Einleitung.
Von Land und Leuten
Die Abgrenzung des Gebietes, dessen historische Geographie in der vorliegenden Arbeit untersucht werden soll, ist bestimmt durch den Umfang der mehr oder weniger selbständigen Territorien, die sich im späteren Mittelalter darin teilten. Es sind die Grafschaften Everstein und Spiegelberg, die Herrschaft Homburg, die Stadt Hameln und die angrenzende „Goe auf der Hamel“.
Eine geographische Einheit stellen diese Gebiete im Kern der „Weserfestung“ (A. von Hofmann) nicht dar. Im Osten bildet der Lauf der Leine von der Einmündung der Ilme bis zu der Saale, im Süden der Sollinger Wald nebst Elfas und Hube eine gewisse natürliche Begrenzung; nach Westen jedoch greift unser Gebiet über die Weser hin auf den Rand der westfälischen Hochfläche über, und auch im Norden ist kein größerer natürlicher Abschluss vorhanden.
Die im Allgemeinen von Südosten nach Nordwesten streichenden Bergketten geben dem Gebiet seine morphologische Grundgestalt; die streckenweise, namentlich in dem mauerartig aufsteigenden Gebirgszuge des Iths sehr scharf ausgeprägte Wasserscheide zwischen Weser und Leine rechtfertigt eine Teilung in eine Weser- und Leineseite. Natürliche Übergänge von der einen zur anderen, wie zwischen Süntel-, Deister- und Osterwald, Ith und Osterwald im Norden, zwischen Elfas und Hils, Burgberg und Solling im Süden haben als Durchgänge westöstlicher Verkehrslinien eine gewisse geschichtliche Bedeutung gewonnen. Im Übrigen ist die Richtung der H a u p t v e r k e h r s s t r a ß e n durch den südnördlichen Lauf der beiden wichtigsten Flüsse – Weser und Leine – und der ihnen zustrebenden Seitentäler gegeben.
Die Bevölkerung dieses Gebietes gehört in seiner ganzen Ausdehnung dem niederdeutschen Sprachstamm an; stellenweise sind noch Reste der linksrheinischen Zuwanderung aus dem 12. und 13. Jahrhundert in den Eigennamen erkennbar. Als kennzeichnende Siedlungsform darf das Haufendorf gelten; nur ganz vereinzelt haben sich Überbleibsel der Hagenkolonisation in Waldhufendörfern erhalten. Die äußerste Nordwestecke des Arbeitsgebietes reicht mit dem nördlichen Teil des alten Amtes Ärzen in das anstoßende Gebiet lippisch-westfälischer Einzelhofsiedlung hinein. Eine Prüfung der Orte auf ihr Alter liefert an Hand der Urkunden und Namensformen das Ergebnis, dass die meisten Siedlungen bis in oder doch nahe an die sächsische Zeit zurückreichen. Im Spätmittelalter sind lediglich eine Anzahl Hagenkolonien und Rodedörfer, in der Neuzeit einige industrielle Ansiedlungen hinzugekommen.
Politisch gehört die Hauptmasse des Gebietes heute dem Kreis Hameln der Provinz Hannover und dem Kreis Holzminden des früheren Herzogstums Braunschweig an. Diese moderne Kreiseinteilung stellt eine Zerstörung der ursprünglichen Verwaltungsbezirke, der Ämter, dar, die in ihrer Größe und Lagerung die Abgrenzung der alten Territorien zum teil mit großer Treue bewahrt hatten und die als die eigentlichen Einheiten der historischen Geographie unseres Gebietes gelten müssen. Ihre räumliche Ausbildung lässt sich bis in die selbständigen Territorien des Mittelalters zurückverfolgen und ist im 16. Jahrhundert in der Hauptsache abgeschlossen. Dieser Prozess bildet einen Hauptgegenstand unserer Untersuchung. Davor und daneben hat diese die Entstehung der spätmittelalterlichen Territorien aus der ursprünglichen Gauverfassung und ihr Aufgehen in das welfische Landesfürstentum zu verfolgen.
Studien u. Vorarbeiten z. Atlas. 7.
1. Kapitel
Die älteste Zeit.
Gaue und Diözesen.
