben und Brennen zufügen. Bei Veit Derendal handelte es sich um den Anführer einer Bande, die die Bevölkerung durch zahlreiche Mordtaten und Räubereien in Schrecken versetzte. – Wann konnten die Menschen auch mit Bezug auf die äußere Sicherheit mit Nikolaus Decius singen: „Nun ist groß Fried ohn Unterlaß, all Fehd hat nun ein Ende“
Autor: Friedrich Wittkopp
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