Typische allgemeine Sachverhalte im Herrschaftsbereich der Eversteiner
Graf und Grafschaft
Der Ursprung des Wortes „Graf“, lat. comes, ist nicht eindeutig geklärt. Es ist nicht Aufgabe
dieser Arbeit, auf die Diskussion darüber einzugehen. Soviel ist aber saicher, dass z. Zt. Karls d. Gr. Der Graf ein Beauftragter des Kaisers war, der einen bestimmten Bezirk, die Grafschaft (lat. comitas) zu verwalten hatte. Diese deckte sich zumeist mit bereits vorhandenen Verwaltungseinheiten, z. B. den Gauen (lat. pagus). Zu den vordringlichen Aufgaben des Grafen gehörten die Rechtsprechung und die Aufstellung des Heerbannes, denn fast jedes Jahr war Karl in den Sommermonaten auf Kriegszügen unterwegs, und es war Sache des Grafen, aus ihrer Grafschaft ein Heer zusammenzustellen und für die Ausrüstung mit Waffen und Proviant Sorge zu tragen. Als Grafen wurden Persönlichkeiten aus dem hohen Adel ausgewählt, die dem Kaiser treu ergeben waren. Indes war nicht zu erwarten, dass trotz der rücksichtslosen Strenge des Kaisers die in ihrer Struktur sehr unterschiedlichen Völkerschaften, die Karl unterworfen und in seinem Reich zusammengefasst hatte, sich gehorsam und friedlich allen kaiserlichen Anordnungen fügten.
So blieb es nicht aus, dass nach Karls Tod, als die starke Zentralgewalt fehlte, sich die brüchige Grafschaftsordnung mehr und mehr auflöste. Die Grafen sahen ihre Grafschaft als persönliches Dominium an und vererbten sie an ihre Nachkommen. Sie fühlten sich als unabhängige Herren ihres Gebietes, verwalteten aus eigener Machtvollkommenheit und führten eine selbständige Politik. Sie verkauften, verlehnten, verpfändeten und vererbten ihren Landbesitz. Dabei zersplitterten die Grafschaften. Sie wurden durchsetzt von Immunitätsbezirken der Klöster, Stifte und Bistümer und wurden so zu einem Flickenteppich aus unterschiedlichen Besitzungen und Gerechtsamen, die ständigen Veränderungen unterworfen waren. Löste sich eine Grafschaft schließlich gänzlich auf, so blieb doch der Grafentitel am Namen des Geschlechts haften. Er wurde zu einem Prädikat des höheren Adels.
Dass die Stammburg Everstein je das Zentrum einer Grafschaft gewesen ist, ist nirgends belegt. Erst Albrecht I. nahm den Grafentitel an, vermutlich nachdem er mit der Grafschaft Donnersberg bei Warburg belehnt worden war.
Der Landbesitz
Der Besitz der Eversteiner stellte nicht, wie schon angedeutet, ein in sich geschlossenes Territorium mit festen Grenzen dar, sondern setzte sich aus Ländereien unterschiedlichen Charakters zusammen, die von Besitzungen anderer Herren durchsetzt war. Den Kern bildete der Allodial – oder Eigenbesitz.
Es war der Teil der Besitzungen, der ererbt oder gekauft war und über den der Eigentümer frei verfügen konnte, ihn vererben, verkaufen, verpfänden, verlehen oder auch stiften. Durch diese Veräußerungen war der Eigenbesitz eine Art Kapitalreserve, auf die in schwierigen Situationen zurückgegriffen werden konnte, die dadurch aber im Laufe der Zeit zusammenschmolz. Die Eversteiner machten auch von der Möglichkeit Gebrauch, diesen Eigenbesitz einem mächtigen Herren zu übereignen, z. B. dem Erzbischof von Köln, um ihn gleichzeitig als Lehen zurückzuempfangen. Bei gewaltsamen Auseinandersetzungen z. B. mit den Herzögen von Braunschweig, richtete sich der Angriff nun nicht allein gegen die Eversteiner, sondern mehr noch gegen den Erzbischof von Köln. Die Braunschweiger bekamen es also mit diesem zu tun. Letztlich hat diese Manipulation den Eversteinern wenig eingebracht, ihnen eher geschadet, besonders wenn sich die mächtigeren Herren schließlich auf Kosten der Eversteiner einigten, z. B. als beide 1260 die Weser als Grenze ihrer Einflusssphäre anerkannten. Die Tatsache, dass aus dem ohnehin lückenhaften Mosaik der Allodien immer wieder Steine herausgebrochen wurden, trug zu allmählichen Auflösung der Grafschaft bei.