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Die älteste uns erkennbare Einteilung des Gebietes, mit dem sich die vorliegende Arbeit beschäftigt, ist die in Gaue. Bis weit in die sächsische Zeit zurückreichend, tritt sie in den Jahrhunderten von der fränkischen Eroberung bis gegen das Jahr 1100 am deutlichsten ausgeprägt in die Erscheinung, wird dann durch die Entstehung von Territorien im Sinne der späteren Landesherrschaft durchbrochen und verliert gegen das Jahr 1200 ihre Bedeutung. Wieweit die alten Gaue als Grundlagen der späteren Territorien und Gerichtsbezirke in Betracht kommen, wird im jeden Falle für sich zu untersuchen sein.
Die Feststellung der Gaugrenzen bildet eine der schwierigsten, aber dankbarsten und aussichtsreichsten Aufgaben der historischen Geographie; eine unbedingte Voraussetzung für ihre Lösung ist eine möglichst weitgehende Klarstellung des Begriffs „Gau“, über den die Ansichte der Forschung noch immer weit auseinander gehen. Im Allgemeinen wird man sich auch für unser Gebiet an R. Werneburg1) anschließen und daran festhalten können, dass der Begriff Gau nicht nur einen dinglichen, sondern auch räumlichen Inhalt hat. Die historische Geographie hat mit den Gauen als geographischen Gebilden zu rechnen und nach Möglichkeit ihren Umfang zu bestimmen. Hierfür ist es allerdings wichtig zu wissen, ob der Gau bezw. Die Go in unserem Gebiete überhaupt ein durch feste Grenzen flächenhaft abgeschlossenes Gebilde gewesen ist. Ein Teil der Forscher hat geglaubt, diese Frage bejahen und mangels genauer Grenzbeschreibungen der einzelnen Gaue ihren Umfang durch die Grenzen aus späterer Zeit erschließen zu können, in denen die „uralten“ Gaugrenzen fortleben sollen. Hierfür boten sich vor allem die Grenzen der kirchlichen Einteilung im Hoch- und Spätmittelalter dar; es lag nahe, die Gaue mit den Diözesen und ihren Unterabteilungen, den Archiediakonaten, in Beziehung zu setzen, da für sie am frühesten mit der Ausbildung und Überlieferung fester Grenzen gerechnet werden kann. Insbesondere hat Böttger in seinem großen Werk „Die Diözesen- und Gaugrenzen Norddeutschlands“2) versucht, gestützt auf eine ungeheure Fülle von Material den Zusammenfall der Kirchen- und Gaugrenzen nicht eigentlich zu erweisen, sondern einer Darstellung der Gaueinteilung zugrunde zu legen. Sein in mancher Beziehung gewaltsames Verfahren ist von der späteren Forschung durchweg abgelehnt worden; insbesondere leidet es darunter, dass für viele deutsche Diözesen überhaupt keine festen Grenzbeschreibungen aus alter Zeit erhalten sind und Archiediakonatsverzeichnisse erst aus sehr späten Jahrhunderten vorliegen; so muss Böttger z. B. in unserem Arbeitsgebiet für die Archiediakonate des Bistums Minden ein höchst fragwürdiges Synodalverzeichnis von 1632 zugrunde legen! Aber man wird bei vorurteilsfreier Betrachtung der Dinge nicht umhin können zuzugestehen, dass bei der Abgrenzung der Diözesen in frühester Zeit, und besonders im Kolonisations- und Missionsgebiete, doch irgendwie auf die damals geläufige Gauverfassung Bezug genommen ist. Für unser Gebiet kann man einen greifbaren Beweis für diese nahe liegende Annahme in der Bestimmung erblicken, dass die Grenze der Diözese Minden und Hildesheim sich an die der Engern und Ostfalen anlehnen solle3). Hiernach wird man ohne weiteres voraussetzen können, dass die glücklicherweise in zwei Fassungen erhaltene Diözesanbeschreibung des alten ostfälischen Bistums Hildesheim in der Tat für die Bestimmung der Gaugrenzen verwertet werden kann, sobald es gelingt, das, was wir sonst über den Umfang der beteiligten Gaue wissen, mit dem Zuge der Diözesangrenzen in Einklang zu bringen. Dies hat Böttger natürlich im Sinne seiner Hypothese schon versucht. Seine Feststellungen sind dann wieder
1) Gau, Grafschaft und Herrschaft in Sachsen bis zum Übergange in das Landesfürstentum. (.= Forschungen z. Gesch. Nds. III, 1.) Hannover 1910 2) Halle 1875. 3) UB. Ho. Hildesheim I, 35. von Otto Curs in seiner Arbeit „Die Gaue Deutschlands ums Jahr 1000“4) erschüttert worden, indem dieser eine Anzahl von Orten ostfälischer Grenzgaue außerhalb der Hildesheimer Diözese lokalisierte. Die vorliegende Arbeit kann hierin Curs nicht folgen und macht den Versuch, die fraglichen Ortsangaben innerhalb der Diözese festzulegen. Eine Hauptaufgabe aller Gauforschung, die Deutung der alten Ortsbezeichnungen, wird ja allerdings in vielen Fällen nie ganz vollkommen gelöst werden. Mustern wir die Gaue, die an unserem Gebiet beteiligt sind5). Im Wesertal finden wir den großen Gau T h i l i t h i , für den folgende Orte belegt sind:
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Othere = Ohr
Tundirium = Tündern
Barigi = Börry
Ilisun = Ellensen oder Eilensen (nach Curs), wahrscheinlich ein Ort
*Ilse am Ilsebach nahe Börry (s. Wüst.-Verz.)
