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Der Poller Ritterhof
Die Gebäude des Poller Ritterhofes gehören der Vergangenheit an. Nachdem sie in den letzten Jahrzehnten schon recht baufällig geworden waren, mussten sie nun dem Bau einer Mittelpunktschule weichen, die in Kürze ihrer Bestimmung übergeben werden wird. Aus diesem Anlass mag es berechtigt sein, der Geschichte des Hofes nachzuspüren.
Das Rittergut Polle (nach einer Zeichnung von Karl Behling)
Man möchte annehmen, dass die im Volksmunde gebräuchliche Bezeichnung „Ritterhof“ in jene ferne Zeit weist, in der noch die Grafen von Everstein „auf dem Poll“ residierten und ihre ritterbürtigen Lehns- und Gefolgsleute in der Nähe ihrer Burgen begütert waren. Solche „Burglehen“ bestanden auch noch nach dem Aussterben des Grafengeschlechts. So hatten die Herren von Münchhausen nach vorliegenden Lehnsbriefen „zwo Hufen Landes und zwei Burglehen und die Worth binnen dem Poll“. Bis in die jüngste Zeit besaß Polle zwei adelige Güter, nämlich das vom Heimbruchsche und das Behlingsche Gut. Ihre urkundliche Überlieferung knüpft aber mit größter Wahrscheinlichkeit an jene beiden Burglehen nicht an.
Das Amts-Erbregister von 1687 liefert uns den sicheren Aufschluss über die Entstehung der beiden Güter. Danach geht ihre Herkunft in beiden Fällen auf den Rittmeister Casper, auch Jasper de Wrede zurück, der mehrere Besitzungen aufkaufte und sie zu zwei Gütern zusammenfasste. Der „Dreyplatz-Hof“, so genannt nach dem Schwiegersohn de Wrede, dem Ritter Melchior von Dreyplatz, gelangte durch vielerlei Hände später in den Besitz der Herren von Heimbruch.
Der andere Hof, auf dem es in diesem Zusammenhange ankommt, trägt nach dem Erbregister den Namen „Wredenhof“ mit den Zusatz „jetzt Amtmann Behlings“. Damit ist jeder Zweifel über die Besitzfolge beseitigt. Es heißt weiter: „Was dabey gehört, hat Jasper de Wrede meistentheils von den Einwohnern des Fleckens zusammengekauft und dem Fürstlichen Hause Braunschweig-Lüneburg zu Lehen aufgetragen und itzo dabey ein Halbspennergut, Niemyers Gudt genannt,, welches Jasper de Wrede gekauft und das Haus zur Scheuern gemacht und auch dazu gebraucht wird. Noch dazugekauft: drey Brinksitzerhäuser und etzliche Kohlhöfe.......“. In Lehnsbriefen der Jahre 1577, 1596, 1637 und 1644 wird den de Wredes, die im Jahre 1655 mit Dietrich de Wrede ausstarben, der Besitz des Gutes bestätigt.
Durch den Lehnsbrief von 1654, der von Herzog Georg Wilhelm in Hannover ausgestellt wurde, erfahren wir, dass der Wredesche „freie Sattelhof“ in den Besitz des Grohnder Amtmanns Behling übergehen soll, nachdem die Söhne des 1649 verstorbenen „Geheimen Raths und Vicecantzlers Dr. Jacobus Lampadius“ auf ihre Anwartschaft verzichtet haben. Noch aber lebte Dietrich de Wrede, der älteste Sohn des Jasper de Wrede und „Letzte seines Geschlechts“. „Wenn er über kurz oder lang nach dem Willen Gottes ohne rechte männliche Leibeserben mit dem Tode abgehen sollte, dass alsdann vorgedt unser Amtmann oder da der nicht mehr im Leben, seine männliche Leibes-Lehns-Erben“. So heißt es weiter in dem erwähnten Lehnsbriefe von 1654. Ein Jahr darauf konnte Erich Behling das Poller Gut in Besitz nehmen.