In unseren waldreichen Bergland gehörte den Eversteinern natürlich auch ein größerer Waldbesitz, verstreut über ihr gesamtes Territorium. Er war besonders als Jagdrevier begehrt, denn die herrschaftliche Tafel wurde zu einem großen Teil mit Wildbret als Frischfleisch beliefert. Die Jagd gehörte zu den Vergnügungen der Herren. Noch im 18. Jahrhundert trug von Langen, der „Wirtschaftsminister“ des Herzogs von Braunschweig, den Titel „Oberjägermeister.
Die Lehen
Das Lehenwesen ergab sich aus zwei Komponenten mittelalterlichen Regierens, einer militärischen und einer verwaltungsmäßigen. Dem Lehnsempfänger oder Vasall wurde ein Lehen übertragen, wenn er im Krieg sich bewährt und treue Dienste geleistet hatte oder wenn er durch einen Lehnseid gebunden, zur Heeresfolge verpflichtet werden sollte. Als Gegenleistung sicherte der Lehnherr durch die Vergaben des Lehens die wirtschaftliche Existenz des Vasallen und nahm ihn in seinen Schutz.
Aber nicht nur in militärischer Hinsicht war der Lehnsherr auf Lehnsleute angewiesen. Die Verwaltung seines Landes war nur möglich, wenn er es – wies auch heute noch geschieht – in Bezirke und weitere kleine Verwaltungseinheiten aufteilte. Der Lehnsmann wurde also mit der Verwaltung eines solchen Bezirkes betraut, und dieser teilte ihn weiter auf bis hin zu den Bauernhöfen. Im Idealfall war also ein Land nach dem Schema einer wohlgeordneten Lehnspyramide gegliedert und verwaltet.
Dieser Idealfall trat aber letztlich nur selten ein, er wurde vielmehr durch immer neue Störungen vereitelt, durch Käufe, Verkäufe, Verpfändungen u. ä., aber auch durch Streit und kriegerischen Auseinandersetzungen. – Es konnte ein Lehen dem einen entzogen und einem anderen übertragen werden. – Es konnte unter mehrere aufgeteilt werden. Sogar Städte und Burgen wurden an zwei oder mehrere Vasallen verlehnt, wie z. B. die Burg Ohsen. Dabei war es nötig, die Räumlichkeiten jeweils den Parteien zuzuweisen. Die Stadt Lügde hatte mehrere Lehnsträger, und die Eversteiner besaßen zeitweise ein Sechstel der Stadt Brakel. – Die Dörfer gehörten fast immer verschiedenen Herren, so dass die Bauern dem einen oder anderen ihre Dienste zu leisten hatten. – Ein Lehen konnte einem Lehnsmann entzogen werden, er konnte es aber auch von sich aus zurückgeben. – Es kam auch vor, dass sich die adligen Herren gegenseitig mit Lehen bedachten. – Oft hatte ein Lehnsmann nicht nur einen, sondern mehrere Lehnsherren. So empfinden die Eversteiner Lehen vom Erzbischof von Mainz und auch von Köln. Letzterem trugen die Eversteiner ihre Besitzungen von sich aus als Lehen an, um dadurch als Lehnsempfänger den Schutz des Lehnsherren zu genießen, in diesem Falle um einen Verbündeten gegen die Herzöge von Braunschweig zu haben.
So herrschte in den mittelalterlichen Lehnsverhältnissen ständig Bewegung, und sie gaben zu immer neuen Auseinandersetzungen Anlass.