Drespun = Daspe Heigen = Heyen
Keminate = Kemnade Hogen = Hajen
Heli (Ha. U. B. I, 2: in pago Tigilde) = Hehlen
Valabroh = Vahlbruch Hainanhusen = Heinsen
Nicht geklärt:
Liudighusen (nach Curs = Lüerdissen, dies stets Luderze, nach Böttger =
Linse, dies schon 1033 Linsa)
Winethun (nach Curs = Wenzen, dies sonst Winethuson; nach Böttger wüst
Bei Heinsen („Wiental“)?
Nach Curs sind auch die sehr entlegenen Orte:
Oldenthorp = Markoldendorf (wenn nicht Hess. Oldendorf?)
Daschalon = Dassel
Regilindehusen = Relliehusen
Dem Thilithi zuzurechnen. Hält man daran fest, so bleibt nichts anderes übrig, als den südlich, ebenfalls noch im Wesertal, anschließenden A u g a als eine Art von Untergau des Thilithi aufzufassen, da die für ihn bezeugten Orte:
Vorstan = Forst Corvey
*Windelmuderode = Wilmerode Altendorp = Altendorf
Hummeressun = Hummersen (b. Holzminden?)
Den räumlichen Zusammenhang des Thilithi zum Teil stören würden. In diesem Falle müsste allerdings die Theorie Böttgers völlig aufgegeben werden, da die Orte des Auga sämtlich zum Bistum Paderborn, Dassel und Markoldendorf zur Diözese Mainz und der ganze übrige Thilithi zum mindener Sprengel zählten. Wie so oft, wird man auch hier daran denken, dass die drei kritischen Orte nur durch ein Kanzleiversehen unter die Orte des Thilithi versetzt wurden.
Gegen Norden von dem großen Marstemgau begrenzt gehört die Osthälfte unseres Gebietes Gauen an, die teilweise weit über die Leine hinübergreifen und von denen der F l e n i t h i die neben ihm genannten so auffällig überdeckt und überschneidet, dass man sich auch hier nicht anders wird helfen können als ihn für eine den Kleingauen übergeordnete höhere Territorialeinheit zu halte. In unserem Arbeitsgebiete werden für den Flenithigau genannt:
Asbize = Esbeck (Amt Lauenstein)? Tiuguste = Thüste (?)
Aluzun = ? (nicht, wie bei Curs, = Elze; dies Alicga, Eletse)
Reinlevessem = wüst bei Sehlde; A. Lauenstein
4) Gött. Diss. Phil. 1908
5) Die urkundlichen Belege bringt am vollständigsten Böttger a. a. O. (Curs berücksichtigt nur die Königsurkunden.)
Hozingissen = Hönze b. Gronau (Böttger)
= Hohnsen (Curs)
= wahrscheinlich *Hossingessen, wüst bei Hemmendorf
Halacboldessun = Halbe (Curs)
= *Harboldessen, wüst n.ö. Eldagsen
Thiederessen = Dietersen (Curs)
= *wüst zw. Eldagsen und Alvesrode, vgl. Calb. UB.
VIII, 116 A.