Der neue Lehnsträger entstammte einer Beamtenfamilie. Auch der Vater und Großvater standen als Amtmänner im Dienste des Staates. Erich Behling, geb. 1596, war mit 27 Jahren Amtmann in Ricklingen und Marienwerder, 1632 wurde er Amtmann in Peine und Grohnde. 1627 verheiratete er sich mit Magdalene Volger aus Hannover, der Witwe des Moritz von Windheim. Zusammen mit seinem Bruder Ludolf, Amtmann in Steuerwald, wurde er 1666 in den Reichsadelstand erhoben. (Die Familienmitglieder führten jedoch nicht das Prädikat „von“, obwohl sie hin und wieder als „von Behling“ bezeichnet werden).
Da die beiden Brüder von ihrer Mutter und der Großmutter mütterlicherseits ein beträchtliches Vermögen geerbt hatten, konnten sie zahlreiche Höfe und Besitzungen käuflich erwerben. So besaß Erich Behling einen Jägerhof bei Linden, die „Quirrenburg“, die er an Herzog Christian Ludwig auf dessen Wunsch abtrat. Dafür durfte er die auf diesem Gute ruhenden Rechte und Freiheiten auf einen noch zu erwerbenden Hof übertragen. Als Amtmann von Grohnde begründete er durch den Ankauf zweier Vollmeierstellen und einer Kötnerstelle einen freien Sattelhof in Hajen, der 1804 durch die Heirat der einzigen Erbtochter mit Karl von Korff auf diese Familie überging.
Auch in Börry, Groß-Lafferde und Bessinghausen hatte Erich Behling Höfe, darüber hinaus besaß er Münchhausensche Güter in Stahle, Polle, Brevörde und Pegestorf, die Stats von Münchhausen, der Erbauer des Bevernschen Schlosses, gegen ein Leihkapital von 3000 Rtlr. An Behling oder dessen Verwandten abtrat.
Als Erich Behling das Poller Rittergut übernahm, fand er die Hofgebäude in einem jämmerlichen Zustande vor, wie er in einem Briefe klagt. Wenn man bedenkt, dass Polle während des Dreißigjährigen Krieges zweimal, 1623 und 1641, fast völlig zerstört wurde, wird die Klage berechtigt gewesen sein. Schon 1656, in dem gleichen Jahre, in dem der Wiederaufbau des in Schutt liegenden Amtshauses begonnen wurde, errichtete Erich Behling eine stattliche Scheune. Als sie 1930 abgebrochen wurde, waren die Inschriften über den Toreinfahrten auf der Ost- und der Westseite noch lesbar. Sie lauteten: „E. B. FIDE SED FIDE! AANO 1656. M. V.“ und “E. B. SOLI DEO GLORIA: ANNO 1656. M. V.” Mit den Einzelbuchstaben E. B. und M. V. sind Erich Behling und Magdalene Volger gemeint. Die lateinischen Sprüche besagen: „Traue, aber schaue!“ und „Gott allein die Ehre!“ Dem vermutlich aus Wredeschen Zeiten stammenden Wohnhause wurde gegen 1660 ein Vorbau, 1661 ein rechter und 1717 ein linker Gebäudeflügel angefügt. Stallungen und Wagenschuppen verbanden die Scheune mit dem Wohnhause zu einem langen Trakt. Im Spitzgiebelfeld des Vorbaues prangte der von der Kaiserkrone überragte doppelköpfige Reichsadler mit den darunter angebrachten Wappen der Behlings und Volgers.
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Gesamtansicht des Poller Rittergutes
Der Längsbalken auf der Ostseite des rechten Gebäudeflügels trug die Inschrift: „SI DEUS PRO NOBIS QVIS CONTRA NOS. ANNO 1661.“ („Wenn Gott für uns ist, wer wird wider uns sein!”). Zu den rechten des „freien Sattelhofes“ mit fünf freien Hufen Landes an Äckern, Kämpen, Gärten, Wiesen, Teichen und Teichstätten gehörte die Fischerei auf der Weser, eine Schäferei und die „Hasen- und Fuchsjagden auf der paderbornischen, corveyischen, lippischen und pyrmontischen Grenze“. Zu den Pflichten gehörte der übliche Rossdienst mit einem Pferde.