Verpfändungen
Das Verpfänden von Landbesitz wird während der Zeit der Eversteiner wiederholt erwähnt. Es war eine frühe Form des Geldgeschäfts, als es noch keine Banken gab, (Die ersten Banken Europas werden im 12. Jahrhundert in Italien genannt). Benötigte jemand dringend Geld, z. B. für kriegerische Unternehmungen, zum Bauen o. ä., dann lieh er sich das Geld von jemanden, der darüber verfügte, und überließ dem Geldgeber einen Teil seines Landsitzes, z. B. eine Stadt, als Pfand auf eine bestimmte Zeit, auf jeden Fall bis zur Rückgabe des Geldes, die sich oft länger als vorgesehen hinauszögerte. Der Gläubiger hatte dann das Recht, das Land, den Grundbesitz, einige Dörfer o. ä. auszunutzen und gewissermaßen als Zinsen möglichst viel an Werten herauszuholen. Von dieser Möglichkeit des „Pfänderspiels“ ist viel Gebrauch gemacht worden. Der Erzbischof von Köln verpfändete 1337 gegen 100 Mark Soester Denare an Hermann von Polle, Graf von Everstein, die Hälfte der Stadt Lügde. Nach mehrfachen Veränderungen und weiteren Verpfändungen hatte die Stadt Lügde 1371 vier Herren.
Kauf und Verkauf
Selbstverständlich ist in den Urkunden auch von Käufen und Verkäufen von Land die Rede. Was uns dabei wundert, ist der Preis, der gezahlt wurde, dass z. B. ein Bauernhof den Wert von 20 Mark hatte. Die Mark ist ursprünglich eine Gewichtsangabe für Silber. Als Maß diente eine bestimmte Menge Blei, das Lot (engl. Lot = Menge). Wenn das Gewicht des Silbers den Vorschriften entsprach, war es „lötig“. Ein Barren Silber, der aus dem Bergwerk kam, wurde gewogen und bekam eine Marke, daher „Mark“. Die kölnische Mark hatte ein Gewicht von 234 Gramm. Der eigentliche Wert dieser Mark ergab sich aus dem Aufwand bei der Herstellung und aus Angebot und Nachfrage.
Stiftungen
Im 12. u. 13. Jahrhundert entstand eine große Zahl von Klöstern. Ihre Gründung wurde in vielen Fällen durch den Adel angeregt, durch Menschen, die um ihr Seelenheil bangten und deshalb für ein Kloster Land als wirtschaftliche Basis zur Verfügung stellten. Auch Waldgebiete gehörten zu solchen Stiftungen. Sie rissen in den Flickenteppich herrschaftlichen Landbesitzes nicht unerhebliche Lücken.
Regalien
Regalien sind ursprünglich Hoheitsrechte des Königs (jura regalia), die weiterverliehen wurden zur Verfügung über hohe Ämter und Rechte wie Münzrecht, Marktrecht u. a. ;dann aber alle finanziell nutzbaren Rechte und Gerechtsame an Grundbesitz u. a. Diese Rechte waren mit Einnahmen verbunden, die den finanziellen Rückhalt der damaligen Herren (Zinsen, Steuern, Zölle, Pächte, Mieten, Gerichtsbußen usw.) und waren deshalb begehrt.
Vogteirechte
Kirchen und Klöster sollten sich ursprünglich aller weltlichen Geschäfte enthalten. Diese sollten von einem nichtgeistlichen „Herbeigerufenen“ = advocatus ausgeführt werden. Das Wort „advocatus“ wurde verstümmelt zu „Vogt“. Der Vogt war also der Vertreter eines Klosters in den weltlichen Angelegenheiten, der Schutzherr und Richter. Während die Zisterzienser Vögte grundsätzlich ablehnten, waren sie bei den Benediktinern üblich, und besonders die Nonnenklöster bedurften eines solchen weltlichen Schutzes. Meistens stellte die Stifterfamilie auch den Vogt. – Zweifellos wurden dies „Beschützer“ oft als Last empfunden und nicht als Helfer geschätzt, denn sie mischten sich allzu sehr in die inneren Angelegenheiten des Klosters ein, z. B. bei der Wahl der Äbte oder Pröpste, und ließen sich ihre Dienste kräftig honorieren. Für das Bistum Paderborn gab es einen Obervogt, der für das gesamte Bistum zuständig war.