Die Deutungen, die Curs den drei letzt genannten Ortsnamen gegeben hat, führen zu einer völlig unmöglichen Verlagerung der Gaugrenze nach Westen. Sie sind schon deshalb unannehmbar, weil sie ohne ausreichende Kenntnis der ausgegangenen Ortschaften lediglich an Hand moderner Karten aufgesucht sind; nur so erklärt es sich, dass für das in der urkundlichen Überlieferung als Halcboldessun, Harboldessen u.ä. fortlebende alte Hlacboldessun das erst im 19. Jahrhundert auftauchende „Halbe“ eingeführt werden konnte.
Nun ergibt sich indessen, wie gesagt, dass andere Urkunden im Bereiche der dem Flenithi zuzuweisenden Orte noch weitere Gaue kleineren Umfangs erscheinen lassen, die ebenfalls über die Leine hinübergreifen. Es sind:
1. Der Guddingo mit:
Midele = Mehle
*Verdebechtissem = wüst bei Mehle
*Bosenhusen = wüst bei Mehle
*Osithe, Oesede = wüst bei Mehle
Amplidi = Empna (?) heute Gronau
*Ledi = *Lede, wüst gegenüber Gronau
Hemmenthorp = Hemmendorf
*Sualenhusen = wüst bei Salzhemmendorf
*Guddingen „wohl am Kreyenholze zwischen Elze und Eime“, UB. Ho
Hildesheim I S. 753. Hier befand sich ein „Königstuhl“, wo
noch 1599 ein Landtag gehalten wurde – vielleicht an der
alten Dingstätte.
Nach UB. Ho Hildesheim I, 111 ist wohl auch Walenhusen = Wallensen zum Guddingo zu ziehen, während die gleiche Urkunde den Ort Alicga = Elze
2. dem Gau V a l o t h u n g o und Fredenon = Freden dem
3. Gau A r i n g o zuweist.1) Dieser letztere Gau scheint sich von Bruggihem = Brüggen über Freden und Föhrste (Vuorsete) nach Gerzen, das durch die Trad. Corbeienses 2) für ihn belegt ist, und bis zur Eringaburg der Hildesheimer Grenzbeschreibung erstreckt zu haben, die ich in der „Ammenser Burg“ auf dem Hilse wieder zu erkennen glaube 3).
1) Die Urkunde Heinrichs IV. von 1068 spricht von einer Grafschaft in pagis Valedungon, Aringe, Guttingon. et in his publicis ecclesiarum parochiis Aliga Redun, Fredenon, Walenhuson. Da Rheden anderweitig (UB. Ho Hildesheim I, 69) für den Aringo belegt ist, ergibt sich die obige Verteilung.
2) ed. P. Wigand § 439: Gerdegheshusi quod est in Aringomarcun.
3) Die nicht im „Atlas vorgeschichtlicher Befestigungen“ aufgenommene Burg ist ihrerAnlage nach unzweifelhaft eine altsächsische Volksburg. Sie befindet sich auf einem Ausläufer des Hilskamms bei der Höhe 4003, nahe der Wispequelle und besteht aus einem gut profilierten Wallgraben von etwa 300 m Länge, der sich in weit ausholendem Bogen vor die Angriffsseite legt.
Südlich an den Aringo schließt sich dann an der Ilme und Leine der Gau S u i l b e r i an, dessen Dingstätte (mallus) auf dem Sülberge bei Sülbeck zu suchen ist. Ihm sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Kleingaue Wenzen- und Grenigau zuzurechnen, die den südöstlichen Teil unseres Gebietes einnahmen.
Eine eigentümliche Rolle spielt schließlich noch der Gau W i k a n a v e l d e, für den nur der nicht weiter Bekannte Ort Rothe (nach Rustenbach bei Holzen ‚am Rothenstein’) belegt ist. Unzweifelhaft gehört jedoch das castellum Wikinaveldisten der Hildesheimer Diözesangrenze hierher, das wohl der späteren Homburg vorausging und Rustenbach 1) dazu geführt hat, in sehr ansprechender Weise den kleinen Wikanaveldegau mit dem eigentümlichen Vorsprung der Diözese Hildesheim in den Raum zwischen Vogler und Ith zur Deckung zu bringen.