Erich Behling starb 1667. Bei der 1668 erfolgten Erbteilung erhielten die Töchter die erwähnten Münschhausenschen Güter, während der älteste Sohn, Johann Georg, (1637-1679) als Lehnsträger die Sattelhöfe in Hajen und Polle bekam. Er hatte sich 1664 mit Ilse Magdalene Storre aus Hildesheim vermählt. Den kinderlos verstorbenen Bruder seines Vaters, Ludolf Behling, beerbte er 1677 zur Hälfte und konnte dadurch ohnehin schon großes Besitztum beträchtlich vermähren. Den Vater überlebte er nur um 14 Jahre. Als er 1679 starb, war sein ältester Sohn, Jobst Erich (1665-1718), erst 14 Jahre alt. Infolge der Minderjährigkeit der Kinder und der Wiederverheiratung der Witwe wurde der gesamte Besitz bis 1695 verpachtet. Pächter des Poller Hofes war der Verwandte der Behlings, Johann Volger. An Pachtgeld hatte er 1680 rund 40 Reichstaler und 1681 70 Reichstaler zu entrichten. Erwähnt werden möge an dieser Stelle die Art der Inbesitznahme des Behlingschen Eigentums durch die Erben nach dem Ableben Johann Georgs 1679. Sie erfolgte durch den kaiserlichen Notar Johann Christian Behm aus Bodenwerder, und zwar dadurch, dass von der Tür jeder Baulichkeit ein Span abgeschnitten und von jedem Stück Land ein Klumpen Erde aufgenommen wurde.
Bei der schwierigen Erbauseinandersetzung 1695 wurde Johann Georgs zweiter Sohn, Johann Ludolf Georg (1672-1723) der Erbe des Poller Freisassengutes. Mit ihm beginnt die Poller Linie. Er ist zunächst Fähnrich, dann Leutnant und hernach Kapitänleutnant. Ehe er nach Polle übersiedelte blieb er auf seinem anderen Erbhofe in Börry und überließ die Bewirtschaftung des Poller Gutes seinem jüngeren Bruder, Anton Conrad, und nach 1704 dem Verwalter Philipp Niemeyer. „Senior und Lehnsträger“ wurde er nach dem frühen Tode seines Hajener Bruders von 1718 bis 1723, also bis zu seinem eigenen Ableben.
Sein ältester Sohn, Johann Ludwig (1699 bis 1784), wurde sein Nachfolger. Er muss sich erst sehr spät verheiratet haben, da er bei der Geburt des ältesten Kindes, des Sohnes Friedrich Heinrich (geb. 1749) bereits 50 Jahre alt war. Seine Gemahlin war Johanne Auguste Elisabeth Wrisberg aus Elze. Mit 24 Jahren hatte er das väterliche Erbe angetreten. Seiner unerfahrenen Jugend, vielleicht auch einer leichtfertigen Haushaltsführung, mag es zuzuschreiben sein, wenn der Hof in Schulden geriet. Dazu kamen die Wirrnisse des Siebenjährigen Krieges, der auch im Gebiet der Oberweser seine Spuren hinterließ. Überdies war Johann Ludwig ein eigenwilliger Charakter, der sich häufig mit den derzeitigen Amtmännern herumstritt. In den meisten Fällen ging es um die „Jurisdiction“ (Gerichtsbarkeit) seines „freien Rittersitzes“, auf dem er die eigene Rechtsprechung beanspruchte.
Unter seinem ältesten Sohn und Nachfolger, Friedrich Heinrich (1749-1818) schritt die Verschuldung allmählich fort. In erster Ehe war er mit Johanne Auguste von Campen, Tochter des Freiherrn Burckhard von Campen, Stadtoldendorf, verheiratet. Sie muss bei der Geburt ihres ersten Kindes (1785) verstorben sein. 1788 verehelichte er sich mit Henriette Friederike Lampe aus Ottenstein. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor. Der älteste Sohn, geboren 1789, verstarb 1813 in russischer Kriegsgefangenschaft.
Weil die jüngeren Brüder Friedrich Behlings, Ludolf Otto (1756-1834) und Johann Christian (1765-1822) bei der fortschreitenden Verschuldung des Gutes um ihr Erbe besorgt waren, unterbreiteten sie dem Lehnsältesten mehrere Vorschläge wie man die Schulden in Höhe von 1734 Reichstaler tilgen könne. Alle Aktiva und Passiva wurden für die Zeit von 1784-1804 genau errechnet, wobei der Wert der Gebäude mit 900 Reichstalern und der der Feldfrüchte und Ackergeräte 450 Reichstalern in Ansatz gebracht wurden. Ehe es zu einer Einigung kam, starben die Brüder nacheinander darüber hinweg.