Der Vogt als Vertreter des Landesherren in den Städten war herrschaftlicher Beamter. Er übte dort die Gerichtsbarkeit aus und die Aufsicht über die Verwaltung. Den Städten gelang es infolge ihres Anwachsens und der Stärkung ihrer wirtschaftlichen Kraft, die Rechte der Vögte mehr und mehr einzuschränken, die Obliegenheiten in eigene Regie zu übernehmen und größere Selbständigkeit durchzusetzen. Die Eversteiner waren für lange Zeit Vögte in der Stadt Hameln als Beauftragte des Klosters Fulda.
Patronatsrechte
Die einzelnen Kirchen hatten als Schutzherren einen Patron – nicht zu verwechseln mit dem Schutzheiligen -. Er hatte ein Mitspracherecht oder die alleinige Entscheidung bei der Pfarrerwahl, war aber auch ausschlaggebend bei allen wirtschaftlichen Angelegenheiten der Gemeinde, z. B. zuständig für die Instandhaltung der kirchlichen Gebäude. Aus den Patronatsrechten der Eversteiner, soweit sie bekannt sind, lässt sich auch ihr Herrschaftsbereich ablesen.
Straßen- und Flusszoll
Angesichts der mosaikartigen Besitzungen in der Zeit der Eversteiner dürfte die Beanspruchung von Wegezöllen kaum möglich gewesen sein. Die Erhebung eines Flusszolles in Holzminden und Hameln werden sie sich nicht haben entgehen lassen. Schon 1247 bekam Hann. Münden das Stapelrecht, aber auch für Hameln ist ein Stapelrecht nachgewiesen, das offenbar nicht so konsequent angewandt wurde wie in Hann. Münden.
Das Geleitsrecht
Die Unsicherheit auf den Straßen ließ den Kaufleuten und Reisenden ein militärisches Geleit in einem gewissen Maße sehr begrüßenswert erscheinen. Die Landesherren dürften sich dazu verpflichtet gefühlt haben, um den Handel in ihrem Land zu sichern und zu fördern. Wenn aber das Geleit zu einer begehrenswerten Einnahmequelle wurde, wenn es den Handelsleuten aufgezwungen wurde und wenn dann schließlich im Falle eines Überfalles die Beschützer die ersten waren, die Fersengeld gaben, dann wurde das Geleit zur Last und in sein Gegenteil verkehrt. Für die Eversteiner ist ein Geleitsrecht im Raum Hameln bezeugt.
Gerichte
Das Gerichtswesen des Mittelalters ist ein höchst diffiziles Gebiet, denn von einer einheitlichen Gerichtsbarkeit kann nicht die Rede sein. Rechtsweistümer wie der Sachsenspiegel sind eine Fixierung des Gewohnheitsrechts, dem aber keine Gesetzeskraft zukam. – Das Hohe Gericht, Blut- oder Halsgericht, ging ursprünglich vom König aus, wurde aber dann von den Landesherren beansprucht. Das Niedere Gericht war Sache der Grundherren (Patrimonialgerichte) oder der Städte bzw. der Stadtvögte, die nach Gutdünken richteten, sofern nicht in den Stadtrechten gewisse Grundsätze festgelegt waren. Daneben gab es Gerichte der Zünfte u. ä. Genossenschaften, der Kirchen und Klöster, Holzgerichte u. a. – Gerichte wurden als Lehen ausgegeben, wobei den Lehnsinhabern die Bußen zuflossen. Bei der Belehnung der Eversteiner mit der Grafschaft Donnersberg ging die Rechtsprechung innerhalb der Grafschaft auf sie über. Nach der Malstatt des Gerichts, dem Donnersberg bei Wormeln südlich Warburg, war die Grafschaft benannt. Dazu gehörten die Freistühle in Löwen und Scherfede, ferner die in den heute wüsten Orten Schonlohe und Dringen, beide bei Dringenberg. Ein Gerichtsplatz, vermutlich schon zur Zeit der Eversteiner, befand sich am Hagedorn unterhalb des Gr. Eversteins.
Die Geschichte der Eversteiner
Die Eversteiner und ihre Zeit
Ihr Herrschaftsbereich an Diemel und Oberweser
Von Fr. Schreiber
Seite: 7
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