Die Ungunst der Überlieferung gestattet es uns nicht, diese alten Gaue im Umfang unseres Gebietes mit dem Goen des Hoch- und Spätmittelalters in unmittelbare Beziehung zu setzen. Für keinen einzigen der alten Gaue ist im Bereiche unserer Forschungen eine Hauptmalstätte mit genügender Sicherheit bezeugt, und der Umfang der späteren Goen ist nirgends, soweit er uns überhaupt bekannt ist, mit den Gauen der alten Zeiten irgendwie in Einklang zu bringen. Dass, wie im folgenden zu erweisen ist, vielleicht einige Orte unseres Gebietes, z. B. Lauenstein, Stadtoldendorf, Dietersen u. a. als Sitze von Grafengerichten erschlossen werden können, hilft uns für die historische Geographie wenig weiter, da die Grafschaft als solche ein durchaus dinglich-persönlicher, nicht räumlicher Verband war und sich, wie viele Beispiele auch in unserem Gebiete beweisen, über eine ganze Reihe von alten Gauen erstrecken konnte. Für viele Orte, die später der Ort eines Gogerichts waren, wie Eldagsen, Hilligsfeld, der Eichberg zwischen Brockensen und Heyen, der Möhlenbrink zwischen Wallensen und Ockensen, Gronau, Stroit, Lüethorst u. a. ist nicht einmal die alte Gauzugehörigkeit nachzuweisen; in anderen Fällen hilft es uns wenig, wenn wir z. B. wissen, dass Hemmendorf zum Guddingo zählte, während dem dortigen Gogerichte Orte aus allen möglichen Nachbargauen zugehörten. Im großen und ganzen gewinnt man aus der Sachlage den Eindruck, dass in unserem Gebiete die Goen der späteren Zeit vielleicht aus den alten Gauen (pagi) entstanden, aber in ihrer Größe und Lagerung unter dem Zwang der sich bildenden Territorien die stärksten Veränderungen gegen die alten pagi erfahren haben.
Vier Diözesen sind an der kirchlichen Hoheit über diese Gaue beteiligt: Mainz im Südosten, Paderborn im Südwesten, Minden im Nordwesten und Hildesheim im Nordosten unseres Gebietes, in dessen natürlichen Mittelpunkt sich die vier Sprengel berührten. Nur für das Bistum Hildesheim ist uns eine lineare Diözesangrenze aus ganz früher Zeit bezeugt. Sie gehört noch dem 10. Jahrhundert an und nimmt folgenden Verlauf 2): vom Harze kommend
1) Der Gau Wikanavelde. ZHVNds. 1900 S. 207 ff.
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2) Die längere Fassung (UB. Ho Hildesheim I. 40) hat im fraglichen Abschnitt folgenden Wortlaut: inde Lainam flumen et sic per Laginam usque in illum rivum, qui interalluit Edinggahusun et Erdisteshusun, et per rubram Leke in montem Salteri. De Salteri usque Eringaburg, inde Hilisesgrove et sic in Bocle. Inde vero in Merkbiki et sic per illud castellum quod dictur Wikinaveldisten. Et sic in Radniki .in Vorstan usque per Bunikanroth et sic ad Holanberg. sic vero super montem Fugleri usque Wabiki. inde in Hluniam usque Burgripi, inde in summitatem montis Igath et sic usque ad Cobbanbrug. a loco Cobbanbrug dicto in illo torrente usque in orientem Cuksburg, inde in Crumbiki usque Bludan. inde Sidenum, sicut torrens defluit, via una dividit, usque Helereispring, inde Helere fluvius nomine Lagine n der Deutung der Ortsangaben folge ich Bennigsen, die Diözangrenzen des Bistums Hildesheim, ZHVNds. 1863 S. 42 unter Berücksichtigung der Verbesserungen durch Krusch, ZHVNds. 1897 S. 245 ff. und Rustenbach, ebenda 1900 S. 207 ff. und 1903 S. 557 ff. Beachtlich ist, dass sich die Diözesangrenze an 3 Stellen an alte Befestigungen anlehnt (Eringaburg, Wikinaveldisten, Cukesburg).