Johann Christian übernahm 1818 bei dem Tode des ältesten Bruders das Gut für die restlichen Jahre seines Lebens. Er war seit 1793 mit Anna Marie Elisabeth Lohöfer aus Meiborsen verheiratet (6 Kinder). Das vierte Kind dieser Ehe, August Friedrich Ernst Ludwig Behling, (1800-1863) war der letzte Inhaber des Polleschen Sattelhofes. Seine Ehe mit Johann Pauline Ernestine Bolte aus Rischenau war mit elf Kindern gesegnet
Um 1840 hatten „die Lehnsvettern als jetzige Miteigentümer des der Behlingschen Familie zugehörigen landtagsfähigen freien Gutes zu Polle“ – sie sind namentlich aufgeführt – mit der Königlichen Domänenkammer und auch mit der Gemeinde Polle Verhandlungen mit dem Ziel eines Verkaufes aufgenommen. Die Domänenkammer bot 9800 Reichstaler und die Gemeinde schließlich 10 000 Reichstaler. Beauftragter der „Gevattern Behling“ war Dr. jur. Pralle zu Bodenwerder; Bevollmächtigte der Gemeinde sind anfangs die Bürgermeister Brockmeyer und Seelemeyer, Schmiedemeister Söffge und Rademacher Kloß. Polle möchte den bisherigen Pächtern der Behlingschen Grundstücke die Existenz weiterhin sichern. Der Ort legt auch Wert auf die Weiterführung der Schäferei, weil eine eigene Gemeindeschäferei nicht besteht. Noch befindet sich das Gut im Lehnsverband: Am 6. Mai 1843 wird es daraus entlassen, aber eine Parzellierung der Grundstücke ist noch nicht möglich. So schließen über hundert Gemeindemitglieder am 8. Dezember 1842 den Kaufvertrag, der über 38 Seiten umfasst. Gegen den Begriff „Gemeindegut protestieren einige Bürger, weil sie sich an dem Kauf nicht beteiligen wollen. An Gebäuden sind genannt: ein Wohnhaus von zwei Stockwerken, ein neuerbautes Stallgebäude, eine Scheune, ein Stallgebäude neben dem Wohnhause und ein Nebengebäude an der Scheune. An Gerechtigkeiten bestehen: die Brennerei- und Schäfereigerechtigkeit, zwölf Klafter forstzinsfreies Brennholz- und Nutzholz gegen Entrichtung der Forstinteressentenpreise, die Feldjagd in einem teile der Brevörder Feldmark sowie die Forellen- und Krebsfischerei in der Lonau und im Knickbache. Die Größe der Gärten beträgt rund acht Morgen, die Äcker umfassen rund 111 Morgen und die Wiesen rund 21 Morgen.
Am 16. Januar 1867 richteten die Kleinkötner Mönckemeyer, Weber und Brockmeyer als „Mandanten der 92 Eigenthümer (einige Bürger waren wohl zurückgetreten) des castrum nobile zu Polle“ ein Schreiben an die Landdrostei zu Hannover und beantragen die Spezialteilung und Verkoppelung. Sie gibt die Bitte an die zuständige Calenbergisch-Grubenhagensche Landschaft weiter, die sich einverstanden erklärt, wenn die Käufer auf die Landtagsgerechtigkeit und die Stimmberechtigung verzichten.
Es mag von den großen Schwierigkeiten einer Veräußerung an die 92 Poller Interessenten zeugen, wenn das Gut letzten Endes am 22, März 1869 in den Besitz des Bundestagsgesandten Gottlieb Ernst August von Heimbruch gelangt. Später erhalten es durch Erbfolge die Grafen von Reventlow. Sie lassen 1929 neue Wirtschaftsgebäude auf dem Sonnenberg errichten, währen der alte „Ritterhof“ von der Gemeinde gekauft wird.
Heute gehört das „Gut Sonnenberg“ Herrn Haselhorst aus Hamburg, der es durch einen Pächter bewirtschaften lässt.
Veröffentlicht: Beilage des Täglichen Anzeigers zum Wochenende 1969 Autor: Friedrich Wittkopp
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