überschreitet sie die Leine bei Greene, strebt dann über den Selter der „Eringaburg“ auf dem Hilse zu, umfasst, über die Lenne bis zum Forstbach vorspringend, einen großen Teil des Raumes zwischen Hils und Vogler, folgt dann dem Ith, setzt sich über die Burg auf dem Nesselberge (Kukusburg) nach Norden fort, biegt bei Springe nach Osten um und kehrt mit der Haller zur Leine zurück. Noch über die Grenzen dieses Gebietes hinaus erstreckte der Wildbann, den im Jahre 1062 König Heinrich IV. der Hildesheimer Kirche links der Leine verlieh 1): anderseits liefert die Umgrenzung des Paderborner Wildbanns im Vogler 2) vom Jahre 1033 auf dem in Betracht kommenden Abschnitt eine vorzügliche Deckung für den Hildesheimer Grenzzug.
Damit wird das gesamte Gebiet, in dem nach unserer Auffassung Orte der Gaue Flenithi, Valothungo, Guddingo, Aringo, Wikanavelde auftreten, der Diözese des ostfälischen Bistums Hildesheim zugewiesen. Der merkwürdige Vorsprung der sonst ziemlich gradlinigen Grenze in den Ausraum zwischen Vogler, Solling und Ith ist schon oben durch die Lagerung des kleinen Wikanaveldegaus erklärt, der wohl als ostfälischer Gau aus dem natürlichen Raum der Nachbardiözesen ausgeschnitten und zu Hildesheim gezogen wurde. Dass die Grenze Ostfalens allerdings nicht überall mit der des Sprengels übereinstimmte, zeigt sich darin, dass z. B. im mainzischen Suilberigau ostfälisches Recht herrschte 3). Auch sonst haben sich Bedenken dagegen erhoben, in unserer Gegend die Grenze zwischen Engern und Ostfalen mit der der Diözese Hildesheim zusammenzulegen. Rudorff 4) weist auf die eigentliche Tatsache hin, dass in unserer Zeit nicht Ith und Hils, sondern die Leine eine ethnographische Grenze bilde; östlich und westlich des Flusses seien Haartrachten, Hausformen und Mundarten verschieden. Es ist jedoch zu erwägen, dass der Gang der Geschichte das Gebiet links der Leine dem Bistum Hildesheim entfremdet und die an sich ältere Stammesgrenze durch eine politische Grenze weiter östlich ersetzt hat. So eine jahrhundertlange, später noch durch konfessionelle Gegensätze verschärfte politische Abgrenzung kann sehr wohl Verschiedenheiten ausbilden, die noch nicht in Stammesunterschieden begründet sind. Ganz
1) UB. Ho Hildesheim I, 103.
2) Lüntzel, Die ältere Diözese Hildesheim, S. 39.
3) Auf dem Sülberg wurde nach Erhard Regesta Westfaliae I, 1391 secundum ritum Ostersahson herescaph Recht gesprochen.
4) Das Amt Lauenstein, ZHVNds. 1858 S. 221.
in diesem Sinne hat man wohl auch die „Gerichte an der Leine“, die als placita und conventus an vier verschiedenen Flussübergängen nachweisbar sind, als Ausgleichstellen nicht von Gebieten verschiedenen Stammesrechts, sondern verschiedener territorialer Hoheit aufzufassen 1).Dass das alte Ostfalen auf das linke Leineufer übergriff, sollte schon die ursprüngliche Anlage des ostfälischen Bischofssitzes in Elze zur Genüge sicher.
Nur die k i r c h l i c h e Hoheit hat das Bistum Hildesheim in seinem Diözesanteil westlich der Leine aufrecht erhalten können. Von den vier dortigen Archiediakonatssitzen blieben nur Elze und Freden beim Stift, während die sedes Wallensen und Oldendorf schon früh unter fremde Herren kamen. An sich lagen in diesem Gebiete für das Bistum dieselben Voraussetzungen einer Entwicklung der Diözesan- zur Landesherrschaft vor wie in dem übrigen Sprengel. Außer dem erwähnten ausgedehnten Wildbann hatte die Hildesheimer Kirche in diesem Gebiet einen außerordentlichen reichen Grundbesitz und mehrere Grafschaften und Immunitäten erworben, sodass neben ihr eigentlich nur die Northeimer Grafen eine Rolle spielten. Es war ein Verhängnis für die Diözese, dass das Northeimer Erbe in diesem Gebiet von einem Herrengeschlechte angetreten wurde, dem es gelang, dem Hildesheimer Krummstab die Lande links der Leine zu entfremden und einem selbständigen Territorium einzuverleiben.
Ganz ähnlich ist das Schicksal, das die Anteile der anderen drei Diözesen in unserem Gebiet erfuhren. Für ihren Umfang sind wir mangels genauer Grenzbeschreibungen auf die Archiediakonatsverzeichnisse späterer Jahrhunderte angewiesen. Danach erstreckte sich das Erzbistum M a i n z bis zu einer Linie, die von der Leine über Selter, Hils und Elfas nach dem inneren Solling verlief, im Norden durch die Diözese Hildesheim, im Westen durch die Diözese Paderborn begrenzt. Den Anteil P a d e r b o r n s an unserem Gebiete umreißt ein Archiediakonatsverzeichnis vom Jahre 1231 2), das der sedes Huxaria folgende Kirchspiele zuweist: Hajenhusen = Heinsen, Boffesen = Boffzen, Olenthorp = Stadtoldendorf, Lugderinken = Lüchtringen, duo Holtesminne = (Holzminden und Altendorf), Meinbrexen, *Dune.
Für das Bistum M i n d e n, dessen Sprengel am spätesten und am schlechtesten urkundlich bestimmt ist, verbleibt der Rest unseres Gebietes, das Archiediakonat Ohsen, das sich von Polle abwärts durch das Wesertal über den nordwestlichen Teil unseres Gebietes erstreckt.
1) Es handelt sich um folgende Punkte: 1. Die B r ü c k e b e i P o p p e b u r g, wo das Amt Lauenstein noch im 16. Jahrhundert das Hochgericht hielt. 1251 infra pontem in villa Levinge iuxta Lainam, UB. Ho Hildesheom II, 857 2. Die B r ü c k e z w i s c h e n *L e d i u n d G r o n a u. Über das dort 1241 gehaltene placitum s. u. S. 21 3. Die B r ü c k e z u F r e d e n. 1246 conventus inter utrumque Ffreden, UB. Ho Hildesheim II, 631. - 1413 eyn dag uppe der brucghe to Vryden, UB. Sta Hildesheim V. S. 489, S. 508 4. Die B r ü c k e b e i G r e e n e: Dort 1229 ein placitum, s. u. S. 21. Ganz ähnlich übrigens das Gericht auf dem Leineberg bei Göttingen. 2) Westf. UB. IV, 204. Bei Böttger III, S. 109.
Eine der eigentümlichsten Erscheinungen der historischen Geographie dieses Gebietes ist in den frühesten Zeiten die räumliche Berührung von nicht weniger als vier Diözesen in dem kleinen Raum zwischen Vogler, Solling uns Ith. Für alle beteiligten Bistümer gehörte dieser Gebietsanteil, der als Durchgangsraum der Straßen von der Weser zur Leine und von der Lenne 1) zur Ilme wichtig war, zu den entlegensten ihres Sprengels. Es ist mit Händen zu greifen, dass hier die günstigsten Voraussetzungen für das Emporkommen weltlicher Herrschaften und für die Durchbrechung einer sich bildenden Landeshoheit der Bistümer von vornherein gegeben waren, und es ist gewiss kein Zufall, dass gerade in diesem Gebietsdreieck die Stammburgen der zwei Dynastenhäuser entstanden, die später über das gesamte Gebiet ihre Herrschaft ausdehnten. Kaum eine Wegstunde von einander entfernt, nur durch die tiefe Senke des Forstbaches getrennt, liegen sich auf steilen Felsenhöhen die Burgen H o m b u r g u n d E v e r s t e i n gegenüber. Fast gleichzeitig miteinander und mit dem zwischen ihnen gelegenen Kloster Amelungsborn treten sie im Anfang des 12. Jahrhunderts in die Geschichte ein, fast gleichzeitig (1408/09) sind die Herrschaften den Welfen zugefallen, fast gleichzeitig (1493 bzw. 1535) sind die festen Häuser verlassen worden. Vom Anfang des 12. Jahrhunderts ab bildet die Entwicklung dieser beiden Territorialherrschaften den westlichen Inhalt der Geschichte unseres Gebietes. Wir wollen sie näher ins Auge fassen.
1) Einer publica strada im Lennetal geschieht schon 1033 Erwähnung. (Paderborner Wildbann im Vogler. Lüntzel. A. Diözese, S. 39.)
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